Nachdem wir in den letzten Tagen vermehrt über Kontroll- und Überwachungstechniken berichtet haben, präsentieren wir nun die neuste Errungenschaft des Handels und der Logistiker: RFID, Radio Frequency Identification Devices, besser bekannt als Smart Tags. Was als "Barcode II" verkauft werden soll, und in der Tat dem Kunden einen vordergründigen Nutzen verschaffen kann, hat aber auch das Potential zu einer wahrlich totalen Überwachung,, gegen die alles, was wir bisher an dieser Stelle gedacht und geschrieben haben, als ein Kinderspiel erscheint. |
Was zum Teufel ist RFID? |
Immer mehr Hersteller, Logistiker und Handelsketten rüsten Waren mit kleinen Chips aus, die Radiosignale übertragen und damit die Identifikation und Lokalisierung der Ware ermöglichen. Die kleinen Minisender können in Kleinung eingearbeitet oder auf Waren aufgeklebt, aber auch in der Ware versteckt werden. In Lederbörsen befinden sie sich meist in den papiernen Einlegern, die wie Scheckkarten aussehen und in den Kartenfächern wie zur Demonstration der späteren Nutzung stecken. Da die Chips ihre Energie nur aus elektromagnetischen Feldern beziehen, brauchen sie keine eigene Stromversorgung und funktionieren daher praktisch beliebig lange – wenn der Kunde sie nicht entdeckt und beseitigt, unter Umständen für viele Jahre. Die digitale Antwort des sogenannten "Smart Tags" kann mit unauffälligen Antennen auf bestimmten Radiofrequenzen ein paar Meter weit empfangen werden und erlaubt eine eindeutige Identifikation und Lokalisierung der Ware, etwa wie bisher mit einem Barcode-Scanner. Nur eben ohne Wissen des Kunden – aber auch zu seinem Vorteil? |
Die Vision von der schlangenfreien Kasse |
Das eröffnet völlig neue Anwendungsfelder, von denen Kunden wie Händler gleichermaßen profitieren. Wären beispielsweise in einem Markt alle Waren mit "smarten" RFID-Tags versehen, könnte ein Scanner im Ausgangsbereich den Einkauf des Kunden erfassen – und möglichst gleich seine ebenfalls smarte Kreditkarte. Das entnervende Warten an Kassen, und das Beobachten der Schlange nebenan, an der es immer schneller geht als in der eigenen Wartegemeinschaft, würden damit entfallen. Zugleich können aber auch alle Bewegungen von Waren erfaßt werden – berührt ein Kunde eine Ware, könnte dies sofort gemeldet werden. Ladendiebe hätten damit keine Chance mehr, was nützlich erscheint, aber da beginnen auch die Probleme. |
Wirklich nur Vorteile? |
Die Firma Gillette beispielsweise, den Herren (und auch manchen Damen) als Hersteller hochwertiger Rasierer bekannt, ist beispielsweise schon dazu übergegangen, alle Kunden, die ihre kostbaren Produkte in die Hand nehmen, mit versteckten Kameras zu fotografieren – denn wer ein Produkt berührt, ist potentiell ein Dieb. Manche Bekleidungshersteller statten bereits ihre Produkte mit Smart Tags aus – und können damit den Kunden in den Umkleidekabinen Werbespots für genau die Stücke vorspielen, die sie zur Anprobe mitgenommen haben. Aber was sagt der Datenschutz zu solchen Praktiken? |
Viele weitere Anwendungen sind denkbar |
Die Städte stehen längst voller Sendemaste, und keiner garantiert, daß RFID-Tags an der Kasse entfernt werden. Durch ihre Kleinheit lassen sie sich nämlich leicht verstecken, selbst vor dem eigenen Personal. So könnte ein Hersteller, sobald nur ein entsprechend dichtes Netz an Sendern und Servern bereitsteht, jedes individuelle Produkt, das ein Kunde gekauft hat, auf seinem künftigen Lebens- und Gebrauchsweg von der Kasse bis zur Mülltonne verfolgen – und damit auch ein hochpräzises Bewegungsprofil erstellen. Die Hersteller wüßten dann immer, wann und wo Sie Ihre neuen Klamotten tragen, und auch ganz ohne Maut ließen sich Autos metergenau lokalisieren – möglicherweise ohne Wissen der Kunden, die von den RFID-Tags gar nichts wissen. Auch im Personalwesen gibt es Anwendungsoptionen, die schon manchem Personaler feuchte Träume bereiten: so könnten Uniformen, Dienstkleidung und Ausrüstungsgegenstände von Mitarbeitern mit RFID-Tags versehen werden – und damit die Leute lückenlos kontrolliert werden. Der Chef wüßte dann immer, wie lange sich in welchem Büro, an welchem Aktenschrank und mit welcher anderen Person aufhält – oder einfach nur, wie lange jemand auf dem Donnerbalken sitzt. Und da Innenräume leichter als Städte oder Verkehrswege mit unauffälligen Sendeanlagen zu versehen wären, könnte ein findiger Unternehmer so was unschwer ins Werk setzen, ohne daß der Betriebsrat davon Wind bekommt. |
RFID als strategisches Risiko |
Man könnte mir RFID verhindern, daß auf ein Auto falsche Reifen aufgezogen werden, die Lagerstatistik automatisieren oder den Kühlschrank verbrauchte Waren automatisch nachbestellen lassen, und im Rahmen von Just in Time Systemen wäre der Kosteneffekt geradezu dramatisch, weil potentiell jede Ware jederzeit lokalisierbar ist. Eine präzisere Planung gibt es nicht: Computer könnten komplette Datenbanken des gesamten Inventars mit allen Einzelstücken verwalten. Man kann aber auch Müllsünder finden, die die "richtige" Mülltonne verwechseln, oder genau wissen, welche Produkte ein Kunde besitzt, wenn man nur mit dem Sender an seiner Wohnung vorbeifährt – und ihm prompt den Briefkasten mit genau auf ihn zugeschnittener Werbung zumüllen. Und wenn Bücher plötzlich RFID-Chips besitzen, dann weiß man sogar, was jemand liest und was er denkt… auch das hätte die Stasi der ehemaligen DDR wohl vor Neid erblassen lassen. |
Forderungen an die Unternehmer |
Daß die Unternehmen sich auf den Kundenvorteil konzentrieren, darf aus der bisherigen bezweifelt werden. Die Einführung von Smart Tags kann daher zu einem Marketing-Desaster werden – was Gillette bereits erlebt hat. Verbraucher sollten daher stets wissen, daß ein Produkt einen Smart Chip enthält, und diesen selbst als solchen erkennen und entfernen können. Niemand sollte vom Kauf eines Produktes ausgeschlossen werden, weil er sich weigert, RFID-Technologie zu benutzen, und der Käufer muß die Möglichkeit haben, die auf dem Chip gespeicherten Daten auszulesen. Schließlich sollte jeder Kunde informiert werden, wo ein Chip was sendet, und warum. Diese Anforderungen sind hoch – so daß überlegt werden soll, ob diese Technologie eingeführt wird, oder ob man nicht "RFID-free" als Werbeargument benutzt. Das wäre wirklich kundenfreundlich. |
Links zum Thema |
Der Stasi-Staat: Kontrolle, Überwachung und Gängelung als neues Leitbild (interner Link) |