Im Juni des Jahres 2000 tat sich an der Sorbonne in Paris ein Grüppchen von Studierenden der Wirtschaft zusammen, um im Internet gemeinsam zu protestieren. Sie riefen ihre Professoren dazu auf, die Ökonomik aus ihrem „autistischen und sozial unverantwortlichen Zustand“ zu retten.
Daraus entwickelte sich ein internationales Netzwerk, das ab dem 16. November 2003 auch in Deutschland einen Arbeitskreis ins Leben rief – „Postautistische Ökonomie“, hieß er damals. Doch mit dem Begriff war man unzufrieden, auch weil Eltern von autistischen Kindern ihn kritisiert hatten. Also wurde der Verein in das Netzwerk Plurale Ökonomik e. V. umbenannt.
VWLer: „Meist eindimensionale Antworten!“
Übergeordnetes Ziel des Netzwerks ist es, der Vielfalt ökonomischer Theorien Raum zu geben und die Lösung realer Probleme in den Vordergrund zu stellen. Es sollen dabei Selbstkritik, Reflexion und Offenheit in der Volkswirtschaftslehre gefördert werden – auch in der zivilen Gesellschaft, Politik und medialen Öffentlichkeit. Denn die ökonomischen und andere Probleme der heutigen Zeit sind vielfältig und komplex. Hunger, Umweltzerstörung, Klimawandel, Finanzmarktkrise, soziale Ungleichheit oder Arbeitslosigkeit erfordern entsprechend diverse Lösungen.
Doch, so heißt es auf der zugehörigen Homepage www.plurale-oekonomik.de: „Die Antworten der akademischen VWL, von privaten Forschungsinstituten und der Presse sind hingegen meist eindimensional“. Man begründet es damit, dass die dahinter liegenden theoretischen Konzepte meist ein und derselben Denkschule entspringen, weshalb ihre Modelle einseitig und ihre Perspektive eingeschränkt blieben.
Ökonomik heute: Mathematische Objektivität statt realer Lösungen
Junge Nachwuchsökonomen und Ökonominnen bekämen in ihrer Ausbildung meist nur dieses eine Denkmuster vermittelt, also die neoklassische Modellökonomik. Auch bei einer anschließenden akademischen Karriere ist man demnach einem hohen Konformitätsdruck ausgesetzt. Die Lösung realer gesellschaftlicher Probleme rücke dabei im Schein mathematischer Objektivität und eines überhöhten Dogmatismus in den Hintergrund.Das Netzwerk Plurale Ökonomik e.V. setzt die entsprechenden Antworten entgegen. Inzwischen haben sich dazu verschiedene Initiativen zusammengeschlossen. Man versteht sich dabei als Wissenschaftsgemeinschaft, die menschenverachtendes und diskriminierendes Verhalten sowohl in Theorie als auch Praxis der Forschung und Lehre entschieden ablehnt. Die Aktivitäten sind vor allem auf das Networking und die inhaltliche kritische Auseinandersetzung mit pluraler Ökonomik ausgerichtet.
„Der Klimawandel ist auch ein ökonomisches Problem“
Auch über die aktuellen Projekte informiert die Homepage der plural ausgerichteten Ökonomen. „Economists for Future“, heißt eines zum Beispiel. Nach Ansicht der Initiatoren haben die Wirtschaftswissenschaften es versäumt, die Politik mit Hilfe wissenschaftlicher Fakten zum Handeln zu drängen. In vielen ökonomischen Vorlesungen herrsche „noch immer die Vorstellung von ökonomischen Pragmatikern und ökologischen Träumern“. Dabei sei der Klimawandel auch ein ökonomisches Problem und pragmatisch wäre es, den Fakten endlich ins Auge zu sehen.
Die zukunftsorientierten Ökonomen sind sich sicher: Der point of no return kommt vielleicht ein bisschen früher oder später – aber er wird kommen. Man verweist dabei auf Greta Thunbergs Aussage: Es geht hier nicht um „wild guesses”, nicht um Unsicherheiten im Bereich von Jahrzehnten oder Jahrhunderten, sondern im Bereich von wenigen Jahren. Es wird also nicht leicht sein, Ökonomen oder Ökonominnen zu finden, die dem Zwei-Grad-Ziel widersprechen.
„In den Wirtschaftswissenschaften tut sich zu wenig“
Als unumstrittenes Ziel nennt Economists for Future, dass „radikale Maßnahmen ergriffen werden müssen“. Für eine Wissenschaft, die Rationalität predige, tue sich in den Wirtschaftswissenschaften „verblüffend wenig“. Dabei bräuchten Studierende dringend die Werkzeuge zur Veränderung. Sie müssen demnach gelehrt bekommen, in Alternativen zu denken. Und Antworten auf Fragen zu finden wie unter anderem diese: Was ist Wirtschaftswachstum, wo brauchen wir es und wo nicht? Wie kann das Finanzsystem auf neue Beine gestellt werden? Wie kann so verteilt werden, dass wir mit weniger Arbeitsstunden auskommen? Und welche Bereiche sind es, die völlig anders gedacht werden müssen?