Vor einigen Tagen haben wir an dieser Stelle über die Grundlagen der Gütertypologie nachgedacht. Dabei haben wir festgestellt, daß gütertheoretische Grunderkenntnisse sich nicht nach den Gütern selbst, sondern nach dem Kaufverhalten der Nachfrager richten müssen. Dann kann man Marketingstrategien darauf aufbauen. Heute demonstrieren wir an einem Beispiel, wie das gehen kann.
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So sind relativ zum verfügbaren Einkommen des Nachfragers teure Güter sogenannte "Shopping Goods", d.h. sie werden mit Such- und Vergleichsaufwand gekauft. Das ist für den Anbieter schlecht, weil der dem Preisdruck des Nachfragers ausgesetzt ist. Der Verkäufer kann mit dem Problem aber umgehen, indem er die Verhaltensmuster der Käufer untersucht. Das bringt zunächst folgende Ergebnisse am Beispiel des Marktes für neue Möbel:
Die meisten Käufer sind Wiederholungskäufer, da es derzeit in Deutschland kaum Bevölkerungsdurchsatz gibt. Wiederholungskäufer kaufen entweder aus Zwangsmotiven (bisheriges Objekt ist kaputt und muß ersetzt werden), oft (und bei Möbeln viel öfter) aber auch aus Lustmotiven (besseres, schöneres neueres Stück erwerben, also eine Verbesserung der Wohnsituation erreichen).
Die meisten Privatkäufer (und nur diese wollen wir hier betrachten) kaufen nicht aus vorhandenen Geldmitteln, sondern müssen sparen oder den Kauf finanzieren. Besonders Sparen bedeutet aber Verzicht. Der Kauf wird damit um so wichtiger (intensivere Beschäftigung mit der Kaufsache und dem Kaufakt) je höher die Verzichtleistung (oder je länger die Bindung durch den Finanzierungsvertrag) ist.
Die meisten Privatkäufer haben zudem wenig Zeit, weil sie meist Arbeitnehmer sind, die über ihre Zeit nicht frei verfügen können. Sie müssen also Urlaubstage oder anderweitige Freizeit für den Kauf einsetzen. Das setzt sie unter Erfolgsdruck. Dieser Erfolgsdruck wird durch den vorherigen Entschluß zur Auflösung von Sparguthaben verstärkt.
Viele Möbelhäuser haben gleiche Zulieferer und Hersteller. Die Warensortimente ähneln einander also stark. Der Markt ist ein Angebotsoligopol. Die Konkurrenzintensität der einzelnen Möbelhäuser untereinander ist damit gering – was man gut daran sehen kann, daß Mitarbeiter i.d.R. um die 50% Rabatt erhalten, wenn sie bei ihren Arbeitgebern kaufen. Machten die Möbelhändler untereinander Konkurrenz, so würde dies gerade bei der derzeitigen Wirtschafts- und Sozialsituation vorwiegend über den Preis geschehen, so daß kein Raum mehr für solche Nachlässe wäre.
Diese Erkenntnisse aber sind hochrelevant. Sie lassen einen überraschenden Schluß zu, wer wirklich Konkurrent des Möbelhauses ist. Das aber ist Grundlage für die Produkt-, Marktkommunikations- und sonstige Politik des einzelnen Anbieters:
Man kann nämlich feststellen, daß die ersten drei der oben genannten Punkte auch auf Autohändler und Reiseveranstalter zutreffen: In beiden Fällen ersetzt der Käufer ein bestehendes Fahrzeug bzw. muß nicht in den Urlaub fahren, handelt also ohne Zwang. Zudem muß oft gespart bzw. finanziert werden (so daß Autohändler und Reiseveranstalter, genau wie die Möbelanbieter, mit Kundenkreditbanken zusammenarbeiten oder selbst Finanzierungsmodelle erstellen) und die Nachfrager werden von Zeitmangel unter Druck gesetzt.
Man kann daher schließen, daß Möbelhäuser, Autohändler und Reiseveranstalter nicht (so sehr) untereinander, sondern vielmehr branchenübergreifend gegeneinander Wettbewerb betreiben:
Dies gilt um so mehr als die Marktforschung zeigt, daß insbesondere Möbelkäufer, die kein ihren Vorstellungen entsprechendes Objekt finden, zu den Autohändlern oder den Reiseveranstaltern abwandern: offenbar ist die Bereitschaft, einen Beschluß, angesparte und zur Ausgabe freigegebene Geldmittel dann doch nicht auszugeben, sehr gering. Der Käufer, der das einmal geschlachtete Sparschwein erneut befüllt, erlebt einen subjektiven Gesichtsverlust. Er hat umsonst gesucht, nutzlos Zeit vergeudet, einen kostbaren Urlaubstag vertan. Er wird daher anstatt das Geld aufzuheben lieber den "zweiten" Wunsch auf der stets bestehenden Wunschliste erfüllen: wenn nicht die Möbel, dann halt ein neues Auto oder eine Reise. Es wundert daher nicht, daß man bei IKEA auch Reisen buchen kann: solche Diversifikationsstrategien sind nicht zufällig, sondern wohlüberlegt. Sie sind produktpolitische Konsequenzen aus gütertheoretischen Grunderkenntnissen. Sie sind Anpassungen an den Markt und daher wohlüberlegte Strategien.
Links zum Thema: Marketing: die grundlegende Gütertypologie | QM im Einzelhandel: der Kunde an der kurzen Wertkette | Lehrfolien: Güter, Produkte und die Wertkette | Hinweise zu komplexen Marketing-Aufgaben | Marketing, das ungeliebte Fach. Aber warum? | Marketing: denn es kann vorkommen daß die Nachkommen mit dem Einkommen… (interne Links)