Der Autodidakt an der Maus, oder wie eine gute Prüfungsvorbereitung aussieht

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Autodidakt ist, wer selbständig lernt. Der Begriff geht auf den deutschen Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) zurück, der als Bibliothekar in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel arbeitete. Dort entwickelte er den Plan eines perfekten Lexikons (Encyclopedia Perfecta), das Selbstlernenden die Möglichkeit geben sollte, sich selbständig das Wissen der Menschheit anzueignen. Wir meinen, daß dieses Lexikon heute existiert – in den digitalen Weiten des Netzes. Wie aber benutzt man es im Vorfeld einer Prüfung?

Von Lust und Liebe

Kürzlich begegnete ich zufällig einem ehemaligen Lehrgangsteilnehmer, der inzwischen nicht auf den Hund gekommen, aber immerhin verhartzt ist. Der Mensch wird vom zur Agentur mutierten Arbeitsamt gezwungen, an einem Bewerbertraining teilzunehmen, obwohl er im letzten Jahr über 700 (in Worten: siebenhundert!) vergebliche Bewerbungen geschrieben hat. Kein Wunder, daß es da an Motivation etwas mangelt. Das aber ist die erste Regel jeder erfolgreichen Prüfungsvorbereitung: liebe, was Du tust. Wer sich für eine betriebswirtschaftliche Lehrveranstaltung entschieden hat, der hat bis zur Prüfung Zeit, seine Liebe zu Controlling, Rechnungswesen und Marketing zu entwickeln – oder in die Orientalistik abzuwandern. Das mag übertrieben klingen, ist es aber nicht: nur die Liebe zur Sache schafft die Motivation, sich Nächte und Wochenenden damit um die Ohren zu hauen, und vor einer Prüfung ist solche ausgedehnter Fleiß eine Grundvoraussetzung, denn zum Erfolg gibt es bekanntlich keinen Lift, sondern nur Treppen. Leider fehlen aber auch andere Voraussetzungen.

Von Tratten, die keine Sumpfhühner sind

Schon vor einiger Zeit machten wir uns Gedanken darüber, warum der Lateinunterricht so wichtig ist, denn er schafft mühelose Fremdwortkenntnis. Wer aber im Duden nachblättern muß, warum die Tratte kein Sumpfhuhn ist oder weshalb eine zahlungsgleiche Kostengröße auch pagatorisch heißt, hat einen klaren Nachteil – für den er aber nichts kann, denn die jahrhundertealte Tradition des lateinischen Abendlandes haben nicht wir über Bord geworfen, das waren die 68er in ihrer kulturrevolutionären Verblendung. Wir haben das nur auszubaden. Aber die Didaktik mancher Lehrer macht es nur noch schlimmer.

Wer auswendig lernt, fällt durch

Schon in der Schule bestehen viele Lehrer auf Auswendiglernen, und insbesondere Kollegen mit eher geringen pädagogischen Fähigkeiten gehen an die Erwachsenenbildung genauso heran. Was ein Fehler ist, denn nicht nur das Leben geht nicht nach Skript, auch Prüfungen tun das nicht (mehr): so wunderte mich der Proteststurm gegen die Prüfung im Betriebswirt/IHK-Lehrgang nicht, in der man BSC-Kennzahlen selbst entwickeln mußte: wer Kennzahlen gepaukt hatte, stand vor einer öden Leere, denn man mußte Zusammenhänge erkennen, in Relativkennzahlen formulieren und dann die Wahl begründen. Kein Auswendiglerner schaffte das.

Non scholae sed vitae…

Nicht für die Schule, sondern für die Katz lernen wir, deuten jedenfalls manch frustrierte Teilnehmer die alte lateinische Weisheit um, was richtig sein mag, soll man sich den O-Ton des Lehrers einprägen, was manche Teilnehmer allen Ernstes selbst noch verlangen. Will man aber für das Leben lernen, so muß man in Querverbindungen und Analogien denken, was, jedenfalls in der Betriebswirtschaft, direkt zum Erfolg führt, und wenn es plötzlich nicht mehr um Klausuren sondern um Geld geht, dann wird der langweiligste Stoff interessant: So kann man beispielsweise feststellen, daß die psychischen Verhaltensmuster von Privatkäufern von Eigenschaften der Kaufsache abhängen – und bei großen Bedarfsgegenständen, auf die gespart werden muß, einander gleichen. Das aber bedeutet, daß nicht ein Reiseveranstalter des anderen Reiseveranstalters Konkurrent ist, und schon gar nicht die Möbelhäuser untereinander Wettbewerb betreiben, sondern die Möbelhäuser, Reiseveranstalter und Autohändler branchenübergreifende Konkurrenten sind. Kein Wunder also, daß man bei IKEA Reisen buchen kann – oder ein Möbelanbieter (Unger) einst auch Autoteile anbot. Nur durch solch scheinbar gesuchte, von der Marktforschung aber belegte Hypothesen aber stellt man unternehmerische Strategien auf, jenseits von Korrelation, Ansoff und Boston Consulting. Wer sich aber mit den Portfolios herumschlagen muß, diese aber nie in der Wirklichkeit anwenden kann, kriegt den Stoff nicht in den Kopf. So einfach ist das!

Wem die Voraussetzungen fehlen…

So haben wir also ein Problem identifiziert, daß die Kammern oft Leute in ihre Lehrgänge lassen, denen persönliche und/oder berufliche Voraussetzungen fehlen. Kein Wunder, daß ich die in der Wiederholungsprüfung wiedersehe: so fragte mich eine Kollegin aus dem Einzelhandel völlig ernstgemeint, weshalb ich auf der Umsetzung von Farbschemata, Schriftartenregeln und anderen technischen Details in der Projektarbeit bestehe: und das, nachdem ich mich schon ausladend über Markenstrategien, Corporate Identity und dergleichen mehr ausgelassen habe. Daß die Projektarbeit aber eine Übung in Präsentation und überzeugender Gestaltung sein kann, und damit für das Leben (und nicht die Schule) nützlich, kam der Frau gar nicht in den Sinn. Mich wundert nicht, daß es ihr schwer fiel, sich auf Prüfungsinhalte vorzubereiten. Dabei waren die Voraussetzungen noch nie so gut wie heute.

…ist doch ein Autodidakt!

Liebe zur Sache und nutzenstiftende Anwendung im eigenen Leben haben wir als zentrale Erfolgsfaktoren identifiziert, und die Rahmenbedingungen waren noch nie so gut wie heute: wer nämlich einen Stoff wirklich bewältigen will, was in der Regel voraussetzt, daß er damit etwas Konkretes anstellen will, kann heute in der größte Bibliothek der Welt herumgoogeln und hat damit Ausgangsvoraussetzungen, die ideal für eigenständiges Lernen sind, und ich postuliere hier, daß jeder ein Autodidakt ist, viele das aber nicht (mehr) wissen. Schließlich lernt jedes Kind eine Sprache ohne Wörterbuch und Grammatik, verfügt also über eine Fähigkeit, die im späteren Leben verlorengeht – durch die Erziehung, wie ich behaupte. Darüber werden wir in den nächsten Tagen verschärft nachdenken.

Links zum Thema

Latein in der Schule: vom modernen Nutzen einer alten Sprache | Prüfungsstrategie: Warum der Mitschreiber durchfällt | Igor Ansoff und die Kämmerlinge: Über die dringende strategische Neuausrichtung der IHK-Lehrgänge (interne Links)

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