Markt und Moral – wie es um die Verfassung unserer Wirtschaft steht

Markt und Moral
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Einige nennen es „ein ethisches Dilemma“, Markt und Moral passen demnach nicht wirklich zusammen. Um es drastischer zu formulieren: Ist die Gier oft größer als der Sinn für ein Arbeitsklima, das allen Beschäftigten gerecht wird? Die Frage polarisiert, wie sich beim 128. Kammergespräch der IHK Nürnberg herausstellte.

Ein Unternehmen, das Gewinne in Milliardenhöhe verbucht, kündigt an mehrere Tausend Arbeitsplätze abzubauen. Ein Hotel ist laufend ausgebucht, doch sein Besitzer lässt die Zimmer von polnischen Putzkolonnen reinigen, die für Stundenlöhne von weit unter dem Existenzminimum arbeiten. Immer mehr Unternehmen verlagern ihre Produktion mit Billiglöhnen in den nahen oder fernen Osten, auf Kosten der Umwelt und der Gesundheit der dort lebenden Menschen – obwohl es in Deutschland mehr als vier Millionen Arbeitssuchende gibt.

Ist das moralisch? Sind moralisches Verhalten und erfolgreiches Wirtschaften für Unternehmer vereinbar? Es war bereits im Jahr 2007 ein zentrales Thema – beim 128. Kammergespräch am 6. Februar in der Stadthalle von Fürth. Es kamen dabei Antworten auf, die nach wie vor an Gültigkeit nicht verloren haben dürften.

„Die Schlacht ist geschlagen“

Bei der Podiumsdiskussion trafen unterschiedliche Meinungen aufeinander. Eigentlich ist alles ganz einfach, so zumindest die Theorie. Markt und Moral gehören zusammen, weil ohne moralische Werte kein verlässliches Wirtschaften möglich ist“, erklärte Ludwig Georg Braun, inzwischen Ehrenpräsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Es liege im Interesse des Unternehmers, nachhaltig zu wirtschaften und seine Partner stets korrekt zu behandeln, um auch in Zukunft mit ihnen Geschäfte machen zu können.

Markt und Moral auf dem gleichen Weg?

Geht die Moral zugunsten der Marktwirtschaft verloren?

Doch wie sieht es in der Realität aus? Dazu der Wirtschafts- und Finanzmarktwissenschaftler Prof. Wolfgang Gerke: „Die Finanzmärkte haben längst weltweit die Regie übernommen. Die Schlacht ist geschlagen. Die Politik, die Gesellschaft ist von den Finanzmärkten entmachtet“, lautet sein polemisch angehauchtes Fazit. Deutschland, Verfechter der sozialen Marktwirtschaft, müsse sich damit abfinden und könne allenfalls versuchen, moralische Ziele vorzugeben, um die Entwicklung ein wenig zu lenken. Doch wie sollen solche moralischen Vorgaben aussehen, und können Unternehmer überhaupt danach handeln?

„Ein Unternehmen muss Sicherheit bieten“

„Damit ein Unternehmen existieren kann, kommt die Moral nicht an aller erster Stelle“, stellte der damalige IHK-Präsident Prof. Klaus L. Wübbenhorst klar. „Wichtiger ist, dass ein Unternehmen Sicherheit bietet, also Arbeitsplätze.“ Und da Moral auch mit Verantwortung zu tun habe, gehöre dazu, dass sich Unternehmen zum Beispiel als Sponsoren engagierten. Ohnehin seien Manager damit beschäftigt, sich den ganzen Tag lang Gedanken darüber zu machen, wie sie ihr Unternehmen im Wettbewerb an der Spitze halten könnten. „Dabei steht das gesamte Unternehmen im Blickpunkt des Managers und – falls es international tätig ist – nicht eine einzelne Region.“

„Die Augen nicht vor der Realität verschließen“

Für DIHK-Präsident war das noch nicht alles: Es sei moralisch korrekter, erklärte er, wenn ein Unternehmen trotz hoher Gewinne Stellen abbaue, anstatt „die Augen vor der Realität zu verschließen“ und dadurch womöglich den richtigen Zeitpunkt für Kosteneinsparungen zu verpassen. Schließlich müsse ein Unternehmen handeln, wenn es die finanziellen Mittel dazu habe.

Dagmar Wöhrl, einst Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, sah dagegen keinen unmittelbaren Widerspruch zwischen den Interessen der Finanzmärkte und der Arbeitnehmer. „Ich glaube, manchmal sollte man auch die positiven Dinge sehen“, sagte sie und wies darauf hin, dass ja auch Arbeitnehmer Aktien besitzen könnten und dann von Kurssteigerungen selbst profitieren. Überdies habe der Eigennutz, Gewinne zu machen, auch eine moralische Dimension: „Denn wer Gewinn macht, kann auch investieren und damit Arbeitsplätze schaffen.“

„Gewinnsteigerung geht meist auf Kosten des Lohnes“

Für Hengsbach geht dies an der Realität vorbei: „Wenn der Gewinn gesteigert wird, geht das meist auf Kosten des Lohnes.“ Die Arbeitseinkommen würden gesenkt, damit der Gewinn steige. Daher sei die entscheidende Frage, wie die Wertschöpfung geteilt werde. Es sei „ein schönes Märchen“, dass Investitionen nur aus Gewinnen und durch Lohnverzicht entstehen könnten. „Sie können auch über ausreichend hohe Löhne entstehen, z.B. über den Konsum“, erklärt er. Die Leistungsträger seien schließlich nicht nur unter den übertariflichen bezahlten Managern zu finden, sondern in allen Ebenen der Unternehmen und der Gesellschaft.

Dennoch, und das gehe aus einer Umfrage hervor, bezeichneten nur drei Prozent der Arbeitnehmer ihre Stelle als „gut“. „Es fehlt also an Motivation“, fasste Hengsbach zusammen. Ein Umstand, den Wübbenhorst so nicht akzeptiert. „Die Unternehmen tun einiges, um ihre Mitarbeiter zu motivieren und in den Arbeitsprozess zu integrieren. Diese drei Prozent entsprechen nicht dem Bild, das ich von den Mitarbeitern in Deutschland habe, und auch nicht dem, was Deutschland braucht“.

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