Will man sich mit dem internationalen Rechnungswesen befassen, so muß man zunächst die grundlegenden Konzepte verstehen. Nur dann ist es möglich, die Einzelvorschriften sachgerecht anzuwenden. Der BWL-Bote hat sich daher immer wieder über die fundamentalen Merkmale der IFRS-Rechnungslegung ausgelassen. In diesem Artikel überlegen wir, was eine Veräußerungsgruppe ist.
Der in IFRS 5 definierte Begriff bezeichnet eine Gruppe zusammengehöriger Vermögensgegenstände, die einschließlich zugehöriger Verbindlichkeiten in einer einzelnen Transaktion veräußert werden soll und hierfür auch tatsächlich verfügbar ist. Die Veräußerungsgruppe kann materielle und immaterielle Vermögenswerte umfassen. Sie kann eine zahlungsmittelgenerierende Einheit (ein Cash Generating Unit) sein oder auch nicht. Maßgeblich ist lediglich die Gruppierung von Vermögenswerten und zugehörigen Schulden.
Diese Gruppierung ist im Prinzip willkürlich, i.d.R. aber aus den Gegebenheiten des jeweiligen Geschäfts abgeleitet. Beispielsweise kann ein Fabrikgebäude mit allen darin befindlichen Maschinen, Anlagen und Ausstattungsobjekten eine Veräußerungsgruppe darstellen, nicht aber eine zahlungsmittelgenerierende Einheit. Schulden wie etwa Hypotheken, die der Veräußerungsgruppe direkt zurechenbar sind, gehören zur Veräußerungsgruppe. Ein Beispiel demonstriert das. Eine (vereinfachte) Beispielbilanz enthält Grundvermögen, sonstiges Anlagevermögen und diverse Verbindlichkeiten:
Vor der Bildung der Veräußerungsgruppe Aktiva Passiva Grundvermögen 500.000 EUR Eigenkapital […] Maschinen und Anlagen 800.000 EUR Verbindlichkeiten 1.000.000 […] […] … EUR … EUR
Das Unternehmen möchte einen Produktionsstandort schließen und als Ganzes an einen Investor verkaufen. Das Grundvermögen, das zu diesem Standort gehört, umfaßt 100.000 EUR und die dort installierten Maschinen sind 200.000 EUR wert. Diesen Vermögenswerten stehen jedoch ebenfalls bilanzierte Verbindlichkeiten i.H.v. 50.000 EUR gegenüber, die dem Vermögen zurechenbar sind (z.B. eine Grundschuld). Sie werden verrechnet und das Ganze wird als eigenständige Veräußerungsgruppe bilanziell ausgewiesen:
Nach der Bildung der Veräußerungsgruppe Aktiva Passiva Grundvermögen 400.000 EUR Eigenkapital […] Maschinen und Anlagen 600.000 EUR Verbindlichkeiten 950.000 Veräußerungsgruppe 250.000 EUR […] […] … EUR … EUR
Der Wert des Grundvermögens und der Maschinen und Anlagen ist entsprechend um insgesamt 300.000 EUR reduziert worden. DieVeräußerungsgruppe wird mit diesen 300.000 EUR abzüglich den zuzurechnenden Verbindlichkeiten i.H.v. 50.000 EUR, also mit250.000 EUR bewertet. Der Investor kann jetzt schon an der Bilanz erkennen, welchen tatsächlichen Wert das Objekt nach Übernahme aller zugehörigen Schulden haben wird.
Ein Gegenstand ist jedoch nur als Veräußerungsgruppe zu klassifizieren und bilanziell auszuweisen, wenn sein Wert im wesentlichen durch Verkauf (und nicht durch Nutzung) des Objektes realisiert wird oder werden soll (IFRS 5.6). Hierzu muß ein aktiv verfolgter Plan bestehen, das Objekt auch wirklich zu verkaufen. Beispielsweise muß gezielt nach einem Käufer gesucht werden und ein Markt für diese Art von Objekt bestehen. IFRS 5.8 nennt hierfür eine regelmäßige Frist von einem Jahr. Umstände, die diese Frist ausweiten, sind jedoch möglich – wenn beispielsweise Fristen wie für die entsprechenden Änderungen des Grundbuches oder für erforderliche Genehmigungen, die sich der Kontrolle des Unternehmens entziehen, so lange dauern. Der Verkauf selbst muß "höchstwahrscheinlich" sein, d.h. Objekte dieser Art müssen in der Regel verkäuflich sein und das Management muß den Verkauf auch tatsächlich beschlossen haben und betreiben.
Ein Vermögensgegenstand, der aufgegeben werden soll, darf nicht als Veräußerungsgruppe klassifiziert werden, weil hier kein Verkaufserlös erwartet wird (IFRS 5.13).
Veräußerungsgruppen sind zum jeweils niedrigeren aus Buchwert und beizulegendem Zeitwert abzüglich Transaktionskosten des Verkaufes zu bewerten. Sie müssen als gesonderter Posten bilanziert werden und dürfen nicht mehr planmäßig abgeschrieben werden. Ungeplante Wertminderungen sind aber möglich und müssen dargestellt werden. IFRS 5.31 ff enthalten eine Vielzahl von Angabepflichten.
Beispiel 1: eine Unternehmung möchte das alte Verwaltungsgebäude veräußern. Ein neues Verwaltungsgebäude ist schon im Bau. Das Management beschließt den Verkauf. Das Gebäude einschließlich zugehöriger Anlagen und Einrichtungsgegenstände sowie einschließlich eventuell bestehender Hypothekenschulden bildet eine Veräußerungsgruppe; es darf aber erst als solche klassifiziert werden, wenn das neue Verwaltungsgebäude fertiggestellt und bezogen wird, so daß das alte Gebäude leergezogen und damit für den Verkauf verfügbar wird.
Beispiel 2: ein Produktionsunternehmen plant die Veräußerung einer Fabrik. Die Grundstücke, Gebäude und zugehörigen Maschinen, Anlagen und Ausstattungsgegenstände bilden eine Veräußerungsgruppe, wenn die Geschäftsleitung den Verkauf beschließt. Die Veräußerung kann mit oder ohne zugehörige Aufträge erfolgen. Wenn laufende Fertigungsaufträge auf den Erwerber übergehen, dieser also die Fertigung fortführt und in bestehende Rechtsverhältnisse eintritt, so kann das Objekt sofort als Veräußerungsgruppe klassifiziert werden. Will hingegen der Veräußerer die Fabrik ohne die zugehörigen Aufträge und Verträge verkaufen, so ist sie erst dann als Veräußerungsgruppe zu klassifizieren und bilanziell auszuweisen, wenn die laufenden Produktionsaufträge entweder abgeschlossen und ausgeliefert oder auf einen anderen Fertigungsstandort übertragen worden sind. Ist eine behördliche oder andere Genehmigung für den Verkauf erforderlich, so kann dies eine weitere Verzögerung bewirken.
[display_podcast]
Links zum Thema: IAS 36: was ist eine zahlungsmittelgenerierende Einheit? | Component Approach: So ähnlich sind die IFRS dem deutschen Steuerrecht | Grundkonzepte im Rechnungswesen: Die Bewertung des Sachanlagevermögens | Grundlegende Definitionen im Rechnungswesen: das undefinierte Vermögen | Skript zum Jahresabschluß nach HGB | Skript zur Rechnungslegung nach IAS/IFRS (interne Links)