Nicht angewandte Rechtsvorschriften im Steuerrecht

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Es wird behauptet, daß zwei Drittel aller weltweit erscheinenden steuerrechtlichen Texte in deutscher Sprache und über deutsches Steuerrecht veröffentlicht werden. Während der BWL-Bote das nicht nachprüfen kann, so ist er doch sicher, daß es selbst in der üppigen Vielzahl der Gesetze, Verordnungen, Richtlinien, Hinweise, BMF-Schreiben, OFD-Verfügungen, Urteile und anderen Rechtsquellen noch immer geltende aber gleichwohl nicht angewandte Rechtsvorschriften gibt.

Im Bereich der Umsatzsteuer zum Beispiel, die ja ohnehin ein bürokratisches Monster ist. §14 Abs. 3 Nr. 1 UStG fordert bei elektronischen Rechnungen bekanntlich seit dem 1. Januar 2004 eine qualifizierte digitale Signatur zur Echtheitszertifizierung. Solche Signaturen sind gemäß §2 Nr. 2 und 3 SigG Signaturen, die ausschließlich dem Signaturschlüssel-Inhaber zugeordnet sind, die Identifizierung des Signaturschlüssel-Inhabers ermöglichen, mit Mitteln erzeugt werden, die der Signaturschlüssel-Inhaber unter seiner alleinigen Kontrolle halten kann, und mit den Daten, auf die sie sich beziehen, so verknüpft sind, daß eine nachträgliche Veränderung der Daten erkannt werden kann. Zudem müssen sie auf einem zum Zeitpunkt ihrer Erzeugung gültigen qualifizierten Zertifikat beruhen und mit einer sicheren Signaturerstellungseinheit erzeugt werden. Ja, das sind ziemlich hohe Anforderungen.

Die derzeitigen Tools zur elektronischen Abrechnung erzeugen i.d.R. sogar völlig ungesicherte PDF-Dateien; selbst wenn diese Dateien ein Schutzkennwort haben (z.B. um Manipulationen zu verhindern), so entspricht das nicht im Entferntesten den genannten gesetzlichen Anforderungen. Dennoch werden selbst von Providern wie der Telekom, 1&1 oder PureTec solche völlig ungeschützten PDF-Abrechnungen versandt. Bislang scheinen sie auch von den Finanzämtern anerkannt zu werden.

Wie lange noch, wage ich nicht zu vermuten, aber sicher noch eine ganze Weile. Schließlich muß man nämlich wenigstens einige Grundzüge der Theorie der asymmetrischen Kryptographie inhalieren um zu verstehen, wie das mit dem öffentlichen und dem privaten Schlüssel funktioniert. Das gilt natürlich auch für Finanzbeamte und Außenprüfer beim Generalangriff auf des Steuerpflichtigen Portemonnaie. Haben das die Behörden nämlich – vielleicht in einer ausgiebigen Schulung? – einmal verschluckt, könnten nämlich erstmals Finanzämter beginnen, alle ungeschützten und nichtsignierten PDFs, die zur Vorsteuererstattung eingereicht werden, abzulehnen. §14 Abs. 3 Nr. 1 UStG würde dann erstmals wirksam angewandt. Das könnte auch rückwirkend geschehen, weil die Vorschrift ja seit Anfang 2004 bereits in Kraft ist. Wer also unsignierte PDF-Rechnungen zur Erstattung anmeldet, muß mit überraschenden Rückforderungen rechnen; wer solche Rechnungen ausstellt, mit plötzlich massenhaft auftretenden Problemen mit den Rechnungsempfängern, die ihre Vorsteuer nicht mehr rauskriegen.

Auch das Europarechtliche Argument ist hier nicht zu vernachlässigen. War das deutsche Signaturgesetz von 1997, das bekanntlich bis heute ein Mauerblümchendasein führt, das Vorbild für die entsprechenden EU-Reglementierungen, so sind doch die derzeitigen Anforderungen in anderen EU-Staaten weitaus geringer. Der deutsche Gesetzgeber meint es wiedermal besonders ernst – und erschwert damit den elektronischen Rechtsverkehr in Deutschland. Ja, noch ein Standortnachteil!

Das alles könnte im Effekt bedeuten, daß sich bald die Gerichte mit dieser interessanten Materie beschäftigen, denn wie ist es beispielsweise mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz u.a. nach Art. 3 Abs. 1 GG und §85 AO, wenn die Exekutive die Rechtsvorschriften mindestens auf längere Zeit nicht verstanden und daher nicht angewandt hat? Bei dem Prozeß, wo ein Richter an einem FG (oder bald sogar am BGH oder gar am BVG?) sich über die Feinheiten der Unterscheidung zwischen Signatur und qualifizierter Signatur (und ihrer bisherigen Nichtanwendung) ausläßt, wäre ich gerne dabei…

Links zum Thema: Auf dem Weg zur virtuellen Steuerprüfung per Suchmaschine | Neue Vorschriften für Rechnungen: Übergangsfrist bis Ende Juni 2004 (interne Links)

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