Schülerleistung ist Lehrerleistung: Über die Auswertung von Klausurergebnissen

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Klausuren sind Höhepunkte des Studentenlebens, nur noch gekrönt von der Diplomarbeit mit der mündlichen Prüfung als Sahnehäubchen, aber auch für die Dozenten sind sie wichtig, denn die Auswertung der Noten erlaubt Einblicke in die Sozialdynamik des Klassenraumes. Dieser kleine Beitrag vermittelt möglicherweise ungeahnte Einblicke.

Das Grundgesetz der Glockenkurve

Ein gutes KlausurergebnisEin Erfolgserlebnis für den Dozenten ist zumeist ein Notenspiegel wie in Beispiel 1, der ungefähr der gauß'schen Glockenkurve entspricht. Dies zeigt dem Lehrenden (und seinem Vorgesetzten), daß die Klasse ein ungefähr einheitliches Niveau besitzt. Besonders Begabte, oder auf Schüler mit besonderen Problemen, können dann individuell gefördert werden, weil zeitliche Ressourcen hierfür zur Verfügung stehen, und es ist mit vergleichsweise wenig Konflikten zu rechnen. Der Lehrende kann ein solches Bild herstellen, indem er intensiv auf die Teilnehmer eingeht und sein Lehrniveau den Fähigkeiten der Schüler anpaßt. Letzteres ist natürlich nicht möglich, wenn das Ergebnis eine standardisierte Prüfung mit bekannten, zumeist hohen Anforderungen ist. Man kann aber, was eine alte Lehrererfahrung ist, nur wenig fehlende kognitive Fähigkeiten mit intensiver Seelenmassage wettmachen: fehlt das Erfolgserlebnis, verflüchtigt sich die Glockenkurve.

Zu gute Ergebnisse sind verdächtig

Manche Dozenten werden selbst an den Prüfungsergebnissen ihrer Teilnehmer gemessen, oder haben vor möglichen oder befürchteten Beschwerden der Teilnehmer Angst, was in beiden Fällen schlecht ist, denn es belohnt das Frisieren von Klausurergebnissen durch zu leichte Aufgaben. Hat also die Mehrzahl mit "1" bestanden, und fällt die Glockenkurve dann steil ab so daß niemand schlechter als 3 ist, so liegt der Verdacht nahe, daß die Klausur ihren Zweck nicht erfüllt hat – denn es sollte nicht zu schwer sein, aber auch nicht zu einfach. Solcherart frisierte Prüfungen werden übrigens oft nur durch Zeitverknappung entschieden, was auch den Teilnehmern gegenüber sehr unfair ist.

Doppelte Glockenkurve ist doppelter Streß

Ein uneinheitliches und damit schlechtes ErgebnisBeispiel 2 zeigt einen Notenspiegel, der ungefähr zwei parallele Glockenkurven aufweist: eine Gruppe von Lernenden "hat es geschafft" und erbringt gute Ergebnisse während eine andere Gruppe nicht mitgekommen ist und durchfällt. Nur sehr wenige Ergebnisse liegen in der Mitte: die Klasse ist in zwei einander gegenüberstehende Gruppen zerfallen. Diese Situation ist hochproblematisch, weil es zu Spannungen zwischen den beiden Gruppen kommen kann ("Ihr Streber!", "Ihr Nulpen!"), oder, was schlimmer ist, zu einer Konfrontation zwischen der ganzen Kasse und der Lehrkraft ("zu schnell!"). Hat sich die Klasse aber erstmal gegen den Lehrer solidarisiert, ist in aller Regel das Vertrauensverhältnis gebrochen und ein Neuanfang mit einem anderen Lehrer unausweichlich. Erfahrene Dozenten erkennen eine solche Situation schon im Entstehen und werden entsprechend gegensteuern, was uns zur Frage nach Ursachen und Lösungen bringt.

Ursachenanalyse und Lösungsansätze

Hier greift der alte Satz von der Schülerleistung, die angeblich Lehrerleistung sei: in "guter" alter DDR-Tradition interpretieren besonders Schüler der "unteren" Gruppe die Zweiteilung der Klasse als pädagogische oder fachliche Unfähigkeit des Lehrenden. Während das zutreffen kann, sind andere Ursachen mindestens ebenso wahrscheinlich: So stecken die Bundesagenturen für Arbeit oft sehr unterschiedliche Leute in ein- und dieselbe Lehrveranstaltung. Man hat dann Anfänger vor sich und gleichzeitig Leute, die schon Jahre im Fachgebiet gearbeitet haben: erstere fühlen sich überfordert und letztere langweilen sich. Die seit Jahren andauernden Kürzungsorgien und Streichkonzerte verschärfen das Problem, weil bei immer weniger Teilnehmer auch keine Einstufungen in den Teilnehmern angemessene Veranstaltungen mehr vorgenommen werden können. Das verheizt gute Dozenten, die zunehmend in die Industrie oder in andere Jobs abwandern.

Was uns schlechte Ergebnisse zu sagen haben

Das ist nicht unbedingt ein schlechtes KlausurergebnisIm dritten Beispiel sind von 22 Teilnehmern 12 durchgefallen, was auf den ersten Blick ein katastrophales Ergebnis ist, aber eben nur auf den ersten Blick: Die Glockenkurve zeigt nämlich auch eine gewisse Homogenität in den Prüfungsleistungen der Teilnehmer. Das Resultat kann also auf einen Dozenten hindeuten, der zu hohe Ansprüche stellt, so daß die Mehrheit durch die Klausur rasselt; es kann aber auch sein, und das ist häufiger als man glauben mag, daß der Dozent angewiesen wurde, eine (zu) schwere Prüfung zu stellen, so daß eine vorgesetzte Stelle das Sieb schütteln kann. Das kann mehrere Ursachen haben: so ist bekannt, daß manche Bildungsabschlüsse nicht zu oft vergeben werden sollen, damit der Marktwert des Zeugnisses nicht fällt. Auch wollen sich manche Bildungseinrichtungen durch schwere Prüfungen profilieren. Hier steckt die etwas verquere Logik dahinter, daß schwere Klausuren ein Qualitätsmerkmal wären (sie können aber auch ein zeichen unfairer oder inkompetenter Fragestellung sein). Schließlich sind manche Personaler zu feige, selbst zu entscheiden, so daß sie einer Prüfung die Entscheidung über Einstellung oder Ablehnung, Kündigung oder Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überlassen: Der Dozent soll die Drecksarbeit tun. Nicht schön, aber dafür häufig.

Links zum Thema

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