BWL 4.0 versus „Klassiker studieren“

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Wer Betriebswirtschaftslehre studieren möchte, sollte bei der Wahl der Hochschule auch daran denken: Teils sorgt der digitale Wandel hier schon für innovative Lernmethoden, teils ist man davon noch weiter entfernt. Dennoch, so fanden zwei „WiMis“ der Uni Regensburg heraus, ist längst nicht alles veraltet, nur weil es analog ist. Vielmehr entdeckte man hier den Erkenntniswert betriebswirtschaftlicher Klassiker für das Studium.

 

Es ist noch gar nicht so lange her, da schrieb die FAZ, die Betriebswirtschaftslehre gelte „oft als verstaubtes Fach mit Frontalvorträgen und überfüllten Hörsälen. Dabei halte „die BWL 4.0 längst Einzug: Studenten chatten mit Dozenten, gucken Vorlesungen im Netz und lernen per Smartphone-App“, heißt es in dem im Mai 2015 erschienenen Artikel weiter. Die digitale Transformation vollzieht sich hier demnach „fast unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit“.

Digitale Lernmethoden im BWL-Studium

Inzwischen dürfte sich herumgesprochen haben, dass Tablets und andere digitale Lernmittel zunehmend auch an Hochschulen genutzt werden und man seinen „Prof“ heute oft auch per WhatsApp & Co. erreichen kann. Besonders beim Fernstudium oder/und berufsbegleitenden Studium ist Blended Learning längst weit verbreitet: Beim „Integriertes Lernen“ werden traditionelle Präsenzveranstaltungen und verschiedene Varianten von eLearning didaktisch miteinander verknüpft.

Doch die digitalen Lernmethoden reichen noch viel weiter. Gerade bei tendenziell überfüllten Hörsälen setzt man zunehmend auch auf Vorlesungen per Livestream oder Aufzeichnungen von Lehrveranstaltungen, die dann digital zur Verfügung stehen. Je nach Hochschule sind auch Anwendungen wie Online-Tutorien, smartphone-basierte Voting-Systeme (TED), webbasierte Lernplattformen oder elektronische Hausaufgaben- und Klausursysteme verbreitet – bis hin zum kompletten eCampus mit zentralem Zugang zu den Onlinediensten der Hochschule. Den gibt es zum Beispiel an den Universitäten Göttingen, Bonn und Kassel sowie an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden.

Flipped Classroom: „Umgedrehte“ Lehrveranstaltungen

Noch vergleichsweise selten ist der „Flipped Classroom“ (auch: Inverted Classroom) vorzufinden. Hier zeigt sich die Leibniz Universität Hannover innovativ: Bei der umgedrehten Lehrveranstaltung erhalten die Studierenden per Flowcasts-System zum Beispiel Texte oder Vortragsaufzeichnungen, die sie zuhause selbständig erarbeiten. In den Lehrveranstaltungen werden dann offene Fragen geklärt und/oder Übungsaufgaben gemeinsam bearbeitet. Per eFeedback erhalten sowohl die Studierenden eine Rückmeldung darüber, was sie verstanden haben. Die Lehrenden wiederum erfahren auf digitale Weise, was die Mehrheit der Studierenden nicht verstanden hat. Diese Verständnislücken werden dann in der Lehrveranstaltung gefüllt. Als einer der Pioniere für dieses Konzept gilt bei BWL Prof. Stefan Helber. Er hatte in Hannover seine Grundlagenveranstaltung im Fach Produktion als Inverted Classroom gestaltet.

BWL-Klassiker: Nach wie vor gültige Einsichten

Eins jedoch können digitale Lernumgebungen nicht ersetzen: den Wert klassischer, häufig Jahrzehnte alter Bücher und Artikel. Diese Erkenntnis stammt nicht von den digitalen Wandel verteufelnden Muttis, sondern von zwei Nachwuchswissenschaftlern am Lehrstuhl für Controlling und Logistik der Universität Regensburg. Christian Brabänder und Maximilian A. Lukesch zeigten 2017 in einer gemeinsamen Publikation auf, weshalb es auch heutzutage noch äußerst wertvoll ist, Klassiker zu studieren: Denn die darin formulierten Einsichten und Empfehlungen sind nach wie noch gültig und lassen sich praktisch anwenden. Wie die Uni Regensburg mitteilt, vertreten die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter diesen Anspruch auch in der Lehre: Neben eLearning, Softwareunterstützung und interaktiven Lehr-Lernmethoden zählt das Selbststudium empfohlener klassischer Literatur weiterhin zu den Lehrmethoden des Lehrstuhls.

Ein Klassiker definiert sich dabei nicht über sein Alter, sondern über die Zeitlosigkeit, Andersartigkeit und Erfolgsnachhaltigkeit seines Inhalts. Ein Buch, das sich mit der Informationstechnik der 1940er-Jahre beschäftigt, kann somit nie zu einem Klassiker werden – ebenso wenig eines, das nie in größerem Rahmen von Wissenschaft und Praxis rezipiert wurde. Zeitlosigkeit meint hier vielmehr prototypische, fundamentale Probleme des Fachs zu erschließen. Andersartigkeit bezieht sich auf den „Game Changer“-Charakter des Klassikers, der einen anderen Weg als seine Zeitgenossen gedacht hat. Die Nachhaltigkeit des Erfolgs beschreibt, ob es dem Werk gelungen ist, die BWL nachhaltig zu beeinflussen und auch lange nach Erscheinen als Primärquelle der Forschung zu dienen. In seiner Funktion setzt ein Klassiker daher Grenzsteine, hinter die die Disziplin nicht mehr zurückfallen soll.

„Ein Buch von vorne bis hinten lesen“

Die beiden Wirtschaftswissenschaftler sind sich daher einig: Auch Studierende, die digitale Lernmittel gewohnt sind, sollte mal „ein ganzes Buch von vorne bis hinten lesen“ und nennen dabei Klassiker wie zum Beispiel das 1947 erschienene Werk „Administrative Behavior. A Study of Decision-Making Processes in Administrative Organizations“ von Herbert A. Simon (2016-2001). Der Verfasser wurde 1978 für seine bahnbrechende Erforschung der Entscheidungsprozesse in Wirtschaftsorganisationen mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Er gilt als Begründer der modernen Organisationstheorie.

All dies zeigt also: Digitaler Wandel und analoges Studieren sind kein Widerspruch, sondern können sich bestens ergänzen.

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