Kein Bewerbungsverfahren ist bei den Kandidaten so gefürchtet und bei den Unternehmen so beliebt: Assessment Center sind mittlerweile das Allheilmittel der Personaler. Doch immer mehr Kritiker zweifeln an der Nützlichkeit der gängigen Verfahren.
Rollenspiele und Gruppendiskussionen, Kurzpräsentationen und die berühmte Postkorb-Übung: Viele Arbeitnehmer können das ABC des Assessment Centers wohl mittlerweile im Schlaf. In der heutigen Arbeitswelt sind sie allgegenwärtig. Es ist, als würde eine Art Wettrüsten stattfinden zwischen den psychologisch ausgefeilten Tests der Personalabteilungen und den zahlreichen ausgefuchsten Coaching- und Ratgeberseiten, die die Bewerber in der Vorbereitung ebenfalls mit allen Wassern waschen. Sogar die Süddeutsche Zeitung räumt dem Thema Assessment Center mittlerweile eine eigene Seite ein, die verunsicherte Bewerber mit Tipps, Tricks und Hintergrundinformationen versorgt.
Seit das Verfahren in den 1980ern aufkam, erfreut es sich immer größerer Beliebtheit. Heute nutzen rund drei Viertel der deutschen Unternehmen Assessment Center, um neue Mitarbeiter zu finden. Dabei ist das Verfahren langwierig und alles andere als kosteneffizient. Nach einhelliger Meinung lohnt sich der Aufwand dennoch. Viel teurer kommt es ein Unternehmen zu stehen, wenn es über Jahre hinweg die falschen Personen an den falschen Stellen beschäftigt, so das Argument.
Irren ist menschlich – auch bei Personalmanagern
Ob Assessment Center ihrem guten Ruf wirklich gerecht werden, das präziseste Verfahren zur Prüfung der Qualifikation von Mitarbeitern zu sein, ist unter Experten umstritten. Denn die Methode, Bewerber und Beobachter in einer Gruppe zusammenzubringen und verschiedenen Praxistests zu unterziehen, hat ihre Schwachstellen. Am Häufigsten sind das die Beobachter selbst: Da entscheiden persönliche Sympathien mehr als Fachwissen, und extrovertierte Bewerber, die aus der Gruppe hervorstechen, bekommen mehr Aufmerksamkeit als stillere Bewerber, die zuerst nachdenken, bevor sie etwas sagen. Der laute und selbstbewusste Auftritt einiger Kandidaten kann so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, dass der Blick auf Fachkompetenz, analytische Fähigkeiten und logisches Denkvermögen daneben auf der Strecke bleibt.
Um diesen ganz normalen menschlichen Fehlern zu entgehen, ist ein hohes Maß an Professionalität vonseiten der Unternehmen vonnöten. Doch genau das ist, seitdem Assessment Center im Mainstream des Personalwesens angekommen sind und man das „eben so macht“, häufig nicht mehr der Fall. Stattdessen werden die Verfahren oftmals von Laien oder – ebenfalls typisch – von Psychologie-Studenten entworfen und ausgewertet. Die hohe Professionalität, welche die eignungsdiagnostischen Werkzeuge eines Assessment Centers erst wirksam macht, ist somit in vielen Unternehmen nicht gegeben.
Bewerbungsgespräche bringen oft mehr
Und so gerät das inzwischen schon gute alte Assessment Center immer wieder ins Visier kritischer Experten. 2007 wollen zwei US-Wissenschaftler in einer Studie herausgefunden haben, dass die durchschnittliche Validität von Assessment Centern bei einem Referenzwert von 26 Prozent liege (und nicht, wie bis dahin angenommen, etwa um 37 Prozent). Ein katastrophales Ergebnis, das im Grunde besagt, dass viele Assessment Center alles Mögliche sein mögen – brauchbare Verfahren, um die Eignung potenzieller Mitarbeiter festzustellen, sind sie nicht. Kein Wunder, dass auf den Fluren der Personalabteilungen schon der ein oder andere Assessment-Center-Witz kursiert.
Studien belegen, dass die durchschnittliche Validität der Assessment Center seit Mitte der Nuller-Jahre kontinuierlich abgenommen hat. Die durchschnittliche diagnostische Qualität eines gut geführten Bewerbungsgesprächs ist dagegen ungebrochen hoch. Experten mahnen daher immer wieder, Assessment Center richtig durchzuführen (was sie natürlich noch aufwendiger und kostspieliger macht) – oder gar nicht. Beides stößt in den meisten Unternehmen auf wenig Gegenliebe – eine Trendwende scheint trotz konstanter Kritik nicht in Sicht. Assessment Center haben sich eingebürgert, die Unternehmen und die Bewerber haben sich gleichermaßen darauf eingestellt, und niemand ändert gerne seine lieben Gewohnheiten – auch nicht Personalmanager.