Nachlese zum Buchstart: Investition, nicht »Investment Theory«

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Jeder Buchstart ist ein besonderes Erlebnis, aber der meines neuen Buches "Investitionsrechnung" war wie keiner je zuvor: er offenbarte auch kulturelle- und Mentalitätsunterschiede, die über den eigentlichen Verkaufsstart hinausweisen. So monierte ein Leser, daß ich doch gar nicht über "Investment Theory" geschrieben hätte. In der Tat, das habe ich nicht. In meinem Buch geht es um Investition, und das ist was ganz Anderes.

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Man mag von Anglizismen halten, was man will, aber "Investment Theory" ist eben keine gute Übersetzung für meinen Buchtitel "Investitionsrechnung". Der angelsächsische Gebrauch des Begriffes hat nicht denselben Inhalt wie der deutsche Sprachgebrauch.

So gehe ich bekanntlich davon aus, daß Investition die produktive Verwendung von Mitteln ist, sich also nicht nur auf der Aktivseite der Bilanz abspielt, sondern auch in der unternehmerischen Wertkette. Durch die Kombination von Produktionsfaktoren im Betrieb entstehen aus potentiell nützlichen Gütern tatsächlich nützliche Produkte. Nützlichkeit ist dabei menschliche Bedürfnisbefriedigung: mit Rohöl kann ich wenig anfangen, aber mit Benzin, Gas und dem Rest eine ganze Menge. Die Bewertung dieser Wertkette, also der Nutzbarmachung der Natur zur Verbesserung unseres Lebens, das ist Investition.

Eine Folge davon ist mein grundlegendes Postulat der großen Nähe zwischen Investitions- und Kostenrechnung. Kosten bewerten Produktionsfaktoren, und Investition ist die nützliche Verwendung eben dieser Faktoren: beides sind zwei Seiten ein- und derselben Medallie. Das nunmehr neu erschienene Buch "Investitionsrechnung" (ISBN 978-3-527-50468-8) ist daher einfach die Fortsetzung bzw. Ergänzung meines im letzten Jahr erschienenen Buches "Kosten- und Leistungsrechnung" (ISBN 978-3-527-50388-9). Ich weiß natürlich, daß ich damit gegen einige Leerbuchweisheiten verstoße, und genau da beginnt der sprachliche Abgrund.

So hat "Investment Theory" im "modernen" englischen Sprachgebrauch nämlich nichts mehr mit Produktionsfaktoren, und also mit gesellschaftlicher Nützlichkeit zu tun, sondern nur noch etwas mit Zins und Zahlungen. Die "modernen", meist US-amerikanischen Vertreter der Zunft haben keinen Kostenbegriff mehr, nichtmal mehr sprachlich: "cost" ist eben so wenig "Kosten" wie der Anschaffungskostenbegriff einer Kostenart entspricht. Das aber läßt tief blicken, denn es geht eben nicht mehr um kollektiven Nutzen durch Faktorverwertung, sondern um individuelle Bereicherung in barem Geld. Das aber ist keine "Investition", sondern "Investment Theory".

Wie unmodern diese vorgeblich zeitgemäße Sichtweise ist, müßten wir aber gerade in der Finanzkrise endlich gelernt haben. Durch Klimaschwindel, Emissionshandel und Derivatetransaktionen kann sich der "Investor" nämlich auf Kapitalmärkten immer mehr an der künstlich herbeigeführten Verknappung für Konsumenten und konstruktiv arbeitende Betriebe bereichern. Die Energiepreisanhebungen sind nicht mehr faktorgetrieben, schon gar nicht knappheitsinduziert, wie man es auf Märkten erwarten würde. Öl, Kohle und Uran gibt es noch für Tausend Jahre, mindestens. Solche Preisanhebungen sind daher politisch, und sie dienen dazu, die Finanzwirtschaft zu bereichern. Sie sind nicht gesellschaftlich nützlich, sondern in hohem Maße schädlich. Sie erhöhen nicht unsere Macht über die Natur, und damit unseren Wohlstand, sondern sie dienen der Ausbeutung der Arbeitnehmer und produktiven Betriebe durch eine nutzlose politische Kaste. Das ist, in wenigen, harten Worten, der Unterschied zwischen "Investition" und "Investment Theory".

Es wundert daher nicht, daß in der "Investment Theory" nicht mehr von Maschinenrechnung die Rede ist, höchstens von naiven Konzepten wie "Total Cost of Ownership". Kein Wunder auch, daß die Investment-Theoretiker keinen Kostenbegriff mehr haben, und Zinszahlungen mit Zinskosten verwechseln. Der Verfall des nützlichkeitsorientierten internen Rechnungswesens ist ein Symptom des Verfalls der Betriebswirtschaft insgesamt, die nicht mehr in gesellschaftlichen Austausch- und Entwicklungsprozessen denkt, sondern in Zahlungen, in Zinsen und damit in individueller Bereicherung. Die einstige Harmonie zwischen individualökonomischen und gesellschaftlichen Zielen ist in Zeiten der Pseudo-Märkte verloren gegangen. Das bedauere ich zutiefst, auch in meinem neuen Buch.

Ich bin ein altmodischer Autor, was nicht nur daran zu erkennen ist, daß dieses Buch, wie alle vorherigen, in der alten Rechtschreibung steht: ich denke noch in Nutzenbegriffen. Zahlungen folgen dem Nutzen, nicht umgekehrt. Die Betriebswirtschaft bewertet unseren Stoffwechsel mit der Natur. Durch Arbeit formen wir die Welt, in der wir leben möchten oder leben müssen. Das mag eine altmodische Sicht sein, aber in von der Finanzwirtschaft herbeigeführten weltweiten Wirtschaftskrise ist diese Sicht möglicherweise moderner als alle US-amerikanischen "Investment"-Theorien.

Links zum Thema: Lehrfolien: Güter, Produkte und die Wertkette | Übersicht: Die wichtigsten Verfahren der Investitionsrechnung | Mindestrentabilität und die Grundlagen der Zinstheorie | Kyoto-Protokoll: Ist der Emissionshandel wirklich ein Marktinstrument? | Klimaschwindel: das schmutzige Geschäft mit der grünen Sklaverei (interne Links)

Literatur:
Zingel, Harry, "Investitionsrechnung", Weinheim 2009, ISBN 978-3-527-50468-8, Amazon.de.
Zingel, Harry, "Kosten- und Leistungsrechnung", Weinheim 2008, ISBN 978-3-527-50388-9, Amazon.de

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