Seit fast einem Vierteljahrhundert bin ich im Bildungsbereich tätig, und beinahe ebensolange erstelle ich Klausuren und Prüfungen. In den verschiedenen Organisationen, für die ich das tue und getan habe, konnte ich Erfahrungen sammeln, wie man faire Klausuren macht – und wie man Leute rausprüft, denn auch das wird bisweilen vom Aufgabenautor verlangt.
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Reihenfolge der Aufgaben
Die meisten Klausurteilnehmer fangen mit der ersten Aufgabe an. Dort muß man sie abholen, und zwar mit einer vergleichsweise leichten Aufgabe. Das Erfolgserlebnis am Anfang entspannt und nimmt die Angst. Der Teilnehmer hat es dann mit dem Rest der Klausur wesentlich leichter.
Hat man keine Lust, eine Nachklausur zu entwerfen, so kann man den Anfangsteil ausdehnen. Sind 40 oder 50% der Fragen von der leichten Qualität, so werden wahrscheinlich alle Teilnehmer bestehen, auch die schwächeren. Mit den Hämmern gegen Ende der Klausur kann man immer noch das Notenbild gestalten – ohne aber einen Nachtermin machen zu müssen.
Klausuren in Gruppen
Viele prüfende Organisationen haben große Klassen und kleine Räume. Das bewirkt, daß die Klausurteilnehmer während sie über den Aufgaben brüten das Exemplar des nahebei sitzenden Nachbarn sehen können. Der Aufgabenautor muß dann eine Klausur in zwei Gruppen schreiben. Das ist ein Fairneßproblem, denn dieselben Fragen mit anderen Zahlen erlauben doch das Abschreiben der Formeln und Konzepte vom Nachbarn. Ganz andere Themen zu wählen führt aber immer zu dem Gefühl, die schwerere Gruppe erwischt zu haben.
Unabhängigkeit der Aufgaben
Während bei Übungsaufgaben und insbesondere in Fallstudien die einzelnen Fragen und Arbeitsschritte aufeinander aufbauen können, man also eine Frage nur lösen kann, wenn man die vorherigen Probleme in den Griff gekriegt hat, darf das in einer Klausur nicht der Fall sein. Hier muß, wer das möchte, auch hinten anfangen können.
Lösungsvorgaben in Klausuren
Ankreuzprüfungen können sehr schnell korrigiert und benotet werden, so daß sie bei Schülern und Auszubildenden häufig sind. Hier fallen nämlich oft sehr viele Klausurexemplare an. Ähnliches gilt für Lückentexte, die als Lehrmittel in den Kindergarten gehören. Leider sind sie allen Ernstes manchmal noch als Prüfungsmethode anzutreffen. Das ist nicht unfair, sondern dumm.
Schwieriger sind offene Fragen, die nach den drei Methoden oder den vier Arten fragen, etwas zu tun oder etwas zu berechnen. Sowas ist nur dann fair, wenn die vorgegebene Unterteilung objektiv ist oder auf einer Rechtsquelle beruht. Hat ein Dozent in einer vorangegangenen Leerveranstaltung seine eigene Unterteilung aufgestellt, dann ist eine Klausurfrage, die gerade diese individuelle Einteilung als richtige Lösung erwartet, wenig fair.
Soll ein Klausurteilnehmer eine Skizze anfertigen, so kann ein Koordinatensystem vorgegeben werden. Das erleichtert die Arbeit des Korrektors. Der Aufgabenersteller muß unbedingt auf die eindeutige Bewertbarkeit solcher Skizzen achten. Das setzt in der Regel Linearität voraus, so daß mit Lineal und Millimeterpapier objektiv geprüft werden kann. Das ist, warum in schriftlichen Klausuren nie nach den Stückkosten gefragt wird: der gebogene Kurvenverlauf läßt zu viel Raum für Interpretationen. Solche Sachen sollte man sich für mündliche Prüfungen aufheben.
Der Nutzen schwieriger Aufgaben
Mit den "Hammeraufgaben" kann man das Notenbild gestalten, u.U. auch nach den bisweilen vorhandenen Vorgaben des Auftraggebers. Schwere Aufgaben zu stellen ist an sich nicht unfair, solange diese Knaller für die Klausurteilnehmer noch machbar sind. Es ist auch nicht unfair, wenn prinzipiell nur 50% der Teilnehmer bestehen sollen – um den Abschluß, der mit der Prüfung erworben wird, höher am Markt zu plazieren. Auch das kann eine dem Aufgabenautor gemachte Vorgabe sein. Problematisch ist es aber, wenn die prüfende Organisation eine eigene, aber sehr schmale Literaturbasis hat, deren Verwendung obligatorisch ist, und die Schwierigkeit der Hammerfragen gerade darin besteht, daß sie keinen Bezug zu den zugrundeliegenden Heften aufweisen. Der kundige Leser weiß, wer hier gemeint ist.
Digitale Klausuren
Bisher sind Klausuren am Computer noch sehr selten – leider, denn in der Wirklichkeit sind Computer nicht mehr selten. Solche Klausuren müssen auf die technischen Gegebenheiten am Ort der Prüfungsdurchführung Rücksicht nehmen, um Störungen wie Abstürze oder durch Schadsoftware oder Schummelversuche wie schnelles Nachschlagen im Internet auszuschließen. Den Umgang mit dem Dateisystem beim Klausurteilnehmer vorauszusetzen, also zu verlangen, daß die Klausurlösung als Datei in einen bestimmten Netzwerkpfad abgelegt wird, ist meines Erachtens nach nicht unfair. Das ist eine Grundfertigkeit und kein Prüfungsthema.
Unfaire Aufgabenausschüsse
Schließlich sind auch nicht alle Aufgabenausschüsse fair, und auch nicht alle Aufgabenersteller. Im akademischen Bereich werden die Klausuren meist vom Lehrenden selbst gemacht. Es gibt keine oder nur wenig Kontrollen. Bei überregional zentral prüfenden Organisationen schreiben die Aufgabenautoren nur einzelne Fragen mit Lösungen und Begründungen, die zunächst einzeln angenommen werden müssen. Aus diesem Material werden dann von ganz anderen Leuten die eigentlichen Prüfungen zusammengestellt, so daß möglichst wenig Leute die endgültigen Aufgabensätze vor dem Prüfungstermin kennen. Bei dieser Zusammenstellung entstehen Fehler und Inkonsistenzen, die die Prüfungsteilnehmer oft bemerken. Da die Aufgabenautoren sich gegenseitig nicht kennen dürfen, können sie sich hinsichtlich anzuwendender Methoden und Konzepte nicht absprechen, was eine Quelle vieler Probleme ist.
Das schlechteste aller Gesellschaftsspiele
Faire Prüfungen zu erstellen ist eine Kunst, die eine gute Kooperation zwischen Auftraggeber und Aufgabenautoren voraussetzt. Leider ist diese gute Kooperation oft nicht gegeben. Es gibt darum noch viel Raum für Verbesserungen beim Unbeliebtesten aller Gesellschaftsspiele.
Links zum Thema: Multiple Choice: Prüfung mit verborgener Härte | Betriebswirt/IHK: Was zum Teufel ist ein »Buying Center«? | Kleine Typologie unfairer Prüfungsfragen | TBW-Prüfung: Ungleichbehandlung durch die Industrie- und Handelskammern | Gescheiterte TBW-Prüfung: die Nullnummer | »Geprüfter Technischer Betriebswirt«: massive Probleme mit der Herbstprüfung 2008 | (interne Links)