Unausrottbare Fehler: Wie fehlerhafte Gewinndefinitionen zu undurchdachten Praktikerlösungen werden

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Im Rechnungswesen gibt es populäre Irrtümer, die zu den schier unausrottbaren Fehlern gehören. Ganz oben in die Liste dieser undurchdachten Praktikerlösungen gehört die Addition von Zinsen gleich welcher Art bei der Rentabilitätsrechnung. Ein ganz ähnliches Problem gibt es bei der Amortisationsrechnung (Beispiel für eine richtige Rechnung). Solche Fehler lassen sich auf eine einheitliche Ursache zurückverfolgen, eine falsche oder fehlende Gewinndefinition. Ohne ein ordentliches Fundament baut man aber kein stabiles Haus. Das gilt auch im Rechnungswesen. Dozenten, Aufgabenautoren und Prüfungsteilnehmer sollten sich das hier also gut anschauen:

Was ist "Gewinn"?

So ist in Studien-, Projekt- und Diplomarbeiten, aber leider sogar in Prüfungs- und Klausuraufgaben oft unkritisch von "Gewinn" die Rede. Sogar eine ganze Klasse von Rechenverfahren ist so benannt, die "Gewinnvergleichsrechnung". Dabei sollte der Gewinnbegriff stets klar definiert werden. Hier gibt es nämlich mehrere Möglichkeiten:

Gewinnbegriff Herkunft
 
Jahresüberschuß (oder Jahresfehlbetrag) = Erträge – Aufwendungen GuV-Rechnung
Betriebsergebnis = Leistungen – Kosten Kosten- und Leistungsrechnung (KLR)
Neutrales Ergebnis = Neutrale Erträge – Neutrale Aufwendungen Nebenrechnung zur KLR
Cash Flow = Einzahlungen – Auszahlungen Kapitalflußrechnung

Anstatt den umgangssprachlichen Begriff "Gewinn" (oder, noch schlimmer, den eigentlich politischen Begriff "Profit") naiv in eine betriebswirtschaftliche Problemlösung zu tragen, muß vorher genau definiert werden, was man im Einzelfall unter "Gewinn" verstehen will. Wird das unterlassen, so ist dies ein schwerer Fehler, der in einer Prüfungsarbeit mit Punktabzug belohnt werden sollte. Und das um so mehr, als dieser Fehler zu schweren Folgefehlern, nämlich den bekannten undurchdachten Praktikerlösungen führt. Schauen wir uns mal an, wie das vor sich geht:

Konsequenzen für die Rentabilitätsrechnung

Allgemein wird die Rentabilitätsformel als Verhältnis zwischen "Gewinn" und einer Bemessungsgrundlage definiert. Häufig ist hierbei (beispielsweise bei bilanziellen Berechnungen), ein Durchschnittskapital zu verwenden:

 

Die traditionelle Formel

Die Formel darf aber nicht wörtlich genommen werden. Der Begriff "Gewinn" im Zähler ist eine Art Platzhalter, der mit dem jeweiligen gewünschten Gewinnbegriff gefüllt werden muß. Beispielsweise kann gerechnet werden:

 

Bilanzielle Rentabilitätsrechnung

"Kapital" ist hierbei natürlich das jeweilige Durchschnittskapital. Auf diese Art erfahren wir, wie hoch der handels- oder steuerrechtliche "Gewinn", also das Ergebnis der Gewinn- und Verlustrechnung, bezogen auf die jeweilige Grundlage des eingesetzten Kapitals ist. Die Rechnung kann steuerlich relevant sein (wenn das steuerbilanzielle Ergebnis als Gewinn eingesbetzt wird), oder handelsbilanziell (wenn das Ergebnis des handelsrechtlichen Abschlusses als "Gewinn" eingesetzt wird). Es wären aber auch ganz andere Rechnungen möglich:

 

Rentabilitätsrechnung aufgrund der KLR

Wird das Betriebsergebnis im Zähler eingesetzt, so erhalten wir ein völlig anderes Bild. Das Betriebsergebnis ist ein Gewinnbegriff, der auf der Kosten- und Leistungsrechnung aufbaut. Beispielsweise gehören die Schuldzinsen in den Jahresabschluß, haben aber in der Kostenrechnung absolut nichts zu suchen. Hier werden kalkulatorische Zinsen verrechnet, in aller Regel von vollkommen unterschiedlicher Höhe. Zwei gänzlich unterschiedliche Rentabilitätsaussagen für dasselbe bilanzielle Kapital zu erhalten, ist also kein Fehler: das sind zwei Sichtweisen derselben Wirklichkeit!

Man kann aber noch auf eine dritte Art und Weise an dieselbe Sache herangehen. Mit Hilfe der Cash Flow Definition erhält man einen weiteren Gewinnbegriff (zahlungsbezogenen) und damit eine dritte Rentabilität:

 

Rentabilitätsrechnung aufgrund der Cash Flow Rechnung

Natürlich muß dem Anwender dieser Rechnung klar sein, daß Zahlungen eben noch lange nicht Aufwendungen oder Kosten sind. Dann aber erfahren wir, wieviel Cent Zahlungsüberschuß pro Euro eingesetztes Kapital in einer Periode übrig bleiben, also etwas ganz anderes als in den beiden vorstehenden Definitionen. Solche Unterschiede sind keine Fehler, sondern nützlich: die Wirklichkeit hat viele Facetten, und die drei Rechenmethoden zeigen unterschiedliche Betrachtungsweisen derselben ökonomischen Realität.

Wird diese Differenzierung unterlassen, oder ignoriert, dann deutet das meist auf Unkenntnis der zugrundeliegenden Definitionen. Wer beispielsweise glaubt, Kosten seien Zahlungen, versteht nicht den Unterschied zwischen Betriebsergebnis und Cash Flow. Wer meint, Schuldzinsen und steuerliche Abschreibungen seien Kosten, erkennt nicht den Unterschied zwischen Jahresergebnis und Betriebsergebnis.

Häufige Fehler bei der Rentabilitätsrechnung

Solcherart mit Unkenntnis geschlagen versuchen sich Prüfungsteilnehmer und leider auch Aufgaben- und Buchautoren an gleichermaßen naiven Rechenmethoden. Die Fehler hinsichtlich der Grundlagen führen dann zu falschen Rechenmethoden, die nicht eine neue Sichtweise auf die Wirklichkeit eröffnen, sondern einfach falsche Resultate erbringen. Zwei solche Fehler sind besonders häufig:

 

Fehlerhafte Rentabilitätsrechnung

Diese verbreitete aber dennoch falsche Rechenmethode verzerrt den Gewinnbegriff. Wird ein Fremdkapitalzins zu einem wie auch immer (un)definierten Gewinn addiert, so erhält man einen falschen Gewinnbegriff und damit eine falsche Rentabilität.

Die Vertreter dieser Irrlehre behaupten, der Fremdkapitalzins sei eine Art vorweggenommener Gewinn der Banken und müsse daher addiert werden, um die "wirkliche" ökonomische Leistungsfähigkeit darzustellen. Das ist aber offenbarer Unsinn, denn wollte man dieser Argumentation folgen, so müßte man die Löhne ebenfalls addieren, denn sie sind von den Arbeitnehmern vorweggenommene Gewinne, und die Müllgebühr ebenfalls addieren, denn sie ist ein von der Stadtwirtschaft vorweggenommener Gewinn, usw.

Anstatt solche schrägen Rechnungen zu machen wäre es besser, eine ordnungsgemäße Gewinndefinition zugrundezulegen. Ein hochverschuldeter Unternehmer würde dann eine kleinere Rentabilität erwirtschaften als ein Unternehmer mit geringer Fremdkapitalquote – wenn der Gewinn als Jahresergebnis zugrundegelegt wird. Das genau vermittelt aber ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild (§238 Abs. 1 Satz 2 HGB i.V.m. §289 Abs. 1 Satz 1 HGB). Wird aber der Gewinn als Betriebsergebnis zugrundegelegt, so wäre zwischen dem hoch- und dem niedrigverschuldeten Unternehmer kein Unterschied, weil Schuldzinsen keine Kosten sind. Auch das entspricht den tatsächlichen Verhältnissen, wenn der Faktoreinsatz (also die Aktivseite) der beiden Unternehmer vergleichbar ist, denn Kosten sind, im Gegensatz zu Aufwendungen und Auszahlungen, Bewertungen des betrieblichen Faktoreinsatzes. Dies wäre zwar umständlicher zu rechnen, würde aber eine "richtigere" Sicht auf die ökonomische Wirklichkeit gestatten.

Ein noch schlimmerer Fehler ist die Addition der kalkulatorischen Zinsen zu einem "Gewinn". Hier offenbaren sich weitere Irrtümer bzw. fehlende Grundlagen:

 

Fehlerhafte Rentabilitätsrechnung

Die Vertreter dieser wirklich krassen Theorie behaupten, der kalkulatorische Zins sei zu addieren, da sich sonst in der Rentabilitätsrechnung eine über den kalkulatorischen Zins hinausgehende Verzinsung ergeben würde. Der Satz beweist aber, daß wer soetwas behauptet, die kalkulatorischen- und die Schuldzinsen zuvor addiert und gemeinsam als Aufwendungen abgezogen hat. Das aber beweist, daß der Unterschied zwischen Kosten und Aufwendungen denen, die so argumentieren, unklar ist – denn kalkulatorische- und Schuldzinsen stehen niemals in derselben Rechnung. Schuldzinsen sind neutrale Aufwendungen, also keine Kosten, während kalkulatorische Zinsen keine Aufwendungen sind. Steht beides in einer Rechnung, dann ist schon das für sich genommen ein schwerer Fehler, der hier zu einem entsprechenden Folgeproblem führt.

Auswirkungen auch in der Amortisationsrechnung

Dieselben Grundlagenfehler führen aber auch oft zu falschen Amortisationsrechnungen. Auch hier führen ignorierte Grundlagen zu unrichtigen Rechenmethoden. Ein Beispiel zeigt das. Grundlegend ist die Amortisation der Rückfluß des investierten Kapitals. Da der Schrottwert einer Anlage durch Restwertverkauf zurückfließt, muß er nicht amortisiert werden. Er wird daher in dieser Rechnung (anders als in der Durchschnittsberechnung oben) subtrahiert:

 

Grundlegende Amortisationsrechnung

Hierbei ist fundamental zu verstehen, daß "Rückflüsse" natürlich nur Geldrückflüsse sein können, denn wenn man Geld auszahlen muß, um eine Anlage zu erwerben, dann kann die Anlage sich auch nur in Geld amortisieren. Diese Formel ist aber ebenso naiv wie die Praktikermethoden hinsichtlich der Rentabilitätsrechnung. Will man genau sein, so muß es heißen:

 

Amortisationsrechnung mit richtigem Gewinnbegriff

Nur der Cash Flow ist nämölich ein zahlungsbezogener Rückfluß. Die Wahl des richtigen Gewinnbegriffes definiert also die richtige Amortisationsrechnung. Leider führt aber ein Mangel an Grundkenntnissen auch hier zu verbreiteten Praktikerlösungen, die alle gleichermaßen naiv und falsch sind. Stellvertretend für viele der bekannteste Fehler:

 

Amortisationsrechnung mit falschem Gewinnbegriff

Die zugrundeliegende Logik ist hier, daß die abschreibung eine nichtzahlungsgleiche Größe ist und daher addiert werden müsse. Der "Gewinn" wird hier oft als Jahresüberschuß verstanden. Die Rechnung ähnelt dann einer stark vereinfachten indirekten Cash Flow Rechnung, wo ja auch die Abschreibungen addiert werden – aber eben nicht nur diese: auch Einstellungen in Rückstellungen oder Bestandsverminderungen sind zahlungsungleiche Aufwendungen, und müßten addiert werden, und (noch) nicht eingezahlte Erträge, Entnahmen aus Rückstellungen oder Bestandsmehrungen an Fertig- und Unfertigerzeugnissen sind zahlungsungleiche Erträge. Sie müßten im Nenner subtrahiert werden. Oder man nimmt eben gleich den Cash Flow. Eine solche Praktikerlösung ist am Ende nur eines: falsch.

Die Betriebswirtschaft hat, wie alle Wissenschaften, ihre Definitionen und begrifflichen Grundlagen. Leider werden diese oft ignoriert – sei es aus Unkenntnis, sei es aus geistiger Unbeweglichkeit, denn die kognitive Leistung, Aufwendungen von Zahlungen und Kosten zu unterscheiden, ist nicht unbeträchtlich. Solche Verkürzungen und Vereinfachungen führen aber auch zu völlig falschen Rechenmethoden, und damit zu unbrauchbaren Ergebnissen. Dozenten wie Autoren aller Art wird daher angeraten, diese Grundlagen entsprechend zu würdigen, denn ohne ein ordentliches Fundament kriegt man kein stabiles Haus zustande. Auch nicht in der Betriebswirtschaft.

Links zum ThemaGesamtkapitalrentabilität: Warum falsche Methoden durch häufiges Nachmachen nicht richtiger werden |Amortisationsrechnung: Warum Fehler durch häufige Wiederholung nicht richtiger werden… | Amortisationsrechnung: wenn die Kröten springen… | Formelsammlung der BWL (interne Links)

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