Methode der kritischen Ereignisse am Beispiel der Jobsuche

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Critical Incident Technique, CIT

Grundprinzipien

Vorteile des Verfahrens
Verfahrensbeschreibung
Stufe 1 Zielbestimmung
Stufe 2 Planung der Erhebung
Stufe 3 Datensammlung
Stufe 4 Datenanalyse
Stufe 5 Interpretation
Literatur
 
Die schweren Dramen verursacht durch menschliches Versagen haben Vorboten. Es sind die kleinen Katastrophen, die Beinahunfälle. Es sind die Situationen, bei denen man zurückblickend sagt: „Puh, dies ist noch einmal gut gegangen“. Diese Beinah-Vorkommnisse sind die zentralen Größen der „Methode der kritischen Ereignisse“. Sie besitzen alles, um frühzeitig und vorausschauend zu erkennen, wie ein Mensch in anspruchsvollen Situationen reagieren wird.
 
Die „Critical Incident Technique“ geht auf Flangan (1954) zurück. Sie wurde zuerst für die Selektion von Piloten der US Army Air Force genutzt, um die Ausbildung von Piloten zu verbessern. Ausgesuchte Piloten erhielten eine Unterweisung, kritische Vorfälle systematisch zu beobachten, zu beurteilen, auszuwerten und zu berichten. Was zu präzisen kritischen Vorfällen führte, so dass gut zwischen erwünschten und unerwünschten Verhaltensweisen trennscharf unterscheiden werden konnte.
 
Mit „kritisch“ sind hier all jene Ereignisse gemeint, an die ein Mensch sich zu einem spätern Zeitpunkt erinnert und sie als positiv oder negativ empfindet. Kritische Vorfälle sind gut geeignet, menschliche Risikofaktoren zu entdecken und zu untersuchen. Sie zeigen besser als alle Erhebungsverfahren die Wechselwirkung zwischen Risikosituation und dem Verhalten einer bestimmten Person.
 
Kurz dargestellt

Kritisches Ereignis
Situation, in der das Verhalten eines Stelleninhabers dramatisch über Erfolg oder Misserfolg entscheidet.
 
Grundüberzeugung
Anhand von kritischen Ereignissen kann man über die Anforderungen eines Stelleninhabers mehr lernen als anhand der 90% (Normal-)Situation.
 
Job-Analyse mit Hilfe des CIT umfasst mehrere Phasen
1. Identifizieren von kritischen Ereignissen
2. Übersetzen der kritischen Ereignisse in erfolgreiches versus erfolgloses Verhalten
3. Selektion von auffälligen Verhaltensmustern
4. Festlegung der erforderlichen Fähigkeiten

Grundprinzipien

Die „Methode der kritischen Ereignisse“ zieht aus drei Quellen ihre Feststellungen. Die immer bei der Anwendung der Technik zu beachten sind:
  • Beschreibung der Situation
  • Verhalten der Teilnehmer und
  • die Ergebnisse der Situation
 Es sind Handlungen, Vorgänge zu entdecken, die so prägnant und bedeutsam sind, dass sie Aussagen über die Kompetenz einer Person ermöglichen und auch Vorhersagen über ihr zukünftiges Verhalten erlauben. Bei der Personalauswahl sind beispielsweise solche Situationen zu finden, in denen sich das Verhalten von geeigneten und ungeeigneten Personen ausreichend scharf unterscheidet. Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist, die so gefundenen Situationen basieren auf realen Vorkommnissen, die identisch sind mit der späteren Arbeitswelt. Die aus ihnen gewonnenen Auswahlkriterien können nun gut in einem Assessment Center oder einem situativen Interview verwendet werden.
 
Wie gewinne ich kritische Ereignisse? Sie sind entweder zu beobachten oder mündlich zu erfragen, selten werden sie schriftlich erhoben. Bei dem Sammeln von Daten sollen die Probanden nur solche Ereignisse schildern, an die sie sich besonders intensiv erinnern. In etwa so, „da hat der Mitarbeiter mich noch abends zurückgerufen und mit mitgeteilt, dass mein Auftrag erledigt wurde“ (= positives Ereignis) oder „die Angestellte ließ mich sage und schreibe zehn Minuten warten, bis sie wieder am Schalter war“ (= negatives Ereignis). Die Ereignisse werden gesammelt, kategorisiert (z.B. Freundlichkeit der Mitarbeiter) und inhaltsanalytisch ausgewertet.
 

Vorteile des Verfahrens

Es ist nach Frieling ein halbstandardisiertes Verfahren, was bewusst keine repräsentativen Ausschnitte der Arbeit betrachten, trotzdem ergeben sich mit der Zeit Grundmuster. Weitere Vorteile des Verfahrens sind:
  • sie ist gut geeinigt, die Qualität einer Dienstleistung/ Stelle zu messen
  • spiegelt die übliche Art und Weise wider, wie Personen denken
  • liefert handlungsrelevante Informationen
  • liefert eindeutige und konkrete Informationen
 

Aufbau und Ablauf der Analyse einer Stelle
Durchführung
Anforderungen
Messung
Beurteilung
Methode
kritische Ereignisse sammeln
Stellenprofil auswerten schriftliche Befragung
situatives Interview
 
Analytische Auswertung
Feedback-Gespräch mit der GF
Ergebnisse
Schlüsselqualifikationen
Kompetenzprofil
Analyseprofil
 
Profile
Anforderungsprofile für Arbeitsplätze sollen kurz und knapp veranschaulichen, was ein Mitarbeiter alles an Fähigkeiten mitbringen soll. Meistens sind sie aber nur eine Liste von Wünschen. Sie stellen bei der Personalauswahl nur in einem geringen Maß eine Entscheidungshilfe dar, ob eine Person die Arbeit tatsachlich schaffen wird oder nicht. Die geforderten Kriterien sind kaum oder nur zu einem Teil mit den faktischen Erfordernissen der Stelle deckungsgleich.
 

Verfahrensbeschreibung 

Stufe 1 Zielbestimmung

Am Anfang steht die Frage „Welchen Sinn hat es überhaupt nach angemessenen und erfolgreichen Verhaltensweisen zu fragen?“ Die Frage beinhaltet die Ungewissheit, „Was sind überhaupt die Zielkriterien, nach denen eine Handlung oder Ereignis beurteilt wird?“
 
Bei Personalentscheidungen ist es wichtig, eine präzise Vorstellung über das Assignment „die Schlüsselaufgabe“, den Auftrag zu haben, der in der nächsten Zeit höchste Priorität haben wird. Es hat absolute Klarheit über den Schwerpunkt der Stelle zu herrschen, in Abhängigkeit der aktuellen Lage des Unternehmens. Stellen oder Stellenbeschreibungen sind immer ein Konglomerat an Aufgaben, die an einem Punkt organisatorisch zusammengefasst werden.
 
Beispiel –Fragen:
Zur Stellenanalyse
Was sind die normalen Aufgaben der Arbeit? Welches sind typische Zwischenfalle, die sich bei Arbeit ereignen? Was tut der Mitarbeiter in diesen Situationen? Wie fühlt sich der Mitarbeiter in diesen Situationen?
 
Zu den Assignment
Was ist der tatsächliche Auftrag der Stelle? Was ist die Kernaufgabe? Was muss zum Gelingen des Vorhabens beigetragen werden? Welche Voraussetzungen hat die Person unbedingt mitzubringen?
 
Beispiel -Fragen zur Führungskompetenz:
Was ist Führungskompetenz und in welchen Situationen wird Sie deutlich?
Was würden Sie sagen, ist die Kernaufgabe von Führung?
Was sind die guten Kriterien des Führens?
In wenigen Worten, wie würden Sie allgemein Führung beschreiben?

Stufe 2 Planung der Erhebung

Wie kommt man nun zu brauchbaren Daten? Der nächste Schritt ist, zu planen wie die Daten erhoben werden. Folgende Schlüsselfragen beim Gebrauch der Methode sind zu stellen: Was sind die relevanten Ereignisse und Umstände: Ort, Platz, Personen, Handlungen, Bedingungen? Was wurde genau gemacht? Quelle der (Un-) Zufriedenheit, folgen.
 
Es sollten positive als auch negative Ereignisse erfragt werden. Wichtig dabei ist, zuerst die positiven und dann die negativen Ereignisse zu erfragen. Diese in der Praxis bewährte Vorgehensweise führt dazu, dass 10% mehr Ereignisse als in umgekehrter Reihenfolge von den Befragten genannt werden.
 
Die Befragten sollten als Experten angesprochen werden und zu dem gestellten Thema kritisch befragt werden. Ein Einstieg in das Interview könnte sein: Wir arbeiten an einer Studie über (Thema). Wir glauben Sie sind gut geeignet und qualifiziert genug, um uns über das spezielle (Thema) etwas sagen zu können, was unsere Studie weiterbringt.
 
Was würden Sie sagen, ist das Hauptziel/ der Kern des Themas -in wenigen Worten?
Was würden Sie sagen, ist die Hauptaufgabe/ der Kern ihres Jobs -in wenigen Worten?
Sagen Sie in wenigen Worten etwas zu (Thema)  

Stufe 3 Datensammlung

Der Königsweg die Daten zu sammeln bei diesem Verfahren ist die direkte Beobachtung von Verhaltensweisen. Aus pragmatischen Gründen können allerdings die Daten auch in Einzelinterviews, Gruppeninterviews und sogar mit Hilfe von Fragebögen erhoben werden.
 
Die Anzahl der erhobenen „kritischen Ereignisse“ ist gleichzusetzen mit der Stichprobegröße. Die Stichprobegröße ist ein statistisch relevantes Kriterium für die Glaubwürdigkeit einer Untersuchung. Nach Flanagan, dem Erstanwender des Verfahrens sollten mindestens 50 „kritischen Ereignisse“ erhoben werden. Allerdings können auch Stichprobengrößen unter 50 aber größer als 30 „kritischen Ereignisse“ aufgrund des zentralen Grenzwertsatzes akzeptiert werden. Kernaussage des zentralen Grenzwertsatzes ist, dass ab einer Stichprobengröße von 30 Beobachtungen alle statistischen Verteilungen zur Normalverteilung tendieren.
 
 Zu Erfragen sind immer:
Was passierte genau? (Handlung)
Wer genau machte was? (Handelnder)
Wer oder was waren der Gegenstand des Vorfalles? (Gegenstand)
Wo fand der Vorfall statt? (Ort)
Wann fand der Vorfall statt? (Zeit)
Wie bewerten Sie das Ereignis? (Bewertung des Ereignisses)
 
Fragebeispiele
Können Sie sich an Ereignisse erinnern, die Ihnen ganz besonders positiv oder negativ erscheinen, zu (Thema)?
Beschreiben Sie mal, was zu der Situation führte.
Wie hat sich die Situation weiterentwickelt?
Beschreiben Sie die Vorfälle genau mit allen Einzelheiten? Was war die eigentliche Quelle der (Un-) Zufriedenheit? Welche Schritte haben Sie unternommen, um die Situation aus der Welt zu schaffen? Welche Reaktionen sind gezeigt worden?
 
Denken Sie an eine Situation, in der ein Vorgesetzter etwas machte, was sie als ermutigend empfanden und Sie der Meinung sind das ist ein gutes Beispiel für ein gelungenes Führungsverhalten.
 
Denken Sie an eine Situation, in der ein Vorgesetzter von Ihnen, nach Ihrer Meinung gutes Führungsverhalten zeigte, so dass Sie sagen, genau so handelt eine gute Führungskraft.
 
Denken Sie bitte an Ihre Erfahrungen mit der GF?
Denken Sie an ein Beispiel für das Arbeitsverhalten eines Mitarbeiters, welche besonders gut effektive oder besonders ineffektive Mitarbeiterführung veranschaulicht.

 

Beschreiben Sie die Situation und das fragliche Verhalten möglichst konkret.
Stellen Sie dazu die folgenden Fragen:
·         Was waren die Umstände oder Hintergrundbedingungen, die zu diesem Verhalten führten?
·         Beschreiben Sie das konkrete Verhalten des Mitarbeiters. Was war besonders effektiv oder ineffektiv an diesem Verhalten?
·         Was waren die Konsequenzen dieses Verhaltens? 

Stufe 4 Datenanalyse

Sind die Ziele hinreichend geklärt und werden mehr als 30 „kritische Ereignisse“ untersucht, so sind die auszuwertenden Daten als ausreichend valide anzusehen.
Trotzdem können Probleme auftauchen:
a) Erkennen eines Bezugsrahmens
Obwohl schon durch die Zielbestimmung ein Rahmen gesetzt wird, sollten die Daten auf Handlungscluster hin untersucht werden.
b) Bildung von Kategorien
Empfehlungen
Überschriften finden
·         bedeutungshaltig
·         verständlich
·         leicht erinnerbar
 
Was sind überhaupt die wichtigsten Anforderungen nach der wir das Verhalten beurteilen und die Leistung bewerten sollen? Zur konkreten Verhaltensbeurteilung hat der Analysierende zwei grundlegende Blickrichtungen im Auge zu behalten. Bei den erzählten Ereignissen stehen entweder die Situation oder die Person im Mittelpunkt und ihre Eigenschaften, Rollen und Eignungen:
Steht die Situation im Mittelpunkt der Beschreibung so geht es um die Frage, welche Anforderungen führen zu dieser Situation?
 
Steht die Person im Mittelpunkt, so geht es um die Fragen der Fähigkeit und Eignung. Welche Fähigkeiten sind notwendig, um die kritische Situation zu meistern?
 

Stufe 5 Interpretation

Gibt es einen Bias? Sind die gefundenen Gruppen oder Kategorien repräsentativ?
 
 

Literatur

Flanagan, C.J.: The Critical Incident Technique, Psychologie Bulletin 51, 1954, S. 327 -358
Malik, Fredmund: Führen, leisten, leben. Wirksames Management für eine neue Zeit, [Neuausg.] Aufl., Frankfurt am Main 2006, S. 103 ff.
Pelzmann, Linda: Die “Critical Incident” Methode Schriftenreihe “mzsg forum“, St. Gallen 2001
Rosenstiel, Lutz von: Grundlagen der Organisationspsychologie. Basiswissen und Anwendungshinweise, 5., überarb. Aufl., Stuttgart: Schäfer Poeschel Verlag 2003
Reuschenbach, Bernd: Grundlagen der Critical Incident Technique, 2000
Wolff Stephan: Organisationsdiagnose, Vorlesungsfoliensatz Sommersemester 2003

 

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