Unter dem sogenannten Verrechnungsverbot im Sinne des §246 Abs. 2 HGB versteht man das Verbot der rechnerischen Zusammenfassung von Aktiva und Passiva, von Aufwendungen mit Erträgen und von Grundstücksrechten mit Grundstückslasten. Das Verrechnungsverbot ergibt sich aus dem Grundsatz der Klarheit, dem Grundsatz der Übersichtlichkeit und dem Vollständigkeitsprinzip und dient primär dem Gläubigerschutz und sekundär dem Informationsnutzen des Jahresabschlusses. Das Verrechnungsverbot eignet sich aber auch gut, die Widersprüche in den Grundprinzipien des Rechnungswesens herauszuarbeiten.
Traditionell kennt man nämlich eine Reihe von Ausnahmen, in denen eine Verrechnung gestattet ist. Diese Ausnahmen sind bisher meist in der bürgerlich-rechtlichen Aufrechnung im Sinne der §§387 ff BGB begründet, wenn ein- und dieselbe Person Gläubiger und Schuldner zugleich ist. So dürfen die folgenden Posten schon immer verrechnet werden:
- aufrechenbare Forderungen und Verbindlichkeiten, wenn etwa ein Lieferant gleichzeitig Kunde ist, dürfen verrechnet werden. Die Verrechnung ist dann gerade eine Aufrechnung (§§387 ff BGB).
- Kontokorrentkonten bei dem gleichen Kreditinstitut dürfen ebenfalls verrechnet werden. Auch dies ist eigentlich nur eine bürgerlich-rechtliche Aufrechnung.
- Die Verrechnung der Vorsteuer und der Umsatzsteuer bei der Umsatzsteuer-Voranmeldung und der Umsatzsteuer-Jahreserklärung (auch hier ist der Gläubiger identisch mit dem Schuldner).
- Gleichermaßen ist die Saldierung von Steuererstattungen und Steuerschulden (nicht nur bei der Umsatzsteuer) gestattet, denn auch hier ist der Schuldner mit dem Gläubiger ja identisch.
- Ferner dürfen traditionell positive und negative Bestandsveränderungen an fertigen und unfertigen Erzeugnissen, die in der Gewinn- und Verlustrechnung als Aufwendungen und Erträge in Erscheinung treten, verrechnet werden.
- Schließlich ist der stornierende Abzug der Erlösschmälerungen von den Umsatzerlösen in Gestalt einer Gegenbuchung zulässig (z.B. bei den Skontobuchungen).
Die Bilanzrechtsmodernisierung hat indes eine Anzahl neuer Ausnahmen vom Verrechnungsverbot durch die ausdrückliche Zulassung der Verrechnung hinzugefügt:
- Die Verrechnung der aktiven und passiven latenten Steuerabgrenzung nach §274 Abs. 1 HGB. Auch das ist ein Anwendungsfall der oben dargestellten Verrechnungsfälle, denn der Steuererstattungsschuldner und der Steuerzahlungsgläubiger ist ja auch hier im Prinzip dieselbe Person. Dieser Verrechnungsfall ist daher nur eine neue Regelung in Anwendung des schon bestehenden Prinzips der Verrechnung aus Gründen der Aufrechnung;
- die Verrechnung von Altersvorsorgeverpflichtungen mit zu ihrer Deckung geführten Vermögensgegenständen (§253 Abs. 1 Satz 2 HGB i.V.m. §246 Abs. 2 Satz 2 HGB) mit Ausweis einer aktivischen Differenz in neuen Posten E der Bilanzgliederung;
- die Verrechnung von Sicherungsinstrumenten und zugrundeliegenden Vermögensgegenständen, Schulden, schwebenden Geschäften oder ähnlichen Transaktionen zu Bewertungseinheiten i.S.d. §254 HGB sowie
- die Verrechnung von eigenen Anteilen mit dem gezeichneten Kapital und der freien Kapitalrücklage nach §272 Abs. 1a HGB (wir berichteten).
Hier offenbart sich aber ein Widerspruch zwischen den Prinzipien der Vollständigkeit und dem Gläubigerschutz auf der einen Seite und dem Informationsnutzen auf der anderen Seite. So haben wir gezeigt, daß das bisherige Verrechnungsverbot eigener Anteile mit dem gezeichneten Kapital das Eigenkapital künstlich aufbläht und die Illusion einer nicht vorhandene Haftungssubstanz schafft. Diese Verrechnung vorzuschreiben (anstatt sie zu verbieten) erhöht also den Informationsnutzen des Abschlusses.
Ganz ähnlich ist es bei der nunmehr neu zugelassenen Verrechnung von Altersvorsorgeverpflichtungen mit ihnen zugeordneten Sicherungsinstrumenten: wenn diese Vermögensgegenstände dem Zugriff der Gläubiger auch im Insolvenzverfahren entzogen sind, kommt ihnen keine Haftungssubstanz zu. Auch hier ist die Verrechnung also die bessere Lösung, denn ein aktivischer Ausweis würde auch hierbei eine nicht vorhandene Masse vorgaukeln. Lediglich ein übersteigender Betrag, der nunmehr als Aktiver Unterschiedsbetrag aus Vermögensverrechnung auszuweisen ist, wäre eine faktische Haftungsmasse. Auch hier ist eine Ausnahme vom Verrechnungsverbot also die "bessere Lösung".
Gläubigerschutz und Informationsnutzen widersprechen einander teilweise. Der Gesetzgeber hat mit den neuen Ausnahmen vom Verrechnungsverbot einen brauchbaren Kompromiß geschaffen, der internationalen Gepflogenheiten entspricht.
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