Lagerzinskosten: mit einfachen Sachen Freude machen…

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Auch bei Übungs- und Klausuraufgaben gibt es Qualitätsunterschiede. Wenig taugen Aufgabenstellungen, bei denen auswendig gelerntes Wissen reproduziert werden muß. Das müssen zwar die Juristen können, aber für betriebliche Führungskräfte ist das eine sekundäre Kompetenz. Besser sind Aufgaben, bei denen der Klausurteilnehmer sein Können zeigen muß, wo also Fähigkeit, Fertigkeit und Beherrschung zum Erfolg führen, und nicht stures Auswendiglernen. Am besten aber sind Fragestellungen, bei denen vorhandene Fertigkeiten auf neuartige Situationen übertragen werden müssen. Hier helfen nur das Bewußtsein der meist vielfältigen Aspekte einer Problemlage, die Einsicht in die Zusammenhänge und das Verständnis möglicher Lösungswege. Das geht oft mit wenigen Ausgangszahlen, die gleichwohl verwirrend sein können. Betrachten wir ein einfaches Beispiel:

Ein Industrieunternehmen macht monatliche Zwischenabschlüsse der Materialbestands- und Verbrauchskonten, um eine genaue Kostenzurechnung zu ermöglichen. Für einen bestimmten Abrechnungsmonat sieht das Bestandskonto für das Produkt "08/15" folgendermaßen aus:

 

Materialbestand – Artikelnummer: 08/15 – Januar 20xx
Soll Haben
 
Anfangsbestand (Inventur) 3.000 EUR       Entnahmebuchung 1.200 EUR
Zugang 6.000 EUR       Entnahmebuchung 6.000 EUR
Zugang 5.500 EUR       Entnahmebuchung 2.800 EUR
Zugang 8.000 EUR       Entnahmebuchung 2.000 EUR
Zugang 2.500 EUR       Schlußinventur 13.000 EUR
 
       
 
25.000 EUR 25.000 EUR

 

Die Mindestrentabilität wird mit Rmin = 15% p.a. angegeben. Die Aufgabe besteht darin, die Lagerzinskosten der Rechnungsperiode zu ermitteln.

Diese Aufgsbe scheint auf mehreren Gründen schwierig zu sein: zunächst müssen unterschiedliche Kompetenzen mitgebracht werden. Es werden scheinbar getrennte Fachgebiete gefordert, wie die Buchführung und die Materialwirtschaft. Das ist indes realitätsnah und eine sinnvolle Übung. Zudem muß der Prüfungsteilnehmer erkennen, welche Daten er überhaupt braucht, also Wichtigs von Unwichtigem unterscheiden – und auch das ist zweifellos eine relevante Fähigkeit.

Zunächst fällt die Kontenform der Darstellung auf. Grundkenntnisse der Buchführung sind also nützlich, aber nicht unbedingt erforderlich – denn was die Geschäftsfälle bedeuten, steht ja da. Dafür muß der Teilnehmer aber die wichtigsten Konzepte der Disposition kennen, um die richtige Methode der Durchschnittsrechnung auszuwählen. Eine Formelsammlung kann daher eher hinderlich sein, denn sie enthält nur Formeln, aber keine Richtlinien, welche gerade hier geeignet und welche in diesem Fall unnütz ist. Schließlich muß der Klausurkandidat mit den wichtigsten Konzepten der kalkulatorischen Zinsrechnung vertraut sein, denn die Materialwirtschaft ist in weiten Teilen einfach eine Anwendung der Kostenartenrechnung. Diese Vielseitigkeit macht die Sache schwierig – auf den ersten Blick, jedenfalls.

Bei näherem Hinsehen fällt nämlich auf, daß alle Datumsangaben fehlen. Eine genaue Berechnung der durchschnittlichen Kapitalbindung ist damit unmöglich. Der Durchschnittswert des Lagers kann also nur aus dem Anfangswert i.H.v. 3.000 Euro und dem Schlußwert i.H.v. 13.000 Euro bestimmt werden, und beträgt 8.000 Euro. Das ist der Wert des durchschnittlich gebundenen Kapitals.

Wer das erkannt hat, ist aber schon nahezu fertig, denn 15% auf diese 8.000 Euro sind 1.200 Euro. Das ist der jährliche Lagerzins. Hier soll aber der Monatswert berechnet werden, und der beträgt 100 Euro. Und das war's schon. So einfach ist die Welt!

So kann man auch mit einfachen Sachen dem Prüfungsteilnehmer viel Freude machen. Hier braucht man keine Gesetzbücher und keine langwierigen Formelumstellungen. Mit wenigen Zahlen wird geprüft, ob ein Klausurkandidat die wichtigsten Grundkonzepte verschluckt hat. Wissen, Können und Erkennen sind gleichermaßen Prüfungsgegenstand. Eine knackige, realitätsnahe Prüfungsfrage, die eine faire Bewertung ermöglicht – und am Abend zuvor ihren Zweck schon erfüllt hat.

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Links zum ThemaGrundlagen der Buchführung | Konzepte der Disposition | Formelsammlung der BWL | Kostenrechnung: Die häufigsten Fehler bei der Berechnung der kalkulatorischen Zinskosten (interne Links)

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