Die Reform des Handelsrechts: vom vorsichtigen Kaufmann

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Seit nunmehr vier Jahren wird über die Bilanzrechtsreform gestritten, vier Jahre bisher fruchtloser Reformbemühungen: Rot-Grün brachte einst nur das Bilanzrechtsreformgesetz (BilRefG) von 2004 zustande. Das bis heute noch immer anstehende Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG), das viel tiefgreifendere Reformen in die Rechnungslegung einführen soll, dürfte nach Auskunft des Bundesjustizministeriums nunmehr erst im 1. Quartal 2009 erscheinen. Wenn es nicht, wie zu befürchten, auch der derzeitigen Regierung im Rohr stecken bleibt. Warum aber ist eine scheinbar "nur" technische Reform des Rechnungswesens ein solches Problem? In diesem Artikel, und einigen folgenden, werden wir grundsätzliche Aspekte der Bilanzrechtsmodernisierung untersuchen.

Die kaufmännische Vorsicht

So ist die Vorsicht des Kaufmannes ein Leitgedanke des bisherigen Handelsrechts. Vermögensgegenstände sollen eher unterbewertet und Schulden eher überbewertet werden (§252 Abs. 1 Nr. 4 HGB), was zur Bildung zahlreicher stiller Reserven führt und den Überblick über die Lage des Unternehmens und die Geschäftsvorfälle (§238 Abs. 1 Satz 2 HGB) erschwert. Das Prinzip ist dennoch das vermutlich grundlegendste handelsrechtliche Bewertungsprinzip überhaupt und geht schon auf den kaiserlichen Reichsgesetzgeber zurück, der einst am 10. Mai 1897 das HGB in Kraft setzte (RGBl. I, S. 219). Grund genug, den scheinbar veralteten Vorsichtsgrundsatz ein wenig zu untersuchen.

Denn die Märkte ändern sich und mit ihnen ändern sich die Geschäfte des Kaufmannes. Der so oft geschmähte Vorsichtsgrundsatz bietet dabei etwas, was Gläubiger, Arbeitnehmer und Kunden gerade heute durchaus zu schätzen wissen: Sicherheit. Der Überblick über die Lage der Unternehmung mag erschwert sein, doch kannte das Kaiserreich ja auch noch keine Offenlegung der Jahresabschlüsse. Nur über die gesellschaftliche Bedeutung des Unternehmertums war man sich in den Tagen der sogenannten Gründerzeit sehr wohl schon bewußt.

Folgen der Unvorsicht

Geben wir heute das kaiserzeitliche Sicherheitsstreben durch Angleichung des Handelsrechts an das internationale Rechnungswesen auf, so wird damit nur Gesetz, was längst schon Wirklichkeit ist. Und nichts kann den Verlust der kaufmännischen Sicherheit so augenfällig machen wie die derzeitige Finanzmarktkrise, die nämlich unter den Rahmenbedingungen des Niederstwertprinzips und der imparitätischen Bewertung kaum möglich gewesen wäre: Derivate in der vervorsichtigten Bilanz, Leerverkäufe und Emissionshandel, undenkbar. Das kaiserzeitliche Rechtssystem hätte uns in der Gegenwart eine Menge Ärger und viele Verluste erspart. Es ist, um es zeitgeistig auszudrücken, wesentlich "nachhaltiger" als unsere "moderne" Gesetzgebung.

Der ehrliche Kaufmann?

Doch die Vorsicht hat auch eine Tiefendimension, denn der vorsichtige Kaufmann ist zumindestens tendenziell auch ein ehrlicher Kaufmann. Sicher gab es auch zu Kaiser Wilhelms Zeiten schon Halunken im Handelsregister, aber viel kleinere als heute in Management-Etagen herumstürzen: kann ein vorsichtiger Kaufmann nämlich keine Klimaderivate bewerten, dann kann er damit auch niemanden betrügen. Unsere windige Klimaschwindel-Zeit, die jede Satire um Längen schlägt, war erst nur nach dem Defacto-Verlust des Vorsichtsprinzips überhaupt erst möglich.

Doch noch bevor es das neue Handelsrecht ins Bundesgesetzblatt geschafft hat, kriegen wir derzeit den großen Finanzmarktabsturz. Augenfälliger kann man die ganze Unehrlichkeit, die ganze Lügerei der immer mehr ergrünten Spekulanten wohl kaum mehr machen. Das kommt den Reformern ungelegen, denn jetzt merkt schon der Laie, daß die Rechtsentwicklung auf dem Holzweg war. Man kann alle betrügen, man kann dauernd betrügen, aber man kann nicht alle dauernd betrügen. Kein Wunder, daß die Zweifel an der Bilanzrechtsmodernisierung wachsen, denn das BilMoG könnte noch vor seinem Inkrafttreten von der Wirklichkeit überholt werden. Es ist, wiederum zeitgeistig gesagt, sehr wenig "nachhaltig".

Vom Kaiserreich lernen!

Wir brauchen wieder ein Vorsichtsprinzip in der Wirtschaft, und mit ihm ein Ehrlichkeitsprinzip. Das ist aber nicht nur eine Aufgabe des Handelsrechts, sondern eine große gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir müssen zurück zu den Wurzeln deutscher Tugenden. Das geht nicht im Finanzkasino, sondern nur in der Fabrikhalle. Das geht nicht mit Schein-Werten, sondern mit Produktion, Qualität und Kundenorientierung. Gewiß führt an der Globalisierung kein Weg vorbei, das haben wir dem deutschen Kaiserreich voraus. Aber wir sollten dennoch überlegen, was wir vom Ausland übernehmen, und was vom Bestehenden wir lieber behalten wollen. Das Vorsichtsprinzip und mit ihm der Gläubigerschutz gehören gewiß zu den bewahrenswerten Eigenschaften des Handelsrechts, denn wir sind über hundert Jahre damit gut gefahren. Für den Finanzmarktabsturz hingegen haben wir nur ein paar wenige Jahre gebraucht.

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Links zum ThemaDie "Goldene Aue", oder was wir vom Kaiserreich lernen sollten | Framework: klare Gliederung der Grundprinzipien in den IAS/IFRS | BilMoG: Übersicht über geplante Neuregelungen im Handelsrecht | BilMoG: Die Neuregelung der Buchführungspflicht | BilMoG: Neuregelung der Bilanzierung der immateriellen Vermögensgegenstände | BilMoG: Übersicht über geplante Neuregelungen im Handelsrecht | Skript zum Jahresabschluß nach HGB | Skript zur Rechnungslegung nach IAS/IFRS(interne Links)

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