Geprüfter Technischer Betriebswirt: gravierende fachliche Fehler in Prüfung »Rechnungswesen«

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Es gibt Fehler, die in Prüfungen sitzen, und solche, die davor sitzen. Während die Teilnehmer der kommenden Herbstprüfung »Geprüfter Technischer Betriebswirt« sich angestrengt auf die zu erwartenden Prüfungsknallschoten vorbereiten, sind in der nunmehr offiziell von der Industrie- und Handelskammer bekanntgemachten Prüfung im Fach "Rechnungswesen" vom 12. März dieses Jahres gravierende fachliche Fehler aufgefallen. Das erleichtert nicht gerade die Vorbereitung auf die kommende Prüfung.

Kern der Kritik ist zunächst Aufgabe 6 zur Plankostenrechnung. Diese Methode ist ja immer wieder für Überraschungen gut. Während es nicht an sich zu kritisieren ist, daß man schwierige Aufgaben stellt, die Transferwissen und hohe kognitive Fähigkeiten erfordern, die man nicht in zweitägigen Kurzlehrgängen erwerben kann, haben es die Kämmerlinge diesmal doch übertrieben. Anscheinend wissen die Aufgabenautoren selbst nicht, was sie tun.

Zunächst werden in Aufgabe 6 die folgenden Daten gegeben:

 
Plankosten bei Beschäftigung von: 1.000 Std. 1.200 Std. 1.400 Std. Variator
Fertigungslöhne 18.000 €   25.200 €  
Hilfslöhne 12.000 € 13.200 € 14.700 € 5
Hilfs- und Betriebsstoffe 6.600 € 7.656 €    
Abschreibungen   5.400 € 5.800 €  
Zinsen 5.400 €     0

In Frage a) sollen die fehlenden Variatoren der Gesamtkosten bei Planbeschäftigung ergänzt werden. Schon hier versteckt sich der erste Fehler. So ist das hier angewandte Konzept durchaus kammertypisch: der Prüfungsteilnehmer muß erkennen, daß die Änderung der Plankosten, die bei der Änderung der Stundenzahl entsteht, nur eine variable Kostenart sein kann, und daraus die Kostenfunktion ermitteln. Der Variator ist dann der Anteil der variablen Kosten bei Planbeschäftigung. Das klingt schwierig, ist es aber nicht: beispielsweise ändern sich die Kosten in der 1. Zeile für 400 Stunden von 18.000 auf 25.200 Euro, also um 7.200 Euro. Diese sind die variablen Kosten, die für 400 Stunden entstehen. Also sind die var. Kosten pro Stunde = 18 Euro. Es leuchtet also ein, daß die Fixkosten der Fertigungslöhne null sind, denn bei 1.000 Stunden sind die var. Kosten schon 18.000 Euro, genau der in der 1. Spalte genannte Wert. Der Anteil der var. Kosten an den Gesamtkosten ist also 100%. Der erste zu ergänzende Variator ist 10.

Ok, schauen wir uns die 2. Zeile an. Da steckt der erste Fehler: für eine Leistungsänderung i.H.v. 200 Std, also einen Leistungsanstieg von 1.000 auf 1.200 Stunden, steigen die Kosten von 12.000 auf 13.200 Euro. Das entspricht einer variablen Kostengröße i.H.v. 6 Euro/Stunde, so weit so gut. Die Fixkosten wären hier beispielsweise 12.000 minus 6 x 1.000 oder ebenfalls 6.000 Euro. Der Anteil der var. Kosten bei einer Leistung von 1.000 Std. wäre also 50% oder der Variator = 5. Rechnet man dasselbe aber mit der Kostenänderung von 1.500 Euro, nämlich von 13.200 Euro auf 14.700 Euro, die für ebenfalls 200 Std. Mehrleistung eintritt, so wären die var. Kosten pro Std. aber eben diese 1.500 Euro geteilt durch 200 Mehrstunden, oder 7,50 Euro. Dies widerspricht der ersten Rechnung, und führt zu einem anderen Variator. Die Hilfslohn-Zeile ist also offenbar falsch.

Man mag diesen Fehler noch für nachrangig halten, denn der Variator der Hilfslöhne i.H.v. 5 steht ja schon da, muß also gar nicht ergänzt werden. Die meisten Prüfungsteilnehmer werden dieses Problem daher gar nicht entdeckt haben. Das alleine wäre also kaum einen Beitrag im Boten wert.

Wer bis hierhin folgen konnte, kommt zu den folgenden Kostenfunktionen für die genannten Verbräuche:

Fertigungslöhne K1 = 0 + 18 X
Hilfslöhne K2 = 6.000 + 6 X
Hilfs- und Betriebsstoffe K3 = 1.320 + 5,28 X
Abschreibungen K4 = 3.000 + 2 X
Zinsen K5 = 5.400 + 0 X

Das führt durch Addition zu der Gesamtkostenfunktion Kges = 15.720 + 31,28 X, die das Problem vorbehaltlich des kleinen Fehlers mit den Hilfslöhnen beschreibt. Diese Funktion erlaubt die Prognose der gesamten Kosten Kges in Abhängigkeit von der Leistung X. Bei einer Leistung i.H.v. X = 1.000 Stunden sind die Kosten beispielsweise Kges = 15.720 + 31,28 · 1.000 = 47.000 Euro. Bei einer Beschäftigung von 1.100 Stunden, wie in Aufgabe b) gefragt, betragen die Gesamtkosten Kges = 15.720 + 31,28 · 1.100 = 50.128 Euro. So weit, so gut.

In Aufgabe c) wird angegeben, daß in einer anderen Periode tatsächlich 1.150 Arbeitsstunden zu Istkosten i.H.v. 52.500 geleistet wurden. Eine Abweichungsanalyse soll durchgeführt werden. Erst jetzt kommen wir also zur eigentlichen Plankostenrechnung, und zu einer bösen Überraschung.

Zunächst ist aufgrund der ja ausdrücklich in der Aufgabe genannten Planbeschäftigung i.H.v. 1.000 Stunden und den dabei entstehenden Fixkosten i.H.v. 15.720 Euro und den var. Kosten i.H.v. 31.280 der Plankostenverrechnungssatz PKVS zu ermitteln:

 

Der Plankostenverrechnungssatz

Dieses Ergebnis sieht "gut" aus, denn Prüfungspoeten versuchen gerne, Ergebnisse mit ganzen Zahlen zu zaubern. Der Prüfungsteilnehmer, der gelernt hat, daß der Plankostenverrechnungssatz sich aus den Plankosten geteilt durch die Planleistung ergibt, wird an seinem Ergebnis also nicht zweifeln. Wohl aber wird der Prüfer an seinem Verstand zweifeln: in dem offiziellen Lösungsvorschlag der Kämmerlinge werden nämlich die Istkosten i.H.v. 52.500 Euro und die Istbeschäftigung i.H.v. 1.150 Std. aus Aufgabe b) genannt, und ein sich daraus ergebender Plankostenverrechnungssatz i.H.v. 45.57 Euro. Kennen die Kämmerlinge ihre eigenen Plankostendefinitionen nicht mehr? Seit wann ergibt sich ein Plankostenverrechnungssatz aus den Istkosten und der Istbeschäftigung? Und schlimmer noch, können die Kämmerlinge nicht mehr mit dem Taschenrechner umgehen, denn 52.500 Euro geteilt durch 1.150 Stunden sind nicht 45,57 Euro/Std., sondern 45,65 Euro/Std.?

Na gut, machen wir einfach weiter. Augen zu und durch. Zur Abweichungsanalyse gehört zunächst die Sollkostenberechnung. Der kundige Kostenrechner rechnet hier:

 

Die Sollkosten

Das entspricht der offiziellen Lösung. Nur ein Tippfehler am Anfang also? Wer nervös ist, denkt darüber jetzt nicht nach, und kommt zur Verbrauchsabweichung. Hier gilt:

 

Die Verbrauchsabweichung

Auch diese Zahl findet der Prüfer im offiziellen Lösungsvorschlag, allerdings mit falschem Vorzeichen: solche Fehler sollten aber meist nicht gewertet werden, denn ob man von den Sollkosten die istkosten abzieht, oder es umgekehrt macht, ist nicht wirklich wichtig. Kommen wir also zur Beschäftigungsabweichung. Nach der Lehrbuchlehre sollten hier die Sollkosten von den verrechneten Plankosten bei Istbeschäftigung subtrahiert werden:

 

Die Beschäftigungsabweichung

Der offizielle Lösungsvorschlag nennt hier aber –714,50 Euro als Lösung. Wie kann das sein? Die Sollkosten i.H.v. 51.692 Euro finden sich auch in der Kammerlösung, aber die verrechneten Plankosten bei Istbeschäftigung sind laut Lösungsvorschlag 52.406,50 Euro. Wo kommt dieser Wert her?

Ein großer Nachteil der Plankostenrechnung ist ihre starre Denkweise. Kein Mensch macht das in der Wirklichkeit, aber vor einer Prüfung ist das natürlich die falsche Frage. Die verrechneten Plankosten bei Istbeschäftigung kommen zusammen, indem man den oben bestimmten Plankostenverrechnungssatz i.H.v. 47 Euro/Std. nimmt und mit der Istbeschäftigung multipliziert. Also sind die 54.050 Euro einfach 47 Euro/Std. mal 1.150 Euro. Das genau ist ja die Istbeschäftigung aus der Aufgabe. Die hat aber oben einen Fehler, der sich jetzt fortsetzt: rechnet man nämlich die 45,57 Euro aus dem Lösungsvorschlag mal 1.150 Stunden, so erhält man 52.405,50 Euro, fast unser gesuchter Wert. Die kleine Ursache am Anfang hat also eine weitreichende Folge.

Nicht anders ist es bei der Gesamtabweichung. Hier rechnet der wohlvorbereitete Prüfungsteilnehmer nämlich:

 

Die Gesamtabweichung

Auch hier stimmt das Ergebnis nicht mit dem offiziellen Lösungsvorschlag i.H.v. 93,50 Euro überein, ganz offensichtlich aus derselben Ursache. Ein kleiner Fehler am Anfang der Rechnung kann also auch dem richtig rechnenden Technischen Betriebswirt den ganzen Prüfungstag versauen, denn hier sitzt der Fehler nicht vor der Prüfung, sondern in der Prüfung.

Bei sowas kommt es auf den Prüfer an. Der sollte nämlich wissen, daß die Kämmerlinge bisweilen bei sowas Fehler machen, und mit einem eigenen Excel-Modell zunächst die offiziellen Lösungsvorschläge nachrechnen und erst dann das erste Teilnehmerexemplar zur Hand nehmen. Dann werden die Fehler der Prüfungslyriker entdeckt und richtig rechnende Prüfungsteilnehmer auch richtig bewertet. geht ein Prüfer aber schematisch nach dem Lösungsvorschlag vor, vielleicht weil er selbst sonst nie eine Plankostenrechnung macht, und er es sich daher erst selbst anlesen muß, oder weil es nur, wie hier in Erfurt, schlappe vier Euro/Stunde für die Ausschußtätigkeit gibt, dann wird ein richtiges Ergebnis falsch gewertet. Das also ist sie, die Prüfung auf Kosten und Risiko des Prüfungsteilnehmers.

Der Leser mag die vorstehende Argumentation selbst nachprüfen, und seine eigenen Schlüsse ziehen. Um dieses zu erleichtern, habe ich einen Plankostenrechner für Excel programmiert und hiermit veröffentlicht. Die Datei läuft auf Excel® 97 bis 2007, wird hier aber nur in einer durch Passwort geschützten Version angeboten. Der Nutzer der BWL CD hat die quelloffene Fassung. Die Datei zeigt auf den ersten beiden Seiten die beiden grundlegenden Rechenmethoden der starren und der flexiblen Plankostenrechnung und exemplifiziert danach zwei Aufgabentypen, die zweifellos prüfungsrelevant sind.

Links zum ThemaPlankostenrechnung: so versenkt man Prüfungsteilnehmer… | Plankostenrechnung: was zum Teufel ist ein Variator? | Prüfungsausschüsse: kostenlos oder umsonst? (interne Links)

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