Auch Brüssel hat bisweilen Weihnachtsgeschenke für uns: zum Beispiel Bürokratie, Emissionshandel, Ökosteuern, Nahrungsmittelverknappung. Diesmal aber ist etwas mit Nutzen für alle Bürger herausgekommen: die Erweiterugn des Schengen-Raumes ab dem 21. Dezember. Dies nützt Reisenden, aber auch solchen mit kriminellen Absichten, denn die Grenzkontrollen in weiteren Staaten fallen jetzt weg.
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Durch das nach dem Ort seiner Entstehung benannte "Schengener Abkommen" (korrekte Bezeichnung "Schengener Durchführungsabkommen", SDÜ, seit dem 13.10.2006 "Schengener Grenzkodex", SchGKX) regeln zahlreiche europäische Staaten den allgemein visa- und grenzkontrollfreien Grenzübertritt von Gütern und Personen. Dies erleichtert Reisen und Warenlieferungen und ist Teil der "Vier Freiheiten" des EU-Vertrages, insbesondere der sogenannten Personen- und der Warenverkehrsfreiheit (Art. 23ff EGV und Art. 39ff EGV). Das Schengener Abkommen ist Europäisches Primärrecht, aber nicht originärer Bestandteil des EU-Vertrages. Seit dem Schengener Grenzkodex haben die Schengen-Vereinbarungen innerhalb der Europäischen Union unmittelbaren Verordnungsrang, d.h. wirken auf alle juristischen und natürlichen Personen direkt und ohne Umsetzungsrechtsakt in den Mitgliedstaaten.
Dieser sogenannte Schengen-Raum erweitert sich nun am 21. Dezember 2007 um die baltischen- und die osteuropäischen Beitrittsstaaten von 2004 sowie um die Schweiz.
In der Liste der Schengen-Teilnehmerstaaten (rechts) ist zwischen der Ratifizierung des Schengener Abkommens bzw. Schengener Grenzkodex und dem tatsächlichen Fortfall der Grenzkontrollen zu unterscheiden. Nicht alle Schengen-Teilnehmerstaaten haben auch tatsächlich die Grenzkontrollen abgeschafft. Großbritannien hat zum Beispiel das Schengener Abkommen zwar unterzeichnet aber bisher noch nicht vollzogen. Irland nimmt nur hinsichtlich der Strafverfolgung und polizeilichen Zusammenarbeit teil, hat aber ebenfalls die Kontrollen für den Personen- und Güterverkehr nicht abgeschafft. Umgekehrt bestehen eine Reihe von Staaten, die zwar die Grenzkontrollen faktisch abgeschafft haben, tatsächlich dem Schengener Abkommen aber gar nicht beigetreten sind. Andorra ist so ein Beispiel, wo schon vor Schengen keine Grenzkontrollen mehr durchgeführt wurden, ebenso der Vatikan. Schließlich bestehen für bestimmte Territorien Sondervorschriften, die zum Teil in separaten Zusatzprotokollen zum Schengener Abkommen niedergelegt wurden, z.B. für Grönland und die Faröer.
Die Schengen-Erweiterung erbringt zunächst neue Freiheiten: grenzkontrollfreie Reisen von Estland bis nach Portugal beispielsweise, fast 3.500 km ohne Schlagbaum und ohne Zollverfahren. Oder den Fortfall der bisherigen lästigen Transitprozedur bei der Durchreise die Schweiz. Die öffnet ihre Grenzen übrigens erst im November 2008, und ohne die Güterkontrollen abzuschaffen: die Schweiz ist nicht der EU-Zollunion beigetreten. Kostengünstiger und schneller wird es dennoch schon jetzt, ein Vorteil für Reise- wie für Logistikgewerbe. Doch es bringt auch neue Ängste und Probleme.
So sagt man den Osteuropäern nach, es mit Eigentum und Besitz nicht immer ganz genau zu nehmen. Tatsächlich sollen schon jetzt die Einbruchs- und Diebstahlzahlen in grenznahen Gebieten höher sein. Das könnte sich verschärfen, denn die Diebe können jetzt noch schneller mit oder ohne Beute nach Osten entkommen. Hersteller und Installateure von Alarm- und Einbruchmeldeanlagen haben dem Vernehmen nach in ostdeutschen Grenzgebieten derzeit Hochkonjunktur, sicher nicht ganz zufällig.
Aber neben den Kleinkriminellen profitieren auch die wirklichen Verbrecher, wie z.B. Autoschieber, Zuhälter und andere Typen dieses Kalibers. Auch die freuen sich nämlich schon jetzt auf mehr Mobilität und weniger Staat. Ob Schengen also mal wirklich ein Weihnachtsgeschenk aus Brüssel wird, bleibt abzuwarten.
Das Ende aller Bürokratien ist Schengen übrigens noch nicht: die statistischen Intrastat-Meldungen bei Warenbewegungen im EU-Raum bleiben weiterhin bestehen. Und sie wissen schon: die Statistiken von heute sind die Steuern von morgen. Das weiß man auch in Brüssel, wo längst neue Weihnachtsgeschenke eingepackt werden. Frohe Weihnachten Europa…
Links zum Thema: EU-Osterweiterung: nichts zu feiern | EU-Skript (interne Links)