Mit wachsendem Unverständnis beobachtet der BWL-Bote die seit Wochen geführte Debatte um die Dauer der Auszahlungen von staatlichen Unterstützungsleistungen an Arbeitslose. Oberflächlich betrachtet scheint hier eine Gerechtigkeitsdebatte geführt zu werden, doch blickt man ein wenig in die Tiefe, so offenbart sich das deutsche Wesen, an dem die Welt nicht genesen wird, auch diesmal nicht.
So scheint es zunächst maschendrahtzaunübergreifende Einigkeit zu geben, daß wer länger in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, auch länger Leistungen beziehen soll. Das diesbezügliche kollektive Empfinden deckt sich aber nicht mit dem Selbstverständnis dieser Zwangsversicherung, die sich, anders als beispielsweise eine Rentenversicherung, nicht als, wenngleich u.U. fiktive Kapitalbildung begreift, sondern als Risikoversicherung, die bei Eintritt eines Schadensereignisses – der Arbeitslosigkeit – zahlt, denn anders als das Schicksal des Altwerdens trifft das Risiko der Arbeitslosigkeit nicht jeden.
Genau diese Art der Reaktion auf den Schadensfall der Entlassung aber ist das Problem, denn ein längerer Bezug von finanziellen Unterstützungsleistungen gerade bei Älteren würde diese Personengruppe motivieren, eher in Rente zu gehen und sich weniger am Arbeitsmarkt zu engagieren. Sie würde damit die Lebenserfahrung und Arbeitskraft dieser Personengruppe dem Arbeitsmarkt entziehen: wo doch angeblich jetzt wieder Arbeitnehmer gesucht werden, wegen oder trotz Merkel sei dahingestellt, ein offensichtlich falsches Signal.
Interessant ist die vorgebliche Gerechtigkeitsdebatte auch, wenn man die Gründe von Arbeitslosigkeit differenziert. Sind Jugendliche oft nach der Ausbildung kurzfristig arbeitslos, weil sie (noch) nicht die richtige, zu ihnen passende Stelle oder Berufstätigkeit finden (friktionelle Arbeitslosigkeit), sind Ältere oft vom technologischen und gesellschaftlichen Wandel überholt worden und können nicht mehr das, was der Arbeitsmarkt heute braucht. Sie sind dann oft langzeitarbeitslos, eine Form der strukturellen Arbeitslosigkeit. In Städten wie Jena oder Dresden werden oft händeringend Kräfte gesucht, aber zugleich stehen die Leute um Hartz IV schlange, nur scheinbar ein Widerspruch. Hierauf darf man aber gerade nicht mit einer Verlängerung der Finanzierung der Untätigkeit reagieren, sondern damit, die Ursache für die offensichtliche Schieflage des Arbeitsmarktes zu beseitigen, also die Leute für neue Anforderungen zu qualifizieren. Das wäre wirklich gerecht, denn sie könnten dann wieder Arbeit finden, u.U. sogar hier vor Ort (und nicht im Ausland), doch daran denkt interessanterweise keiner.
Die Arbeitslosenversicherung wurde einst mit Blick auf die staatliche Fürsorgepflicht gegründet, hat sich aber inzwischen gerade in ihr Gegenteil verkehrt. Die Untätigkeit länger zu finanzieren anstatt die Leute auf geänderte Markterfordernisse vorzubereiten ist gerade das Gegenteil staatlicher Fürsorge, sondern schafft, verlängert und vertieft Abhängigkeiten – wie so oft in der "Sozial"versicherung.
Da wundert es nicht, daß der Bildungskahlschlag, der schon unter Rot-Grün faktisch abgeschlossen wurde, von Rot-Schwarz nicht zurückgenommen wurde. Obwohl man inzwischen auch in Berlin eingesehen zu haben scheint, daß dieses Land genug eigenes Potential hat um von ausländischen Arbeitskräften weitgehend unabhängig zu sein, vernachlässigt man unter Merkel die Aus- und Fortbildung genau so, wie man es vorher unter Schröder tat. Dies deutet einerseits auf die Kontinuität des Regimes, denn würden Wahlen etwas bewegen, wären sie längst verboten. Dies deutet aber auch auf das sich im kollektiven Gerechtigkeitsempfinden manifestierende deutsche Wesen, lieber vom Staat abhängig zu sein als zu arbeiten, zu kämpfen und sich dem Reformdruck der Globalisierung anzupassen, denn es ist doch so unendlich viel bequemer, noch ein halbes Jahr länger Arbeitslosengeld zu beziehen als sich den Tag mit Computern und Prüfungen um die Ohren zu hauen, da bleibt man lieber zu Hause. "Wir trampeln durchs Gemüse, wir trampeln durch die Saat – Hurra wir verblöden, für uns bezahlt der Staat". Das ist also das deutsche Wesen, an dem die Welt aber nicht genesen wird.
Uns geht es, so scheint es, noch immer viel zu gut daß wir darüber nachdenken können, die Finanzierung der Untätigkeit noch auszubauen anstatt den Menschen wieder eine Chance zu geben, ihre Träume und Visionen mit ihrer Hände Arbeit aufzubauen. Das Leben ist Kampf, und dagegen hilft keine Zwangsversicherung. Es gibt, das ist die einfache Lehre, noch immer viel zu wenig Konkurrenz aus China, Arabien, den USA und dem Rest der sich rapide industrialisierenden Welt. Wir lagern uns noch immer recht bequem im wohlbehüteten Sozialuterus. Wie lange das freilich noch gutgeht, dürfte kaum in Berlin entschieden werden, schon gar nicht per Gesetz oder Verwaltungsakt, sondern an den Märkten der Welt. Das hat man weder im Volk noch in der Obrigkeit begriffen.
Links zum Thema: Schröder, das Gutenberg-Gymnasium und die stabilisierende Wirkung von Amokläufen | Die brüllende Heizung, oder von der Geringschätzung der Bildung (interne Links)