Die Materialwirtschaft ist bekanntlich schon schon für ich genommen ein quantitatives Minenfeld voller Prüfungsfallen und Aufgabenüberraschungen. Noch schlimmer wird es, wenn Aspekte des Rechnungswesens hinzukommen, was indes angemessen ist, denn viele quantitative Methoden der Lageroptimierung sind nichts als Anwendungen der Kosten- und Leistungsrechnung. Sie setzen also Grundkonzepte des internen Rechnungswesens voraus. Das kann ganz schön verwirren, wenn man in Schubladen denkt, was man bekanntlich nicht tun sollte.
So glauben viele Prüfungsteilnehmer, in Klausuren über Material- und Lagerwirtschaft vom Rechnungswesen verschont zu bleiben, was ein Irrtum ist. Schon ganz einfache Grundlagen des Rechnungswesens eignen sich zu prüfen, ob ein Teilnehmer die zugrundeliegenden Konzepte verstanden oder nur auswendig gelernt hat. Schauen wir mal nach, wie das gehen könnte:
In einem Berichtsjahr gebe es bei einem bestimmten Material die folgenden Bewegungen auf dem Einkaufskonto:
Einkauf Material X | ||||||
Soll | Haben | |||||
Anfangsbestand (Eröffnungsbilanz) | 1.000 Euro | 1. Abgang | 2.000 Euro | |||
1. Zugang | 4.000 Euro | 2. Abgang | 5.000 Euro | |||
2. Zugang | 3.000 Euro | 3. Abgang | 4.000 Euro | |||
3. Zugang | 6.000 Euro | Endbestand (Schlußbilanz) | 3.000 Euro | |||
14.000 Euro | 14.000 Euro |
Gefragt ist nach dem monatlichen Lagerzins bei einem Mindestrentabilitätszins i.H.v. 15% p.a. Den meisten Prüfungsteilnehmern lockert sich jetzt die Kinnlade, denn die Aufgabe wird aus ausgesucht schwer empfunden – sehr zu unrecht.
Erste Schwierigkeit ist die Kombination von Daten und Fragen aus verschiedenen Fachbereichen, was nicht erwartet wird, aber erwartet werden sollte, denn auch im Betrieb ist die Buchhaltung die wichtigste Grundlage der materialwirtschaftlichen Datenlage. Daß dies in Klausuren nicht erwartet wird, berücksichtigen die Aufgabenlyriker nicht – sie bauen vielmehr darauf. Man muß nämlich wissen, daß das Materialeinkaufskonto natürlich ein Aktivkonto ist, und die Buchungslogik muß bekannt sein. Es wird also vorausgesetzt daß der Klausurteilnehmer erkennt, daß für insgesamt 13.000 Euro eingekauft wurde (Soll-Buchungen) und für 11.000 Euro verbraucht wurde (Haben-Buchungen). Wer dies versteht erkennt auch, daß diese Information völlig unwesentlich ist, also nichts zur Lösung beiträgt.
Es ist nämlich nach dem Lagerzins gefragt, und der ist bekanntlich ein Kapitalbindungszins, also eine Opportunitätskostengröße. Er entspricht den kalkulatorischen Zinsen und wird wie diese auf die mittlere Kapitalbindung gerechnet. Einkäufe binden zweifellos Kapital, aber Entnahmen setzen es wieder frei. Da die Datumsangabe fehlt, ist eine genaue Berechnung aber unmöglich. Man kann also nur den Anfangs- und den Schlußbestand nehmen und daraus einen mittleren Kapitalbindungswert i.H.v. 2.000 Euro berechnen. Alle anderen Zahlen sind irrelevant.
Wer das erkennt, rechnet die 15% Zins per annum, also pro Jahr i.H.v. 300 Euro aus und findet schnell, daß es 25 Euro pro Monat sind – und das wars auch schon.
Selbst ohne Taschenrechner ist die Lösung in Sekunden zu finden – wenn man ein grundlegendes Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen mitbringt. Das genau ist es aber, worum es in Prüfungen geht: man soll verstehen, und nicht auswendig lernen. Wer mit Pauken lernt, der fällt mit Trompeten durch – und hat das auch verdient, denn in der Wirklichkeit ist auch nichts linear. Alles ist vernetzt, alles hängt mit allem irgendwie zusammen. Dies zu erkennen, und zu nutzen, das ist die Kunst der Betriebswirte. Und die der Prüfungspoeten…
Links zum Thema: Häufige Irrtümer: Warum die Bankzinsen nichts mit den Zinskosten zu tun haben | Skript zu den Grundlagen der Buchhaltung | Skript zu den Buchungen des Jahresabschlusses (interne Links)
Literatur: Zingel, Harry, "Handbuch der Material- und Lagerwirtschaft", Heppenheim 2005, ISBN 3-937473-07-6, Amazon.de | BOL | Buch.de. Auf der BWL-CD ohne Mehrkosten enthalten.