Kapitalbedarfsrechnung: unser täglich Brot…

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Gut vorbereitete Prüfungsteilnehmer haben sich hoffentlich mit der Kapitalbedarfsrechnung auseinandergesetzt. Sie beherrschen die vollständige Finanzplanung (PDF, Excel) und wissen, den Kapitalbedarf eines Projektes aus dem Kleinsten Wert der kumulierten Zahlungssalden abzuleiten. Sie können daher auch Insolvenzprognose mit Finanzplänen betreiben. Und dann kommt die harte Wirklichkeit der IHK-Prüfung…

So sind alleine in den letzten Tagen zwei sehr ähnliche Aufgabentypen aufgetaucht, davon einer in diesem Posting im Forum für Betriebswirtschaft. Beide wirken etwas erschreckend, auch auf Prüfungsteilnehmer, die gut vorbereitet sind. Zum Glück kann man der Sache den Schrecken nehmen, wenn man sie etwas näher anschaut…

Ein Unternehmen, so die Aufgabe, plane die Einführung eines neuen Geschäftsbereiches. Hierfür stehen folgende Ausgangsdaten bereit:

 

Tägliche Auszahlungen für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe: 60.000,00 Euro
Tägliche Auszahlungen für Löhne und Personalaufwendungen: 20.000,00 Euro
Tägliche Verwaltungsauszahlungen: 10.000,00 Euro

Das überrascht zunächst nicht, denn Finanzpläne und damit Kapitalbedarfsrechnungen sind pagatorisch, also zahlungsbezogen. Die Überraschung kommt hingegen in den folgenden Angaben: so betrage die durchschnittliche Lagerdauer des Materials 24 Tage, die durchschnittliche Lagerdauer der Fertigerzeugnisse 12 Tage und der eigentliche Produktionsprozeß dauere vier Tage. Außerdem sei das Zahlungsziel den Lieferanten gegenüber 30 Tage und das der Kunden 40 Tage.

Hier allerdings liegt hängt ein dicker Hammer, denn die jetzt erforderliche Lösungsstrategie hat wenig mit dem gemein, was der Finanzplaner sonst normalerweise tut. Man muß nicht in Perioden denken, also periodenorientierte Finanzpläne aufstellen, sondern in Differenzen berechnen, als Zeiträume ermitteln und bewertern. Man muß also bekannte und im Grunde einfache Denkmuster auf eine neue Situation übertragen, und da trennt sich der Spreu vom Weizen.

Dabei ist das Kalkül ganz einfach, und die hier gebotenen Prüfungspunkte sind geradezu geschenkt: wir müssen, so die einleitenden Daten, 60.000 Euro/Tag für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, also für Material auszahlen. Das Material lagert 24 Tage im Materiallager, dann wird vier Tage lang produziert, schließlich noch 12 Tage Ausgangslagerung, macht schon 40 Tage. Jeder mit 60.000 Euro Zahlungsmittelbedarf, also Kapitalbedarf. Allerdings haben wir 30 Tage Zahlungsziel beim Lieferanten, also bleiben von den 40 Tagen nur 10 übrig. Diese Zeitdifferenz bestimmt den "wirklichen" Kapitalbedarf für die Materialzahlungen, nämlich 10 x 60.000 = 600.000 Euro.

Dann aber kommt der Kunde, und der läßt uns, so die Annahme, 40 Tage mit seiner Zahlung warten. Für diese 40 Tage wird ebenfalls Kapital gebraucht, ebenfalls 60.000 Euro am Tag. Für das Kundenziel werden also 40 x 60.000 = 2.400.000 Euro Zahlungsmittel benötigt; plus die zuvor schon berechneten zehn Tage sind das 50 Tage oder 3 Mio. Euro Kapitalbedarf für das Material. Das freilich kann man auch in eine Gleichung fassen, die den Kapitalbedarf für die Materialauszahlungen in einheitlicher Form beschreibt:

 

 

(24 + 12 + 4 – 30 + 40) · 60.000 = 50 · 60.000 = 3.000.000

Genau dasselbe machen wir jetzt einfach mit den beiden anderen Zeilen. Hierbei beachten wir aber, daß die Löhne und Personalaufwendungen erst mit Beginn der eigentlichen Produktion anfallen (im Eingangslager entstehende Löhne werden vernachlässigt, oder die Rechnung ist etwas anders und der Kapitalbedarf etwas höher). Die Rechnung für die Lohnkosten ist also "nur":

 

 

(12 + 4 + 40) · 20.000 = 56 · 20.000 = 1.120.000

Hierbei ist zu beachten, daß die Lohnauszahlungen mit Aufnahme der Produktion beginnen. Sie laufen während des Kundenzieles fort; ein Zahlungsziel ist jedoch nicht zu berücksichtigen. Ebenfalls vereinfachend geht die Aufgabe von täglicher Lohnauszahlung aus – und nicht, wie es eigentlich realistisch wäre, von monatlichen Zahlungsterminen.

Schließlich machen wir dasselbe noch für die Verwaltungsauszahlungen. Die laufen über die ganze Zeit, denn verwaltet wird immer:

 

 

(24 + 12 + 4 + 40) · 10.000 = 80 · 10.000 = 800.000

So einfach ist die Welt: haben wir den Zahlungsmittelbedarf für die drei Teilfunktionen bestimmt, brauchen wir nur noch die Zahlen zu addieren – und kennen den Kapitalbedarf. "Unser täglich Brot gibt uns heute", könnte man hier sagen, aber im Wert von insgesamt 3.000.000 + 1.120.000 + 800.000 = 4.920.000 Euro, um den Start des neuen Geschäftsbereiches finanzieren zu können.

Problematisch ist der Aufgabentyp aus mehreren Gründen: so war in einer Aufgabengestaltung von Vertriebsauszahlungen die Rede. Nicht klar ist aber, ab welchem Termin diese entstehen. Die Lösung kann also uneindeutig und die Bewertung unfair sein. Auch in der hier präsentierten Aufgabenversion wird angenommen, daß die Lohnauszahlungen erst ab Beginn der Produktion (und nicht ab Beginn der Lagerung) anfallen. Auch dies kann also mehrdeutig sein. Solche Zweifelsfälle müssen die Prüfungspoeten in ihren Aufgabentext klarstellen oder die Aufgabe ist unfair.

Die Aufgabe ähnelt übrigens stark der Zahlungsziel-Deckungsrechnung. Es ist daher kein Zufall, daß hier die gleichen Ausgangszahlen und Basisannahmen zugrundegelegt wurden. Der Aufgabentyp ist seit vorgestern im Excel-Ordner der BWL CD in der Datei "Zahlungsziel-Deckungsrechner.xls" enthalten.

Links zum Thema: Vollständige Finanzplanung, Skript | Vollständige Finanzplanung, Excel | Nutzung der Finanzplanung zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit | Originalposting von Jörg | Forum für Betriebswirtschaft | Kundenzahlungszielrechnung: eine neue Prüfungsfalle | Wissen, Können und Erkennen, oder von der Treppe, die zum Prüfungserfolg führt (interne Links)

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