Was nicht im Abschluß steht, Teil 3 von 3 – vom Schweigen der GuV-Rechnung

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Im zweiten Teil dieser kleinen Serie haben wir uns gestern über die Stillen Reserven ausgelassen und eine Zahl von Fällen versammelt, wo unternehmerische Substanz von der Bilanz verschwiegen wird. Nach herrschender Lehrbuchmeinung gibt es das nur in der Bilanz; die GuV-Rechnung, so die Mehrheitsmeinung, verschweigt nichts. Das ist leider falsch.

Natürlich gilt der Grundsatz der Vollständigkeit (§246 Abs. 2 HGB) auch für die GuV-Rechnung, aber wir haben ja schon gesehen, daß dieses Prinzip schon in der Bilanz nichts nützt. Für die Gewinn- und Verlustrechnung ist zudem der Grundsatz der Periodenabgrenzung nach §252 Abs. 1 Nr. 5 HGB maßgeblich. Aufwendungen und Erträge müssen nach dieser Grundregel unabhängig vom Zeitpunkt der Zahlungen im Wege der Periodenabgrenzung den Geschäftsjahren zugerechnet werden, denen sie wirtschaftlich angehören. Wo aber läßt das noch Raum für Stille Reserven in der GuV-Rechnung?

Da ist zunächst, genau wie bei der bilanziellen Unterbewertung der Aktiva, das Argument der unzutreffenden Bewertung. Erlauben Abschreibungsregeln die zu niedrige Bewertung von Vermögenswerten und daher die Bildung stiller Reserven, so kann gleiches hinsichtlich des Faktors "Arbeit" für die GuV-Rechnung zu behaupten: der Verfall der Marktpreise für menschliche Arbeitskraft führt hier zu einer zum teil drastischen Unterbewertung – wenn Ein-Euro-Bundesarbeitsdienstjobber beschäftigt werden, beispielsweise. Der politisch-soziale Verfall der Gesellschaft artikuliert sich hier in einer drastischen Unterbewertung eines Produktionsfaktors, was – ähnlich wie bei ausgebuchten aber noch vorhandenen Wirtschaftsgütern – eine Art Stille Reserve bedingt.

Ähnlich ist es beim Faktor "Boden", der ebenfalls seit einiger Zeit keine angemessene Bewertung mehr erfährt, und zwar aus ähnlichen Gründen wie der Faktor "Arbeit": in dem Maße, in dem wir von einem Volk ohne Raum zu einem Raum ohne Volk mutieren, stürzt der Preis für Immobilien immer schneller ins Bodenlose, und zwar bei mieterschutzlosen Gewerbeimmobilien viel schneller als bei Wohnbauten, in denen die Mieter den gesetzlichen Mieterschutz durch höhere Mieten indirekt mitbezahlen. Die Unterbewertung von Grund und Boden führt aber bei Kauf indirekt zu einer bilanziellen Stillen Reserve und bei Miete oder Pacht zu einem parallelen Phänomen in der GuV-Rechnung.

Schließlich bleibt die sehr facettenreiche Frage der Unterscheidung zwischen Kosten und Aufwendungen. Sind die Aufwendungen der Verbrauch von Gütern, so werden Kosten als bewerteter, periodisierter Güter- und Leistungsverzehr zur Leistungserstellung oder Bereitschaftserhaltung definiert, also als Bewertung des Faktoreinsatzes. Das ist bekanntlich nicht dasselbe: Die Bankzinsen beispielsweise sind nur ein Aufwand; der unternehmerische Faktoreinsatz an Kapital hingegen spiegelt sich nur in den kalkulatorischen Zinskosten auf das betriebsnotwendige Vermögen wieder. Diese aber sind nirgendwo aus der GuV ersichtlich – eine weitere stille Reserve, denn ein bedeutsamer Faktoreinsatz fehlt vollkommen in der GuV. Auch unversicherte Risiken sind so ein Fall – sie stehen als kalkulatorische Wagnisse in der Kostenrechnung, erscheinen aber nirgendwo in der GuV. Diese enthält nur versicherte Risiken in Gestalt der Versicherungsbeiträge. Warum es aber kaum sinnvoll ist, sich zu versichern, haben wir schon dargelegt. Auch hier "Fehlt" also etwas in der GuV, und zwar um so mehr, je rationaler sich ein Unternehmer verhält. Alle kalkulatorischen Kosten repräsentieren so einen Fall – und selbst die, die von der herrschenden Meinung als solche nicht anerkannt werden.

Hält man sich ein Telefon ans Ohr, so hört man ein Telefongespräch; lauscht man hingegen an einem Döner, so weiß der Volksmund, so hört man das Schweigen der Lämmer. Auch unternehmerische Jahresabschlüsse sind aber nicht immer gesprächig, insbesondere wenn sie wesentliche Details verschweigen, die eigentlich nicht unter dem Mantel der christlichen Nächstenliebe verschwinden müßten. Die Jahresabschlußanalyse muß daher immer mehrere Rechenwerke und zusätzliche qualitative Informationen berücksichtigen. Das ist die schwierige Aufgabe des Bilanzinterpreten, über die in den kommenden Wochen an dieser Stelle noch mehr zu lesen sein wird.

Links zum Thema: Was nicht im Abschluß steht, Teil 1 von 3 – Außerbilanzgeschäfte | Was nicht im Abschluß steht, Teil 2 von 3 – Stille Reserven | Häufige Irrtümer: Warum die Bankzinsen nichts mit den Zinskosten zu tun haben | Die Versicherungen und der Erwartungswert, oder was Ihnen Ihr Versicherungsvertreter nicht verrät | Die Kraft der zwei Abschreibungen, oder warum alle Anlagegüter doppelt abgeschrieben werden (sollten) | Kalkulatorische Kosten im Qualitätsmanagement? | Skript zu IAS/IFRS | Skript zum handelsrechtlichen Jahresabschluß (interne Links)

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