Die Mathematik steht im Ruf, schwierig und langweilig zu sein, hat dieses Vorurteil aber nicht verdient. Besonders die Versicherungsmathematik und die Entscheidungstheorie wirken auf viele Leser abschreckend, lassen sich dabei aber so einfach auf die Wirklichkeit anwenden. Versuchen wir es doch einfach mal:
Unter dem Erwartungswert e einer Handlungsalternative versteht man in der Entscheidungstheorie die Differenz zwischen Nutzen und Kosten, jeweils um die Eintrittswahrscheinlichkeit diskontiert:
e = Nutzen x Wahrscheinlichkeit – Kosten x Wahrscheinlichkeit
Was aber bedeutet das? Man macht es sich am besten mit einem Glücksspiel klar: der Nutzen ist natürlich der Gewinn, der bekanntlich aber nicht sehr wahrscheinlich ist; die Kosten sind der Spieleinsatz, der hingegen mit Sicherheit geleistet werden muß. Welchen Wert hat aber e? Das kriegt man sogar ohne Berechnung raus: Nach §17 Satz 3 des Rennwett- und Lotteriesteuergesetzes ist nämlich eine Steuer von 20% des Spieleinsatzes fällig. Selbst wenn die Lotterie ihre ganzen Einnahmen als Gewinn ausschütten würde (was sie nicht tut, denn sie hat Verwaltungskosten, betreibt Werbung usw.), könnte der Erwartungswert nur bei e = 0,8 liegen. Tatsächlich liegt er viel niedriger – wenn beispielsweise für die Aktion Sorgenkind gespendet wird. Das aber kann man verallgemeinern:
Der Nutzen einer Versicherung ist bekanntlich, daß sie in einem Schadensfall zahlt, und wir wissen alle, daß dies keinesfalls immer der Fall ist. Die Kosten der Versicherung sind (aus Sicht des Versicherungsnehmers) der Versicherungsbeitrag, der jedoch mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit abgebucht wird. Auch hier kommt wieder die Steuer in Spiel, aber diesmal die Versicherungssteuer – die bekanntlich regelmäßig 16% des Versicherungsentgelten beträgt (§6 Abs. 1 Versicherungssteuergesetz), und in 2007 wie die Umsatzsteuer auf 19% steigen soll. Auch hier kann e also niemals auch nur null werden. Und man sollte eine Handlungsalternative nie wählen, deren Erwartungswert negativ ist. Kein Wunder, daß es Zwangsversicherungen gibt!
Will man wissen, warum Leute dennoch spielen (oder sich versichern), muß man in die Psychologie schauen, denn der Spieler genau wie der Versicherungsnehmer glauben stets, daß für die die Mathematik keine Gültigkeit besitze: der Spieler hofft auf den ganz großen Gewinn und nimmt sich vor, danach aufzuhören (schafft das aber nie, weil er eben nie gewinnt, und erst Recht nicht, wenn der Gewinn wirklich eingetreten ist), und der Versicherungsnehmer fürchtet sich vor dem ganz großen Schadensfall ("und wenn Sie jetzt krank werden?), was im Effekt einfach nur die Umkehrung der Spielermentalität ist: Angst statt Hoffnung, negativer Gewinn als Übernahme des Schadens. Beides aber ist eine Illusion: der Lottosechser ist viel unwahrscheinlicher, als vom Blitz erschlagen zu werden, und der Kranke oder der Geschädigte bleiben immer öfter auf ihren Kosten sitzen, weil die Versicherungen immer heftiger und immer erfolgreicher nach Gründen suchen, nicht zahlen zu müssen.
Man sollte also unterlassen, was einen negativen Erwartungswert hat, und das sind Glücksspiel und Versicherungsverträge. Rationales Nachdenken und ein klein wenig Mathematik helfen, den eigenen Nutzen zu optimieren. Von dieser Regel gibt es keine Ausnahme. Wer etwas anderes behauptet lügt, und/oder will etwas verkaufen – vornehmlich einen Lottoschein oder einen Versicherungsvertrag.
Links zum Thema: Spielverderber: Warum Lotto sich lohnt, und für wen | Kfz-Haftpflicht: von der Versicherung, die nie eine war | Der organisierte Betrug: Tips und Ratschläge für Versicherungsgeschädigte (interne Links)