Lohn unter Sozialhilfeniveau ist nicht sittenwidrig

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Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt hat in einem gestern veröffentlichten Grundsatzurteil klargestellt, daß auch ein Lohn unter Sozialhilfeniveau nicht notwendigerweise sittenwidrig ist. Die Höhe der Sozialhilfeleistung sei nicht der richtige Maßstab zur Beurteilung der Höhe von Löhnen.

Das Gericht wies die Klage eines Lagerarbeiters ab, der von Dezember 2000 bis August 2001 bei der Zeitarbeitsfirma Randstad für Stundenlöhne um 12 DM/Std. (ca. 6,10 €/Std.) gearbeitet hatte. Dieser Lohn betrage nur ca. die Hälfte des statistischen Mittellohnes für ungelernte Arbeiter und habe zudem den damals geltenden Sozialhilfesatz nicht überstiegen. Zur Begründung führte das Gericht an, daß der Lohn dem Haustarifvertrag bei der Firma Randstat entsprochen habe und zudem Sozialhilfe nach Bedürftigkeit gezahlt werde und daher kein brauchbarer Maßstab sei. Aktenzeichen: 5 AZR 3003/03.

Die Wirkungen, die dieses Urteil entfalten könnte, gehen indes über den Einzelfall hinaus, denn es beschleunigt den Weg in Richtung auf die Ausbildung eines Niedriglohnsektors. Obwohl die Sozialhilfe kein individueller Maßstab sein mag, soll doch der durch Arbeit erworbene Primärlohn in seiner Nettosumme die Transferleistungen des Staates in der Regel deutlich übersteigen, schon um einen Anreiz zum eigenständigen Broterwerb zu schaffen. Nunmehr werden jedoch vermutlich vermehrt Niedriglohn-Arbeitsverhältnisse zum oder gar unter dem Sozialhilfesatz unter Berufung auf dieses Urteil angeboten. Das könnte aber auch den Staat verleiten, die Sozialhilfe unter Berufung auf die höchstrichterliche Rechtsprechung und den Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe auch hinsichtlich ihrer Höhe, die soziale Sicherung noch weiter zu beschneiden.

So gesehen hat das BAG aber zeitgemäß gehandelt, denn der Absturz der Arbeitsverhältnisse und der Verfall der Löhne gehen mit zunehmender Entindustrialisierung weiter – und die neuerlichen Massenexporte von Arbeitsplätzen aufgrund hoher Lohnkosten und drohenden Zertifikatehandels dürften diese Entwicklung nicht gerade bremsen.

Links zum Thema: Networking, oder der Niedergang klassischer Arbeitsverhältnisse | Stagflation: Größter Arbeitsplatzverlust seit Bestehen der Republik | Energierationierung: wie funktioniert der Emissionshandel? | Die reale Zahl: 7,2 Millionen Arbeitslose? (interne Links) | Bundesarbeitsgericht (externer Link)

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