Ein Forenteilnehmer namens Jens postete im Forum für Betriebswirtschaft eine Marketing-Aufgabe, die gerade als Lehrbuchbeispiel für die Bearbeitung komplexer Marketing-Fallstudien dienen kann. Wir stellt hier die Aufgabe in einer nur ganz leicht veränderten Version zur Diskussion, und geben Hinweise zu ihrer Bearbeitung.
Das Problem
Die Aufgabe beginnt mit einer Schilderung von Daten sehr unterschiedlichen Typs, was sie auf Anhieb unübersichtlich macht, eine Fallgestaltung voller Fallen und Tretminen, die besonders in Prüfungen bei erhöhtem Adrenalinspiegel Spaß macht. Und man ahnt schon beim Lesen des Falles, daß hier vielschichtige und komplexe Lösungsstrategien gefordert werden:
Branche: Süßwaren, Hauptprodukt: Schokolade, Jahresumsatz: ca. 8 Mio. EUR, Umsatzentwicklung: Stagnierend bis leicht rückläufig, Distributionsweg: Groß- und Einzelhandel, Jährlicher Werbeaufwand: ca. 400.000 EUR, Konzentration des Werbebudgets: Monate Jan., Febr., März, Sept., Okt., Nov., Dez.
Marktcharakteristik: Stagnierende Marktverhältnisse, weitere Feststellung: Schokoladen sind sogenannte zyklische Produkte, d.h. die Umsatzkurve sinkt in den Sommermonaten rapide nach unten. Es gibt also einen ausgeprägten Saisonzyklus.Psychologische Beschaffenheit des Marktes: Marktforscher haben festgestellt, daß Schokolade im Sommer nicht gekauft wird, weil der Verbraucher die Schokolade als (zu) süß, verlaufend, schwer und wenig erfrischend empfindet. Der Schokoladenkonsum wird von zwei Hauptmotiven gekennzeichnet, dem Genußmotiv dem Geschenkmotiv. Das derzeitige Image von Schokolade ist nach den Ergebnissen der Meinungsumfragen ist äußerst negativ. Argumente der Verbraucher: Schokolade mache dick, schlechte Zähne, Verstopfung etc.
Plazierungsgewohnheiten im Handel: Alle Sorten werden an einem Ort, d.h. in einer Regalwand plaziert. Der Verbraucher sieht vor lauter Schokoladen keine Marken mehr. Als Orientierungshilfe des Verbrauchers rückt daher der Preis dafür an erster Stelle.
Aufgabe: Erstellen sie ein praktikables Marketing-Konzept, welches eine Lösungsmöglichkeit für das Absatzproblem aufzeigt.
Grundlegende Hinweise zur Herangehensweise
Zuerst kann es sich lohnen, den Marketing-Prozeß im Auge zu behalten. Dieser beginnt mit der Marktforschung, aufgrund derer eineMarktsegmentierung vorgenommen werden kann, also die Aufteilung eines nicht insgesamt zu bedienenden Gesamtmarktes in handhabbare Teilmärkte. Für jeden Teilmarkt, den das Unternehmen zu bedienen wünscht, wird dann ein konkreter Marketing Mixausgearbeitet, der die Summe der für dieses jeweilige Segment anzuwendenden konkreten Maßnahmen enthält. Beispiele wären etwa die Produktpolitik, die Preispolitik, die gewählten Distributionskanäle, die Absatzhelfer, die Konditionenpolitik, die Marktkommunikation, bestehend aus Werbung, Verkaufsförderung und PR, usw. usf. Die Summe der Maßnahmen für die einzelnen Segmente artikuliert eine (hoffentlich) in sich geschlossene Strategie.
Prüfungstaktische Tips
Je allgemeiner die Frage, desto allgemeiner auch die Antwort. Im vorliegenden Fall muß man also nicht spezifisch auf Details eingehen, sondern Gesamtzusammenhänge darstellen. Das ist typisch für strategische Aufgaben (während in taktischen Aufgaben oft gerechnet werden muß). Im vorliegenden Fall macht es also Sinn zu zeigen, daß man die zu den wesentlichen Elementen des Marketing-Mix und des strategischen Marketings gehörenden Konzepte kennt; ein bißchen konkrete Marktkenntnis kann natürlich auch nicht schaden, dürfte aber nur in einer Prüfung gefordert werden, wenn man Konditor oder Schokoladenfachhändler werden will.
Die generell für Prüfungen gegebenen Ratschläge gelten auch hier. Das gilt insbesondere auch, wenn eine solche Aufgabe Teil einermündlichen Prüfung sein sollte. Schließlich haben wir auch schon allgemeine Vorbereitungsratschläge für schriftliche Prüfungengegeben.
Wer die Prüfung vor einer IHK macht, sollte auf die spezielle Kammerlyrik achten, der sich die verkammerten Prüfungslyriker nun mal befleißigen. Ein guter Leitfaden hierzu sind die Textbände der IHK, die wir schon oft kritisiert haben. Ihre Existenz alleine begründet ihre Notwendigkeit im Rahmen einer ordentlichen Prüfungsvorbereitung. So sollte man beispielsweise wissen, daß IHK-Prüfungen oft nach Vorteilen fragen, und ein paar überall bereithaben, auch wenn man das persönlich für weltfremd hält – diese Einschätzung ist während der Prüfung irrelevant. Auch bestimmte Portfolios sind bei der IHK sehr beliebt, und müssen Ihnen daher geläufig sein, etwa SOFT oder die Ansoff-Matrix.
Tips zur Lösung dieses Falles
Die Marktforschung ist in diesem Falle ja schon erledigt; dies an sich zu kritisieren oder Verbesserungen vorzuschlagen, ist vermutlich wenig erfolgversprechend. Viel eher wäre zu empfehlen, zunächst eine Erweiterung der Marktsegmentierungvorzuschlagen. Auf dieser Basis können neue Elemente des Marketing Mix und am Ende neue Strategien abgeleitet werden.
Neusegmentierung des Marktes
Wesentliche Segmentierungsvariablen sind im Teil über die psychologische Beschaffenheit des Marktes enthalten. So könnten schon das Genuß- und das Geschenkmotiv eine Marktsegmentierungsvariable sein: Schokolade in Lebensmittelmärkten und in Geschenkläden plazieren, in ersteren zum Essen, in letzteren zum Verschenken. Das bedingt natürlich unterschiedliche Produkte, Aufmachungen, Werbung usw. Zudem wird ein negatives Image erwähnt. Das fordert eine Art antizyklischer Marktkommunikationheraus, die aber die mutigere und risikoreichere Strategie ist, aber auch eine Alleinstellungsposition bedingen kann: "Dick ist schick" beispielsweise könnte Protestesser und Freßattacken ansprechen, und ein ausgesprochen dickes aber sexy wirkendes (möglicherweise noch schwarzes?) Schoko-Engelchen könnte Werbung für exotische, himmlische- oder sonstwasfür Genüsse machen – eine strategische Neupositionierung unter Bruch der gesellschaftlichen Gemeinplätze wie Fitneß und Gesundheit! Nicht ganz so gewagt wäre, dem Gesundheitsargument der Kritiker die Ausschüttung des "Glückshormones" Serotonin entgegenzusetzen: Schokophoria, sozusagen. Und das noch auf Bestellung? Schließlich können nämlich kreative Vorschläge versuchen, völlig neue Käuferschichten zu erschließen, etwa durch einen Schokoversand im Netz für gestreßte Programmierer und große Kinder, die an ihren teuren Spielsachen unter Liebesentzug leiden, und den Serotonion-Schock per Mausklick brauchen…
Neue Segmente und neue Maßnahmen
Man merkt an den Ideen, daß der Vorschlag neuer Segmente sich kaum von neuen Ideen für den Marketing-Mix trennen läßt. Im Rahmen einer Aufgabenlösung könnte man aber auf einzelne Segmente genauer eingehen, also etwa spezielle Maßnahmen für den Geschenk-Käufer oder den Internet-Schokokonsumenten vorschlagen. Diese könnten auch die Preispolitik umfassen, wobei man erwähnen sollte, daß Schokolade ein Convenience-Good im Sinne der konsumentenorientierten Gütertypologie ist, und daher mit verhältnismäßig hohen Preisaufschlägen verkauft werden kann. Das Preis-Portfolio bietet sich geradezu als Bezugsrahmen an.
Den zweifellos für den Hersteller unvorteilhaften Plazierungsgewohnheiten im Handel kann man mit Funktionen- oder Displayrabatten begegnen, wobei ein Funktionsrabatt etwa von Werbung abhängig sein kann, die ein Händler selbst betreibt, und ein Displayrabatt Bedingungen hinsichtlich der Präsentation des Produktes im Laden (oder etwa im Schaufenster) mitbringt. Hinsichtlich der Saisonzyklen sollten übrigens antizyklische Marketing-Maßnahmen vorgeschlagen werden, also etwa Nachlässe und besondere Werbeanstrengungen im Sommer. In IHK-Prüfungen ist es übrigens weise zu Erkennen zu geben, daß man das Konzept des Produktlebenszyklus kennt, denn das ist sehr beliebt; im Rahmen der Produktionsprogrammplanung kann man auch darlegen, daß die Erschließung neuer Schoko-Segmente eine Spezialisierungsstrategie wäre, wohingegen das Ausweichen auf ganz andere Märkte eine Form der Diversifikation darstellt. Diesbezügliche Beispiele wären aber weiter hergeholt; die Aufgabe lädt eher zur Differenzierung denn zur Diversifikation ein.
Übrigens war in IHK-Prüfungen die letzten Jahre immer wieder von Markenstrategien die Rede; es kann daher sinnvoll sein, sich im Rahmen einer solchen Aufgabe darüber auszulassen, ob hier eine Sachmarkenstrategie, eine Mehrmarkenstrategie oder eine Markenfamilienstrategie sinnvoll wäre… was vermutlich mehr oder weniger beliebig beantwortet werden kann, solange man eine schlüssige Antwort findet. Ein Erfolgsmaß wäre dann übrigens der Markenwert, wobei z.B. Scoring-Modelle nach A.C. Nielsen zu empfehlen wären, aber das geht schon über IHK-Niveau hinaus.
Zur Beurteilung solcher Fallösungen
Der Prüfer hat es hier verhältnismäßig schwer, weil es zunächst offene Fragen sind, und zudem keine einzig richtige Lösung existiert. Die meisten Prüfer werden daher eine gute Note verteilen wenn sie merken, daß theoretische Kontepte mit Leben gefüllt werden – dasist der zentrale Erfolgsfaktor. Erklären Sie also, wie das Preis-Portfolio hier paßt, oder was das mit der Ansoff-Matrix zu tun hat, und Sie sind aus dem Schneider – ob Sie dabei die Schokolade im Netz vertreiben wollen, oder als besondere Appetithappen in Hotels für Übergewichtige auf Reisen für Dicke, die dem Diätwahn und Fitneßterror endlich mal entkommen wollen, das ist mehr oder weniger egal. Nur eines: verhalten Sie sich nicht zu destruktiv, trotz aller Versuchung. Beherrschen Sie sich und Ihre ironische Ader. Ein EU-weites Verbot von Schokolade zu fordern, oder wenigstens den Zwangsaufruck "ACHTUNG! SCHOKOLADE VERURSACHT DIABETES" auf allen Packungen, mag zwar politisch korrekt, von der ungewählten EU-Kommission begrüßt und theoretisch Negativmarketing sein, führt aber kaum zu brauchbaren betriebswirtschaftlichen Konzepten. Es sei denn, sie schlagen analog zum "Klimascheinhandel" einen Schokoerlaubnisscheinhandel für Dicke vor, die handelbare Steuer auf Serotonin. Das wäre wenigstens zeitgemäß.
Links zum Thema
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