Psychologie bei der Zielgruppenbestimmung

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Aus dem Buch von Stefan Merath: "Der Weg zum erfolgreichen Unternehmer"

Der Schlüsselfaktor für die Entwicklung einer jeden Strategie ist die Nähe zur Zielgruppe. Nur wenn ich auch im Dunkeln in den Köpfen der Mitglieder meiner Zielgruppe ein und aus spazieren gehen kann, kann ich zielsicher eine Strategie entwickeln. Und ich kann am ehesten im Dunkeln in den Köpfen anderer spazieren gehen, wenn ich erstens viel mit diesen Menschen zusammen bin und zweitens starke Emotionen gegenüber diesen Menschen habe – vorzugsweise positive Emotionen. Wenn Ihnen die Menschen, für die Ihr Unternehmen Produkte oder Leistungen erbringt, egal sind, werden Sie niemals dauerhaft eine gute Strategie verfolgen können. Mit anderen Worten: Der Schlüsselfaktor für die Auswahl der Zielgruppe ist die Intensität Ihrer Beziehung zu den Mitgliedern der Zielgruppe.

Rationale oder emotionale Entscheidungen?

Neben Ihrer eigenen Psychologie spielt aber auch die Psychologie Ihrer Kunden eine immens wichtige Rolle. Und auch hier kommt es zu einem schwerwiegenden Missverständnis. Bislang ging man davon aus, dass ein Unternehmen seinem Kunden einen möglichst hohen Nutzen bringen muss. Die Idee dahinter ist die, dass der Kunde ein rational entscheidendes Wesen ist. "Nutzen" ist ja eine rationale Kategorie. Nach den Erkenntnissen der Neurowissenschaften aus den letzten 20 Jahren ist der Mensch jedoch nicht vorrangig rational. Der Mensch entscheidet emotional, unbewusst und oft entgegen seinem Nutzen.

In den USA gab es eine Untersuchung, warum Menschen Demokraten oder Republikaner wählen. Klassisch ging man davon aus, dass Menschen rational die Parteiprogramme (oder was sie davon kennen) gegeneinander abwägen und die Partei wählen, die ihnen den größten Vorteil bringt. Die Untersuchung brachte zum Vorschein, dass dies nicht so ist: Die Menschen wählten eine der beiden Parteien weil sie Republikaner oder Demokraten waren – es war eine Frage der Identität oder des Selbstbilds. Das war selbst dann noch so, wenn die jeweils andere Partei den Wählern einen größeren Nutzen gebracht hätte. Und selbst dann noch, wenn die Wähler dies wussten!

Es gab einer weitere Untersuchung in den USA: Wer kauft Schornsteinreinigungsmittel? Das Ergebnis war, dass nicht die mit den schmutzigsten Schornsteinen, sondern die mit den saubersten Schornsteinen die Käufer waren. Den Menschen mit den schmutzigen Schornsteinen war es schlicht und ergreifend egal, ob ihr Schornstein verrußt war, während sich der Putzfimmel der anderen sogar auf die Innenseite der Schornsteine erstreckte. Die Menschen kauften also nicht nach dem Nutzen, sondern nach Ihrer Identität: „Ich bin ein Sauberkeitsfanatiker“ oder „Ich bin ein Schmutzfink“.

Wenn dem so ist, dann heißt das auch, dass eine Zielgruppe nur in den wenigen Bereichen, in denen streng nach Nutzen entschieden wird (das sind weniger Bereiche als man glaubt), eben auch nach den (rationalen) Problemen und dem zugehörigen potenziellen Nutzen gebildet werden kann. Oftmals fährt man mit einer Zielgruppenbildung entlang emotionaler Motive oder gar der Identität und dem Selbstbild der Menschen (oder Organisationen) wesentlich besser.

Modelle zur Erfassung von Motiven

Damit stellt sich die Frage, wie man Menschen nach diesen Motiven erfassen kann. Hierzu gibt es viele verschiedene Modelle. Alle haben gewisse Schwächen – einige sind ziemlich nützlich. Ich persönlich halte das Zürcher Modell der sozialen Motive und die daraus entwickelte Limbic Map von Hans Georg Häusel einerseits und das Modell von Tony Robbins andererseits für die beiden Modelle mit der höchsten Erklärungskraft und dem größten praktischen Nutzen.

Im Modell von Hans-Georg Häusel wird von drei Grundmotiven: Balance, Stimulanz und Dominanz ausgegangen. Alle menschlichen Emotionen und Motive sind nun Mischformen. Zum Beispiel ist das Abenteuerbedürfnis eine Mischform aus Stimulanz und Dominanz. Und Wellness hat vorrangig mit Balance zu tun, dem ein Schuss Stimulanz beigeordnet ist. Poesie liegt eher im Bereich Stimulanz mit einem Schuss Balance. Und so weiter.

Dieses Modell halte ich für das wissenschaftlich modernste und abgesichertste (und sämtlichen DISG-, HDI- und ähnlichen Modellen für überlegen). Dennoch hat es Grenzen: Die Bedürfnisse nach persönlichem Wachstum oder nach Sinn – also das, was bestimmte Menschen als eher spirituelle Bedürfnisse bezeichnen – lassen sich in diesem Modell nicht schlüssig erfassen.

Hier hilft das Modell von Tony Robbins weiter, der von sechs grundsätzlichen Bedürfnissen ausgeht: Dem Wunsch nach Sicherheit und dem gegenteiligen Wunsch nach Unsicherheit. Dem Wunsch nach Bedeutsamkeit und dem gegenteiligen Wunsch nach Zugehörigkeit/Liebe. Und schließlich den Wünschen nach persönlichem Wachstum und nach Sinn/Geben. Auch hier lassen sich menschliche Emotionen gut einordnen.

Beides sind jedoch bis zu diesem Punkt ziemlich grobe Modelle. Wenn ich z.B. heraus finde, dass meine Zielgruppe sehr Sicherheits- bzw. sehr Balance-orientiert ist, dann weiß ich natürlich schon mal mehr als die meisten anderen Unternehmer. Aber mir fehlt noch etwas ganz Entscheidendes.

Sicherheitsbedürfnisse mit Glaubenssätzen befriedigen

Jeder Mensch hat nämlich Vorstellungen, Regeln, Erfahrungen, Bilder etc., also Glaubenssätze im Kopf, wie er zum Beispiel sein Sicherheitsbedürfnis (oder jedes andere Bedürfnis) erfüllen kann. Manche erfüllen dies über Geld. Der Glaubenssatz dazu: Je vermögender ich bin, desto eher kann ich auf Krisensituationen reagieren und bin für die Zukunft abgesichert. Andere erfüllen dies über einen möglichst großen Freundeskreis. Der Glaubenssatz: Wenn es mir schlecht geht, ist immer jemand da, der mir hilft. Wieder andere erfüllen dies über möglichst hohe Kompetenzen in bestimmten Krisensituationen. Der Glaubenssatz: Je höher meine Fähigkeiten, desto weniger kann ich durch irgendetwas überrascht werden. Und wieder andere erwarten diese Sicherheit einfach von außen. Der Glaubenssatz: Der Staat (die Familie etc.) ist für meine Sicherheit verantwortlich.

Wohlgemerkt: Allen ist die Sicherheit wichtig! Aber dem ersten kann ich eine Lebensversicherung, dem zweiten ein enges Wohnumfeld, dem dritten ein Seminar und dem vierten die SPD verkaufen. Mit anderen Worten: Kenne ich das Grundbedürfnis meiner Zielgruppe, dann fängt die Arbeit eigentlich erst richtig an: Welche Vorstellungen und Ideen hat diese Zielgruppe im Kopf, wie sie dieses Grundbedürfnis befriedigen kann? Welche Geschichten „beweisen“ den Mitgliedern meiner Zielgruppe, dass ihr Weg der richtige ist?

Und erst, wenn ich es schaffe, mein Produkt und meine Produktpräsentation auf einer Art und Weise zu gestalten, die nicht nur kompatibel zu den Grundbedürfnissen, sondern auch zu den Glaubenssätzen und Geschichten meiner Zielgruppe ist, habe ich wirklich einen Zugang.

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Eine Antwort

  1. Der Limbic Ansatz von Hans Georg Häusel ist absolut empfehlenswert. Er gewährt einen tieferen Einblick in soziale, kulturelle, psychologische und biologische Zusammenhänge. Zudem ist er sowohl für Marketingpraktiker und Designer als auch für Strategen gut geeignet.