In die Breite, nicht in die Tiefe
Wie schon früher dargestellt gehen mündliche Prüfungen in die Breite und nicht in die Tiefe. Ein guter Prüfer versucht zu erforschen, ob ein Teilnehmer die Zusammenhänge verstanden hat und Sachverhalte richtig bewerten kann. Er wird nicht versuchen, Detailkenntnisse abzufragen und schon gar nicht nach auswendig gelerntem Wissen forschen. Es kann also Sinn machen, ein Gesetzbuch und einen Taschenrechner mitzunehmen; brauchen wird man das aber nur, wenn es ausdrücklich in der Einladung zur Prüfung steht. Ansonsten sind solche Hilfen meist überflüssig.
Grundlegende Definitionen beherrschen
Besonders Kammerprüfungen bauen oft auf zugrundeliegenden Definitionen auf. Das ist im Prinzip auch sinnvoll, denn wenn man im Rechnungswesen nicht die gleichen Grundlagen verwendet, kommt am Ende auch nichts Brauchbares heraus. Es ist also ratsam, mit dem Unterschied zwischen Auszahlungen, Ausgaben, Aufwendungen und Kosten endlich Frieden zu schließen – und das muß verstanden und verinnerlicht werden. Auswendig gelernt reicht's nicht! Auch die nicht vorhandene (!) Vermögensdefinition im HGB, die sehr wohl bestehende Vermögensdefinition im F 49 und die verschiedenen Arten, in R 4.2 Abs. 3 – 4 EStR, §§90, 95 BGB und in IAS 16 mit dem Vermögensbegriff umzugehen, sollten dem Teilnehmer bewußt sein. Wohlgemerkt: bewußt! Niemand muß die Einzelvorschriften auswendig zitieren, und die 2.600 Seiten IFRS-Regelwerk können zu Hause weiter den Schreibtisch belasten, aber die grundlegenden Prinzipien muß man aus dem Hauptspeicher zaubern können: Einheitstheorie, Komponentenaktivierung und möglichst gleich die zugehörigen steuer- und handelsrechtlichen Bewertungsregeln…
Die Kosten verlaufen sich nicht!
Ein weiteres beliebtes Thema sind die Kostenverläufe. In schriftlichen Prüfungen wird oft nur nach den Kosten pro Periode in Abhängigkeit von der Ausbringung gefragt, denn diese verlaufen linear und sind mit Lineal und Millimeterpapier präzise zu zeichnen und eindeutig zu bewerten. In mündlichen Prüfungen kommt es dagegen oft auf den Verlauf der Kosten pro Einheit an, denn die verlaufen nichtlinear und degressiv. Der Prüfer kann Sie auffordern, das an die Tafel zu zeichnen, und bei Fehlern durch Nachfragen versuchen zu erforschen, ob das grundlegende Verständnis richtig ist. Dies bedeutet übrigens auch, daß man bei mündlichen Prüfungen vorbereitet sein sollte, etwas in freier Rede präsentieren und erläutern zu müssen.
Fiese Fragen vorgelegt
Gefürchtet sind Situationen, in denen der Prüfer plötzlich ein schriftliches Dokument aus dem Hut zaubert und dazu Fragen stellt. Das ist besonders beliebt, weil auf diese Weise dem Prüfungsteilnehmer ein Zahlenwerk präsentiert werden kann, zu dem viele Fragen möglich sind. Besonders gerne werden Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen verwendet, denn hier braucht es einiges Material um sinnvoll fragen zu können. Die offensichtliche Antwort ist indes, sich gut auf die Bedeutung der einzelnen Bilanzpositionen und die Funktionsweise der wichtigsten Kennziffern vorzubereiten. Prüfer fragen dann oft auch einfach, was denn dieses oder jenes bedeuten mag: man muß also Rückstellungen von Rücklagen unterscheiden können, die vier Arten von Rechnungsabgrenzungen kennen oder die horizontalen und die vertikalen Kennziffern dem Grunde nach verstehen. Wie gesagt, dem Grunde nach: rechnen muß man das nur sehr selten. Verstehen dagegen immer.
An einer Bilanz sieht man übrigens vieles auch ganz ohne Gebrauch des Taschenrechners: wenn ein Prüfer fragt, was dieses Unternehmen denn für ein Problem habe, dann zielt er meist auf Liquiditäten oder Anlagedeckung. Diese kann man allgemein referieren und zeigen, was man wie in dem vorgelegten Zahlenwerk rechnen müßte. Dabei fallen meist die versteckten Probleme schon auf, und dem Kandidaten die Punkte in den Schoß.
Kenne Deinen Prüfer!
Schon oft wurde der Rat gegeben, im Vorfeld einer mündlichen Prüfung herauszufinden, wer prüft, denn alle Prüfer haben ihre Steckenpferde und kaum einer wechselt die vor Beginn der Frageveranstaltung. Aus dem gleichen Grund ist es ratsam, die Veröffentlichungen der Prüfer zu kennen, denn die fragen offenbar gerne über das, worüber sie auch publiziert haben. Eine gute Prüfungsvorbereitung bezieht sich also nicht nur auf das Fach, sondern auch auf die Situation, der man ausgesetzt sein wird.
Nicht nur fachliche Probleme
Eine Prüfung besteht man schließlich nur zum Teil durch Fachkenntnisse, aber zum Teil auch dadurch, die Angst zu besiegen. Erfahrungsgemäß sind mündliche Ergebnisse oft besser als schriftliche – wenn die Teilnehmer es schaffen, Unsicherheit und Hemmungen abzulegen. Ein guter Prüfer wird versuchen, Sie vor Beginn der Prüfung zu entspannen. Ein Anspruch auf die einleitende Frage, über was Sie denn geprüft werden wollen, gibt es nicht; gleichwohl wird diese Frage oft gestellt. Hier sollte jedem die richtige Antwort einfallen. Ein guter Prüfer wird auch das Thema wechseln wenn er merkt, daß er ins Leere faßt, um Ihnen eine zusätzliche Chance zu geben, oder das Wort an einen anderen Prüfer weiterreichen.
Und am Ende ist es wie beim Fußball: der nächste Gegner ist immer der Schwerste.
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