»Lidl-Affäre«: Wirklich ein Überwachungs-Skandal?

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Seit einigen Tagen geistert die sogenannte »Lidl-Affäre« durch den Blätterwald: der bekannte Lebensmitteldiscounter soll nach Informationen der Zeitschrift "Stern" seine Mitarbeiter mit Detektiven bespitzelt haben. Die Handelskette, so heißt es, habe sich inzwischen entschuldigt. Der BWL-Bote fragt, wofür man sich hier eigentlich entschuldigen muß?

 

 
Angebliche Zitate aus den Lidl-Protokollen

 

Zitiert nach »Stern«
Frau T. telefoniert mit ihrem Freund, es geht um das gemeinsame Abendessen. Obwohl sie weiß, daß der Markt gut besucht ist und noch diverse Arbeiten zu erledigen sind, verspricht sie ihm, pünktlich Feierabend zu machen, was sie dann um 15 Uhr tut.
Frau N. ist an beiden Unterarmen tätowiert. Diese Tatoos sehen jedoch mehr nach Marke "Eigenbau" aus. Für insbesondere ältere Kunden könnten diese auch als Gefängnis-Tätowierungen gedeutet werden. Man sollte Frau N. anweisen, die Unterarme während der Arbeitszeit, insbesondere an der Kasse, bedeckt zu halten.
Die Kasse 1 ist nicht besetzt, da Frau H. abermals mitten im Kassiervorgang ihren Platz verlassen hat, um im Markt nach einem Preis zu suchen.
Frau L. flucht wie ein Rohrspatz, daß sie nicht pünktlich um 17.00 Uhr Feierabend machen kann.

Glaubt man dem "Stern", so hat die Lidl-Geschäftsleitung Detektive und elektronische Mittel eingesetzt, das Verhalten ihrer Mitarbeiter während der Arbeitszeit am Arbeitsplatz zu überwachen. Dabei entstanden Protokolle, die angeblich dem Stern vorliegen. Diese letzte Woche in Auszügen publizierten Dokumentationen sind Gegenstand des ganzen Gezeters. Nebenstehend haben wir einige der Zitate des "Stern" wiedergegeben.

Wenig verständlich ist indes, worum es überhaupt geht: so notiert ein Detektiv, daß eine Mitarbeiterin während der Arbeitszeit mit ihrem Freund telefoniert – was kaum ein mit dem Arbeitsvertrag vereinbares Verhalten sein dürfte. Für sowas setzt es normalerweise erst eine Abmahnung und dann eine fristolse Entlassung, die jedes Arbeitsgericht bestätigen würde.

Auch die gefängnistauglichen Tätowierungen an den Unterarmen einer Mitarbeiterin zu verdecken, ist meines Erachtens nach nichts anderes als angemessen, denn appetitlich sieht sowas wahrlich nicht aus. Hat schon das Personalwesen des Marktes den Fehler gemacht, so jemanden im direkten Kundenkontakt einzusetzen, ist es doch offensichtlich richtig darauf zu achten, daß das äußere Erscheinungsbild des Mitarbeiters aufgeräumt und sauber aussieht. Das war in diesem Fall, und in einigen anderen, die der Stern zitiert, anscheinend nicht der Fall.

Am besten scheint mir noch der Niesanfall, den "Frau T." beim Kassieren in Gegenwart des Kunden bekommt: "anstatt sich kurz zur Seite zu drehen und die Hand davor zu nehmen oder gar ein Taschentuch zu benutzen", notiert hier der Ladendetektiv, "scannt und niest sie weiter, immer schön auf die Produkte des Kunden, die sie über den Scanner zieht". Na lecker. Als Kunde hätte ich mich beschwert (und nicht bezahlt, jedenfalls nicht diese Produkte), und als Marktleiter hätte ich der Frau ihre Papiere gegeben, und zwar fristlos. Warum also das gegenwärtige Rauschen im Blätterwald?

Wie immer ist es sinnvoll, ein wenig unter die Oberfläche zu schauen. Die Kommentatoren scheinen sich nämlich nicht über die bisweilen eher unappetitlichen Details aufzuregen, die hier ans Tageslicht kommen, sondern darüber, daß überhaupt die Art und Weise der Arbeitsverrichtung beobachtet und kommentiert wird. Dahinter aber steckt eine ganz falsche Mentalität, es gehe den Arbeitgeber nichts an, was seine Mitarbeiter machen: es geht ihn sehr wohl etwas an, was in seinem Markt passiert, und wie es passiert. Was jemand auf Arbeit, insbesondere öffentlich für den Kunden sichtbar tut, ist eben nicht die Privatsache des Betroffenen. Der Markt nämlich hängt ab vom Kunden, der die geschilderten Vorfälle gewiß nicht gutheißen würde. Und anders als im Gesundheitswesen oder der Energiewirtschaft gibt es im Lebensmitteleinzelhandel noch Konkurrenten, die man künftig aufsuchen könnte. Das aber würde die Arbeitsplätze aller Lidl-Mitarbeiter gefährden, auch die derjenigen, die ihre Arbeit gut und sauber verrichten.

Wir müssen uns einmischen, das ist eine einfache Lehre. Im Service-Bereich ist die Wertkette kurz, d.h. Fehler können nicht verborgen werden. Qualität ist daher besonders wichtig – und umfaßt eben auch die Art und Weise, wie eine Arbeit verrichtet wird. Das sollten wir endlich lernen, denn solange wir uns über Datenschutz aufregen wo es eigentlich um Qualitätsmanagement geht, dürfen wir uns als Kunden nicht über den Fortbestand der Service-Wüste wundern.

Links zum Thema: Qualitätsmanagement, ISO 9000:2000 und TQM | Qualitätsmanagement: es wäre so einfach, wenn man nur will | Kundenzufriedenheit und Qualitätsmanagement im Bildungsbetrieb | Warum Qualitätsmanagementsysteme scheitern | Dienstleistungsbranche: immer noch eine Servicewüste. Aber warum? (interne Links)

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