Kostentheoretische Details werden oft geringgeschätzt. Mit der Unterscheidung zwischen fixen und variablen, oder der zwischen Einzel- und Gemeinkosten, wird es oft nicht so eng gesehen. Das aber ist ein großer Fehler, in der bösen Wirklichkeit ebenso wie in der noch viel böseren Prüfung. Schauen wir uns mal ein Beispiel an: wenn die Kostenartentheorie zuschlägt…
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Schon vor fünf Jahren veröffentlichten wir an dieser Stelle dienebenstehende Tabelle, die zu verstehen für die nachfolgende Argumentation von fundamentaler Wichtigkeit ist. Zunächst werden drei Artikel oder Produktbereiche nach dem herkömmlichen Kalkulationsschema berechnet. Auf die Einzelkosten werden in der üblichen Weise die im BAB errechneten Gemeinkosten zugeschlagen, wobei der Materialgemeinkostenzuschlag 10% und der Fertigungsgemeinkostenzuschlag 100% betrage. Der Zuschlag für die Verwaltungs- und Vertriebsgemeinkosten betrage 20% auf die Herstellkosten. Das ist insofern nichts Besonderes und sollte dem Leser geläufig sein.
Einer der drei Geschäftsbereiche ist verlustbringend. Soll er aber auch abgeschafft werden?
Wie so oft in Prüfungen sind auch hier die zugrundeliegenden Definitionen von großer Wichtigkeit. So muß dem Leser bewußt sein, daß Einzelkosten stets variabel sind, Gemeinkosten aber variabel oder fix sein können:
Das aber ist im vorliegenden Beispiel von großer Bedeutung: sind nämlich 10% der Gemeinkosten variabel, bleiben also 90% der Gemeinkosten bei Abschaffung des verlustbringenden Bereiches C zurück (Kostenremanenz), so steht nach Abschaffung des verlustträchtigen Geschäftsbereiches C das Unternehmen nicht, wie vermutlich beabsichtigt, um 10.000 Euro besser, sondern um 67.400 Euro schlechter – denn Produkte haben keine Gewinne (oder Verluste), sondern nur Deckungsbeiträge. Aus 60.000 Euro Gewinn werden durch den Fehler der Abschaffung des Verlustbereiches also nicht 70.000 Euro Gewinn, sondern 7.400 Euro Verlust. Im Originalartikel von 2002 wird dies im einzelnen vorgerechnet, und das Lehrbeispiel gehört nicht ohne guten Grund zu meinen beliebtesten exemplarischen Einführungsbeispielen. Was aber bedeutet dies für die tägliche betriebliche Praxis – und für die Prüfung?
Zum Erfolg gibt es keinen Lift. Man muß immer die Treppe benutzen. Das ist auch im vorliegenden Fall so: hier reicht es nämlich nicht, das zugrundeliegende Zahlenbeispiel nachvollziehen zu können, sondern man muß es auch auf andere Situationen übertragen können. Wissen und Könenn reichen nicht. Erst Erkennen bringt den finalen Prüfungserfolg.
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Für einen Auftrag liegen einem Entscheidungsträger die nebenstehenden Daten vor. Ganz ähnlich wie schon im einleitenden Beispiel gibt es auf Material und Fertigungslöhne Zuschlagssätze, hier aber die begleitende Information, daß die Fertigungsgemeinkosten i.H.v. 250% der Fertigungslöhne zu 30% variabel sind und von den Restgemeinkosten der Maschinenkostenstelle sind nur 10% variabel. Die restlichen Gemeinkosten sind stets Fixkosten. Ein Kundenskonto oder ein Kundenrabatt sollen nicht gewährt werden. Freie Kapazitäten sind vorhanden.
Nicht mehr in der Aufgabe steht, daß die Material-, Verwaltungs- und Vertriebsgemeinkosten stets Fixkosten sind, aber das ergibt sich aus der Sache: Materialgemeinkosten sind im wesentlichen Zinskosten und die Verwaltung hat nur indirekt mit dem Produkt zu tun. Die Vertriebsgemeinkosten sind zwar fix, aber die Verkäuferprovision ist natürlich eine Sondereinzelkostenart des Vertriebes – und als solche selbstverständlich in voller Höhe variabel. Dies muß der Prüfungsteilnehmer wissen.
Der Kunde bietet 5.000 Euro für das fertige Produkt. Weitere Preisverhandlungen sind erfolglos verlaufen. Sollte der Auftrag zusätzlich zum schon bestehenden Auftragsbestand angenommen oder doch besser abgelehnt werden?
Die Frage scheint auf den ersten Blick trivial zu sein und auf eine anscheinend simple Zuschlagskalkulation zu verweisen. Die meisten Prüfungsteilnehmer fertigen hier erstmal eine Rechnung nach dem folgenden Muster:
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So ist die nebenstehende Kalkulation, und das ist das Böse an Prüfungsfragen dieses Typs, keine Lösung der Frage, muß aber dennoch berechnet werden – nur, um an die Höhe des Provisionswertes des Verkäufers heranzukommen.
Das ist nämlich der Kerngedanke, auf den man kommen muß: so wie im einleitenden Beispiel ein Produkt durch seine Abschaffung den Deckungsbeitrag (und nicht etwa den Gewinn) verliert, so gewinnt es den Deckungsbeitrag (und nicht etwa einen ihm wie auch immer zugeordneten Gewinn), wenn man es macht. Im einleitenden Beispiel verliert man den DB i.H.v. 67.400 Euro, wenn man C streicht, aber gewinnt ihn, wenn man beispielsweise C statt der Streichung verdoppelt. So ist es auch hier: die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung des Zusatzauftrages ist bei freier Kapazität nur anhand der variablen Kosten und also des Deckungsbeitrages zu fällen.
Variabel sind neben den Einzelkosten auch die jeweiligen variablen Anteile der Gemeinkosten. Man löst die Aufgabe also nicht, wenn man die Zuschlagssätze aus den einleitenden Daten zugrundelegt, aber man ermittelt auf diese Weise die Verkäuferprovision. Die ist als Sondereinzelkosten des Vertriebes (SEKV) ebenfalls variabel. Hat man die raus, so kann die eigentliche Rechnung folgen:
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So werden hier auf das Material keine Gemeinkosten aufgeschlagen, weil die Material-GK stets fix sind. Sie bestehen meist aus Lagerzinskosten (Löhne und Energie sind, entgegen einer weitverbreiteten aber dennoch irrigen Meinung, fast immer sehr nachrangig). Auf die Fertigungslöhne werden nur die variablen Fertigungsgemeinkosten aufgeschlagen, laut Aufgabe 30% von 250%, also 75%. Ebenso wird nur der variable (und nicht etwa der ganze) Maschinenstundensatz gerechnet und bei den Restgemeinkosten werden gemäß Aufgabe nur die variablen 10% aufgeschlagen. Die Verwaltungs- und Vertriebsgemeinkosten fehlen ganz, aber der Wert der Verkäuferprovision wird mitgenommen. Der ist eine variable Kostenart.
Eine Anomalie sind hier die Rüstkosten. Die sind eigentlich fix, aber auftragsfix. Sie müssen daher mitgerechnet werden, weil sie ja schon durch die reine Annahme des Auftrages anfallen. Der Deckungsbeitrag, der hier berechnet werden soll, ist also schon ein DB II i.S.d. mehrstufigen DB-Rechnung.
Hat man solcherart die variablen (und Auftragsfixen) Kosten, so erhält man DB = Pvk – Kvar = 5.000 – 3.705 = 1.295 Euro. Durch die Annahme des Auftrages würde dieser als mit 1.295 Euro die Unternehmensfixkosten decken helfen. Eine Auftragsannahme sollte also bei freier Kapazität und in Abwesenheit einer Alternative empfohlen werden.
So kann man mit einfachen Sachen auch Prüfungsteilnehmern Freude machen – oder eben auch nicht, denn nicht nur die Grundgedanken der Vollkostenrechnung müssen verstanden worden sein, sondern eben auch die Basiskonzepte der Teilkostenrechnung. Die scheinbar so einfache Kalkulationsaufgabe hat also verborgene Klippen. Wer da nicht aufläuft zeigt, daß er ein vertieftes Verständnis der Sache besitzt, und kassiert die Punkte.
Links zum Thema: Warum nicht alles, was Verlust erwirtschaftet, auch abgeschafft werden sollte | Wissen, Können und Erkennen, oder von der Treppe, die zum Prüfungserfolg führt | Zuschlagskalkulation, Teil 1 von 4: Wie richtig zugeschlagen wird |Zuschlagskalkulation, Teil 2 von 4: Wenn der Kalkulator zuschlägt… | Zuschlagskalkulation, Teil 3 von 4: Erstens kommt es anders zweitens als man denkt | Zuschlagskalkulation, Teil 4 von 4: Es kann vorkommen, daß die Nachkommen… (interne Links)