Aufgaben zur Finanzierung sind oft vielfältige Klausurfallstudien, denn das Finanzierungsportfolio läßt Raum für abwechslungsreiche Prüfungsgestaltungen. Sie setzen nicht nur bilanzielle Kenntnisse voraus, sondern auch Hintergrundwissen zur Jahresabschlußanalyse und zur Rechtsformenlehre. Der Dozent muß diese Themen also vor dem Finanzierungsthema vermittelt haben; dann aber kann der Aufgabenersteller vielseitige Fragestellungen entwickeln, die facettenreiche Prüfungen gestatten. Schauen wir uns mal ein einfaches Beispiel an:
Elektriker Nord oHG | |||||||||||||
Aktiva | Passiva | ||||||||||||
A | Anlagevermögen | 250.000 EUR | A | Eigenkapital | |||||||||
B | Umlaufvermögen | 1. | Kapitalkonto Arnold | 80.000 EUR | |||||||||
1. | Vorräte | 5.000 EUR | 2. | Kapitalkonto Becker | 80.000 EUR | ||||||||
2. | Forderungen, sonst. Verm. | 35.000 EUR | B | Verbindlichkeiten | |||||||||
3. | Kasse, Bankguthaben | 30.000 EUR | 1. | langfristige Verb. | 100.000 EUR | ||||||||
2. | kurzfristige Verb. | 60.000 EUR | |||||||||||
– davon aus Steuern | 15.000 EUR | ||||||||||||
– davon aus Sozialversich. | 20.000 EUR | ||||||||||||
320.000 EUR | 320.000 EUR |
Zunächst soll der Klausuteilnehmer begründen, warum sich das Unternehmen in einer Notlage befindet, und Mittel zur Lösung der Krise vorschlagen. Elementare Kenntnisse in Bilanzanalyse werden hier abgefragt.
So berechnen wir hier die drei Liquiditätsgrade und finden, daß L1 = 50%, L2 = 108,33% und 3 = 116,67%. Und hier scheitert schon der Auswendiglerner, denn in diversen Leerbüchern findet sich der Satz, eine 1. Liquidität von 50% und eine zweite Liquidität von über 100% seien ausreichend. Das gerade stimmt hier aber nicht: die verfügbaren Barmittel i.H.v. 30.000 Euro reichen nämlich nicht mehr, die beiden "Davon"-Positionen der kurzfristigen Verbindlichkeiten zu bedienen. Das Unternehmen wird also alleine durch die Forderungen der Zwangsversicherungen und Finanzbehörden zahlungsunfähig. Die traditionellen Liquiditätskennziffern reichen hier also nicht aus um zu erkennen, daß dringend Forderungen eingetrieben und eine Kreditlinie mit der Bank vereinbart werden sollte, um die Insolvenz abzuwenden. Schablonenhaftes Lernen verhilft also nicht auf die Treppe zum Erfolg: so einfach kann man das beweisen!
Ähnlich ist es bei der zweiten Frage: das Unternehmen will, so die Aufgabe, ein Fahrzeug im Wert von 40.000 Euro erwerben. Der Klausurteilnehmer soll einen begründeten Vorschlag zu finanzierung machen. Dies klappt nur, wenn man Zusammenhänge erkennt, die nicht in der Aufgabe vorgegeben, wohl aber dort angelegt sind.
So muß man nämlich zuerst die Anlagedeckungsgrade berechnen. Dabei findet man A1 = 64% und A2 = 104%. Daß das Unternehmen die "goldene" Bilanzregel nicht erfüllt, ist nicht weiter problematisch; da es aber auch die "silberne" Bilanzregel der zweiten Anlagedeckung nur noch so gerade eben erreicht, ist bedenklich. Kreditfinanzierung ist daher vermutlich nicht möglich. Der Ratschlag muß also lauten, das Fahrzeug durch Einlagefinanzierung zu finanzieren – durch Einlage durch die bestehenden Gesellschhafter, durch Aufnahme eines weiteren Vollhafters oder durch eine stille Gesellschaft. Und das eröffnet natürlich die Aussicht auf schöne weitere Fragen etwa zur typischen oder atypischen stillen Gesellschaft oder zu den gesellschaftsrechtlichen Veränderungen, die sich durch einen neuen Vollhafter ergeben würden.
So einfach ist es also, Grundprobleme der Bilanzanalyse mit Fragen zum Gesellschaftsrecht und zur Finanzierung zu verbinden. Dozenten und Aufgabenersteller sollten auf solche themenübergreifende Fragestellungen wert legen, um das Denken in Zusammenhängen zu fördern. Lehrgangsteilnehmer sollten nicht auswendig lernen, denn das führt selten zum Ziel. Hier haben wir wieder mal gesehen, warum.
Links zum Thema: Finanzierungsarten: was Du heute kannst besorgen… | Wissen, Können und Erkennen, oder von der Treppe, die zum Prüfungserfolg führt | Prüfungsstrategie: Warum der Mitschreiber durchfällt | Skontozins: wenn Du nicht mehr weiter weißt… (interne Links)
Literatur: Zingel, Harry, "Bilanzanalyse nach HGB", Weinheim 2006, ISBN 3-527-50251-3, Amazon.de