Entscheidungstheorie: wie funktioniert eigentlich die Nutzwertanalyse?

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Die mathematische Entscheidungstheorie ist eine bunte Wiese mit vielen schönen Blumen, darunter solche Sumpfgewächse wie die Hurwicz-Regel, das Gewächs des kleinsten Bedauerns, das einst von Savage und Niehans gepflanzt wurde oder das Nullsummenspiel, auf dessen Sattelpunkt man erfolgreich in die Gewinnmaximierung reiten kann. All diese theoretische Botanik wird vor den Augen der IHK-Teilnehmer sorgfältig verborgen, denn solche Verfahren stehen in keinem der Lehrpläne zu Lehrgängen wie "Betriebswirt/IHK" oder "Technischer Betriebswirt" oder was da sonst noch kreucht und fleucht. Nur die Nutzwertanalyse macht eine Ausnahme, die sollte man schon vor der Prüfung mal gesehen haben. Wie aber funktioniert die, und wofür ist die gut?

Grundgedanke der Nutzwertanalyse ist, daß mehrere Handlungsalternativen, über die Gewißheit besteht, deren Konsequenzen dem Entscheidenden also vorher bekannt sind, verglichen und in einen Ergebniswert verdichtet werden sollen. Der Ergebniswert ist ein Rating-Wert. Mit Hilfe dieses Ratings kann eine Entscheidung getroffen werden.

Die zur Aufstellung einer Nutzwertanalyse erforderlichen Arbeitsschritte sind also:

  1. Definition der Zielstellungen, die durch die Nutzwertanalyse untersucht werden sollen ("wo wollen wir hin?"),
  2. Finden von Bewertungskriterien der einzelnen zu bewertenden Sachverhalte ("wovon hängt ab, was wir erreichen?"),
  3. Gewichtung der einzelnen Bewertungskriterien ("wie bedeutsam ist…"),
  4. Finden von Handlungsalternativen ("welche Anbieter gibt es?"),
  5. Bewerten der einzelnen Handlungsalternativen nach den zuvor aufgestellten Kriterien und
  6. Ausmultiplikation der einzelnen Zeilen und Addition der Spalten der Entscheidungsmatrix.
  7. Die optimale Entscheidung ist die mit dem Maximalwert der Additionsoperation aus Schritt 6.

Betrachten wir ein Beispiel: Ein Unternehmen will die Anschaffung eines neuen Computersystems mit einer Nutzwertanalyse beurteilen (Zielstellung). Hierzu werden die einzelnen Kriterien "Software", "Hardware" und "Anbieter" mit neun Unterkriterien definiert (Schritt 2). Für jedes der Kriterien auf der untersten Ebene der Kriterienhierarchie wird ein Gewichtungsfaktor festgelegt (Schritt 3). Im vorliegenden Beispiel sind die Gewichtungskriterien auf insgesamt 100% eingerichtet.

Es liegen drei Angebote "A", "B" und "C" vor (Schritt 4), die jeweils nach den neun Kriterien bewertet werden (Schritt 5). Sie werden dazu mit Prozentwerten ("Wert"-Spalte) versehen, die das Maß der Kriterienerfüllung darstellen: 100% steht für maximale Erfüllung eines Kriteriums und 0% dafür, daß etwas ganz fehlt. Das aber ist der subjektive Teil, denn wieviele und was für Funktionen beispielsweise 50% oder 60% ausmachen, ist dem Beurteiler nur ungefähr vorzugeben.

Werden die Ergebnisse der einzelnen Bewertungen mit den Gewichtungen multipliziert und diese Multiplikationsergebnisse zusammengezählt, so entsteht der Rating-Wert (Schritt 6). Der maximale Rating-Wert deutet auf die zu treffende Entscheidung (hier Angebot C). Schauen wir uns das mal an:

    Alternative A Alternative B Alternative C
Kriterium Gewicht Wert Ergebn Wert Ergebn Wert Ergebn
Funktionenumfang 15% 100% 15% 60% 9% 100% 15%
Kompatibilität 10% 50% 5% 100% 10% 90% 9%
Benutzerfreundlichkeit 8% 80% 6,4% 50% 4% 100% 8%
Techn. Leistung 20% 100% 20% 80% 16% 100% 20%
Qualitative Merkmale 15% 80% 12% 50% 7,5% 90% 13,5%
Ergonomie 6% 70% 4,2% 100% 6% 50% 3%
Preis/Leistung 15% 100% 15% 70% 10,5% 100% 15%
Servicequalität 8% 50% 4% 100% 8% 75% 6%
Image, Ruf des Anbieters 3% 100% 3% 100% 3% 50% 1,5%
  100%   84,6%   74,0%   91,0%

Der Zielerfüllungsgrad ist hier als Prozentwert angegeben; er wird oft auch als Note oder als ABC-Kategorisierung gefaßt. Der hier benutzte Weg über Prozentzahlen ist übersichtlich, aber nicht die einzige Möglichkeit; auch Punkteverfahren sind häufig. Man muß bei der Festlegung des Rechenmechanismus nur drauf achten, daß der Punktebereich stets der gleiche bleibt, und nicht von der Gewichtung verzerrt wird.

Die Nutzwertanalyse ist ein Verfahren des Angebotsvergleiches, denn es geht nicht nur um Preise, sondern auch um andere Eigenschaften. Geiz ist geil, wir wissen es, aber eben auch nicht alles.

Die Methode eignet sich nicht bei K.O.-Kriterien: Eigenschaften, die eine Handlungsalternative gänzlich ausschließen, müssen vorher gefunden werden. Wer beispielsweise aus Kompatibilitätsgründen unbedingt ein Microsoft-Produkt braucht, sollte Linux-Angebote gar nicht erst vergleichen – obwohl sie möglicherweise ein höheres Rating erzielen würden.

Größter Vorteil des Verfahrens ist seine große Flexibilität: man kann so ziemlich alles damit vergleichen, die  Lieferantenbeurteilung ist beispielsweise ein beliebtes Anwendungsfeld, nicht nur im Qualitätsmanagement. Dort ist übrigens die FMEA (Failure Mode and Effects Analysis) nichts anderes als ebenfalls eine Erscheinungsform der Nutzwertanalyse. Auch die Entscheidung über Bewerber oder über Investitionen ist auf diese Art möglich. Allerdings werden Risiken ignoriert: das Verfahren geht davon aus, daß man vorher genau weiß was nachher herauskommt. Falls nicht, muß man die Sumpfgewächse pflücken, die einem die IHK vorenthalten hat. Das aber wäre ein anderes Thema…

Links zum Thema:  Einfache Lieferantenbeurteilung für Excel | Skript zu ISO 9000 und Qualitätsmanagement | Entscheidungstheorie: Ist das Gefangenendilemma lösbar? | Die Versicherungen und der Erwartungswert, oder was Ihnen Ihr Versicherungsvertreter nicht verrät (interne LinksNutzwertanalyse im Gründerlexikon erklärt (externer Link)

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