Vor zwei Tagen haben wir an dieser Stelle dargelegt, weshalb in vielen Lehrbüchern für Auszubildende eine falsche Methode zur Berechnung von Lagerdauer und Lagerumschlagshäufigkeit angewandt wird – und natürlich, nur falls uns wieder jemand vorwirft zu quengeln, auch gezeigt, wie es richtig geht. Leider gibt es in diesem Zusammenhang aber noch weitere Überraschungen, die so manchen Lagerverwalter schon ganz hart erwischt haben: die Verdoppelung der Lagerdauer bei Umstellung von der Durchschnittsbewertung (§240 Abs. 4 HGB) auf FIFO (§256 HGB) beispielsweise. Wo früher nur ein, zwei Prozent wegen Überlagerung vergammelten, verdirbt plötzlich alles – bei Medikamenten oder Lebensmitteln eine Katastrophe. Wie aber kommt dieses Desaster zustande?
Auch hier führen wir ein Beispiel ein, und es ist praktisch, die Zahlen aus dem vorherigen Beitrageinfach in leicht modifizierter Form wieder aufzugreifen: Bei einem Höchstbestand von HB = 100 Stück führen wir nun einen Eisernen Bestand i.H.v. EB = 10 Stück, was offenbar einen Durchschnittsbestand von 55 Stück bedingt. Warum die maximale Lagerdauer jetzt 10 Tage beträgt, haben wir schon festgestellt.
Wir nehmen weiterhin an, daß das Lager nach der Durchschnittsmethode i.S.d. §240 Abs. 4 HGB oder des IAS 2.25 bewertet werde. Die bilanzielle Bewertung des Lagerbestandes und die kostenrechnerische Bewertung der Entnahmen geschieht nach der gewogenen Durchschnittsrechnung. Diese sollte uns jetzt hier nicht weiter belasten; interessant ist in unserem Zusammenhang nur, daß dieses impliziert, daß jedes Lagerobjekt jederzeit entnommen werden kann. Man kann das Lager also mit einer offenen Kiste vergleichen:
Aus dieser Kiste kann jedes Lagerobjekt zu jeder Zeit entnommen werden. Die Entnahmewahrscheinlichkeit für jedes Lagerobjekt ist also bei jeder Entnahme gleich. Schaut man am Anfang in die volle Kiste, so kann man jeden Gegenstand auswählen. Sieht man aber nach der halben Zeit wieder nach, so wären bereits fünf Stück entnommen worden. Bleibt die Nachlieferung zum Zeitpunkt des Erreichens des Eisernen Bestandes aus, so würde am 10. Tag das letzte Stück entnommen worden sein. Die durchschnittliche Lagerdauer beträgt also fünf und die maximale Lagerdauer zehn Tage.
Was aber ändert sich bei Umstellung auf FIFO – und was bewirkt die oben angedeutete Katastrophe?
Was hier anders ist, erschließt sich aus der Abkürzung. „FIFO“ steht nämlich für First InFirst Out. Was zuerst reingeht, kommt auch zuerst wieder raus. Man entnimmt also nicht mehr irgendwas, sondern stets nur das älteste Teil. §256 HGB stellt in diesem Zusammenhang die Anforderung des belegmäßigen Nachweises im Rahmen der GoB. Man muß also nachweisen können, sich wirklich entsprechend zu verhalten. Was aber bedeutet das für die Lagerdauer?
Da jetzt jeweils das älteste Lagerobjekt entnommen wird, haben wir es mit einerWarteschlange zu tun, und zwar mit einer, in der niemand „vordrängelt“. Jeder Lagergegenstand muß sich also immer durch die ganze Schlange hindurchwarten – und hat damit immer die maximale Lagerdauer auf dem Buckel. Nichts wird „vorzeitig“ entnommen, die durchschnittliche Lagerdauer entspricht damit aber auch stets der maximalen Lagerdauer:
Das freilich ist eine wirklich böse Überraschung, denn vergammelte in unserem Kistenbeispiel nur das letzte Lagerobjekt wegen zu langer Lagerung, so würden jetzt sämtliche Objekte zu lange lagern und ihr Mindesthaltbarkeitsdatum überschreiten. Die FIFO-Methode, so lernen wir also hier, verdoppelt stets die durchschnittliche Lagerdauer zur maximalen Lagerdauer. Dies ist um so wichtiger, als die Durchschnittsmethode in der Regel ja gerade für verderbliche Güter wie Lebensmittel oder beispielsweise auch bei sehr vielen Chemikalien empfohlen wird. Wer dieser Empfehlung kritiklos folgt, kann ein wahrlich böses Erwachen erleben.
Auch die von einem Lagerverwalter gewählte handelsrechtliche Bewertungsmethode, wer hätte das gedacht, ist für anscheinend so bewertungsferne Dinge wie die durchschnittlicher und die maximale Lagerdauer der einzelnen Bedarfsobjekte verantwortlich. Das ist zwar im Tagesgeschäft nicht weiter von Bedeutung, denn aufgrund des Grundsatzes der Methodenstetigkeit (§252 Abs. 1 Nr. 6 HGB) muß die einmal gewählte Bewertungsmethode beibehalten werden. Führt aber beispielsweise der Eierlieferant individuelle Legedaten auf den einzelnen Eiern ein (was früher eine Satire war, ist bekanntlich längst von der Wirklichkeit überholt worden), so dürften wir beispielsweise von der Durchschnittsmethode auf FIFO umstellen – und würden dabei vielleicht die oben dargestellte Überraschung erleben.
Da aber kommt das Steuerrecht ins Spiel. Dieses verbietet nämlich seit Anfang des Jahres die FIFO-Methode. Man soll allen Ernstes LIFO für Lebensmittel anwenden – wo bei dieser Methode gar keine Aussage mehr über die Lagerdauer mehr möglich ist. Auch hier überholt also die Wirklichkeit die Satire. Und merkt es noch nicht einmal. Das freilich ist eine noch heftigere Überraschung…
Links zum Thema: Lagerdauer und Lagerumschlagshäufigkeit: Gravierende Fehler in Lehrbüchern für Auszubildende |Verbrauchsfolgebewertung: denn sie wissen nicht, was sie tun | Formelsammlung der BWL | Skript zur Disposition | Skript zur Bestellmengenrechnung | Lagerkennziffernrechner für Excel | Verbrauchsfolgerechnung für Excel (interne Links)
Was für ne Theorie! Schon mal im Lager gearbeitet oder nur studiert?
MfG Leiter Logistikzentrum (seit 15 Jahren)
Herr Zingel, der Autor dieses Textes, ist leider seit 2009 verstorben.