Igor Ansoff und die Kämmerlinge: Über die dringende strategische Neuausrichtung der IHK-Lehrgänge

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Bislang verstehen sich die Industrie- und Handelskammern im Bildungsbereich als Qualitätsanbieter. Schon durch die Zwangsmitgliedschaft aller Gewerbetreibender haben die Kammern zweifellos einen Wettbewerbsvorteil. Das wollen sie auch im Bildungsbereich ausspielen, wo sie es sich leisten, eigene Konzepte und Lehrpläne zu entwickeln. Auch wenn die manchmal nicht ganz aktuell sind. Wie lange können sie sich das noch leisten?

"Juni 1994" ist das Datum im Impressum meines Stoffplanes für den Technischen Betriebswirt, und im Fach "Informations- und Kommunikationstechnik" sucht man das Internet vergeblich, aber Bloedschirmtext soll Thema sein, oder wie auch immer das richtig hieß. Konkurrenz belebt das Geschäft, weiß der Volksmund, und was passiert, wenn es an Konkurrenz fehlt, kann man u.a. auch an den Textbänden der Kämmerlinge sehen. Auch die sind nämlich nicht immer ganz taufrisch. Etwas überrascht war ich indes schon, daß man meine in Zusammenarbeit mit der Weiterbildungsabteilung einer Kammer geäußerten Angebote zur inhaltlichen Renovierung dieser Schreibunterlagen mit Nichtachtung strafte: kann man sich auf dem Erreichten ausruhen, weil es keinen nennenswerten Mitbewerber gibt und Teilnehmer, die die Textbände nicht kennen, viel häufiger durch die Prüfungen rasseln als solche, die von den Kammern mit dem Material versorgt werden?

Dabei hat das Ansehen der IHK-Abschlüsse ganz offensichtlich schon gelitten. "Betriebswirt", so hörte ich kürzlich jemanden sagen, "könne man ja überall werden, sogar schon bei der IHK". Was nicht gerade auf Hochschätzung dieser Institution deutet, aber ganz offensichtlich bei den Entscheidungsträgern der Kammer noch nicht angekommen ist. Denn noch immer versucht die IHK eigene Ausbildungsgänge und Abschlüsse zu entwickeln, auch jenseits des derzeit höchsten Abschlusses "Betriebswirt/IHK". Die Kammern gehen damit den umgekehrten Weg der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien, die die Nähe zu den Fachhochschulen und Universitäten suchen und sich damit eher erfolgreich mindestens im akademischen Umfeld plaziert haben.

Wer weiß, wie lange noch: während das Gerücht über die Billig-GmbH inzwischen den Weg in den Gesetzgebungsprozeß gefunden hat, ist die angebliche Abschaffung der IHK-Zwangsmitgliedschaft ab 2006 nach wie vor unbestätigt, und bei der gegenwärtigen politischen Situation in Deutschland ungewisser den je. Aber einen beträchtlichen Widerstand gegen die Zwangsverkammerung der Wirtschaft gibt es zweifellos, und das läßt Reformen mittelfristig wahrscheinlich erscheinen. Sollte den Kammern ihre umfassende Rolle genommen werden, müssen sie sich aber auf marktfähige Dienstleistungen beschränken, und das buchstabiert sich im Bildungsbereich nicht gerade wie Stoffpläne aus 1994, sondern wie Internationalisierung: Bachelor und Master-Degree sind die Hausnummern, das hat beispielsweise die Berufsakademie hier in Thüringen begriffen. Die IHK anscheinend noch nicht.

Dabei hätten die Kammern die besten Ausgangsvoraussetzungen, denn sie haben etwas, was wiederum den Universitäten zumeist völlig abgeht: Praxisnähe. Das, so sagte mir mein Verleger heute, sei der größte Kritikpunkt an den Lehrbüchern der (akademischen) Konkurrenz: ihre Praxisferne und theoretische Überfrachtung. Schon durch die Mitgliedschaft so vieler Unternehmen könnten die Kammern daher etwas aufziehen, was sich durch große Realitätsnähe vor der Konkurrenz auszeichnet – aber auch das haben sie noch nicht begriffen: so kann man den Betriebswirt/IHK-Abschluß allen Ernstes machen ohne zu wissen, wozu die rechte Maustaste gut ist. Aber ohne Datenbank- und Programmierkenntnisse besteigt heute kein Betriebswirt mehr die Karriereleiter, denn das Klavier der Betriebswirte ist bekanntlich das mit den 105 Tasten.

Eine gründliche strategische Neuorientierung ist nötig, liebe Kämmerlinge, ich weiß, daß ihr das hier lest, ja sogar Eure Geschäftsführer stürzen hier herum (und verwenden leichtfertig ihre dienstlichen Netzzugänge, so daß ich sie hier immer wieder beim Lesen ertappe), also die, die das anstoßen können und sollen. Jetzt da Ihr die Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft noch anstarrt wie das Kaninchen die Schlange habt Ihr noch das Handlungsmonopol des Ersttäters, also einen strategischen Wettbewerbsvorteil. Ja, definiert das mal in der Ansoff-Matrix, die Ihr Euren Teilnehmern bei jeder Prüfung zumutet! Wenn die Kammer aber erstmal dem scharfen Wind der Konkurrenz ausgesetzt ist, kommen Reformen vielleicht schon zu spät, denn die BAen, VWAen und all die anderen Anbieter schlafen nicht.

Links zum Thema: Die IHK-Textbände: Warum sie schlecht sind, weshalb man sie dennoch braucht und wo man sie herkriegt | Betriebswirt/IHK: Verbesserungsvorschlag Nr. 1: Die IHK-Textbände | IHK-Lehrgänge: Das Drama mit den Textbänden | Mini-GmbH: Gründung bald mit 10.000 Euro möglich? | Bald keine IHK-Zwangsmitgliedschaft mehr? (interne Links)

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