Piratenmarketing: IFRS-Textausgaben bezahlbar für alle?

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Seit der erweiterten Einführung der Pflicht zur Rechnungslegung nach internationalen Standards (§315a HGB ab 2005) spricht es sich langsam auch an Universitäten und Fachhochschulen unter verbeamteten Lehrkräften herum, daß neben dem Handelsgesetzbuch auch die International Financial Reporting Standards auf den Lehrplan gehören, will man den angehenden Betriebswirten eine Zukunft bieten. Während man das Handels- und das Steuerrecht aber problemlos kostenlos herunterladen kann (und auch das BGBl längst im Netz steht), ist die Textverfügbarkeit bei den Standards aber ein Problem: vor allem eines der Kosten, denn die wenigen Verleger, die sich des Themas bislang annehmen, sind ein prächtiges Oligopol. Und das heißt, sie schlagen ordentlich zu. Wie aber kann man das ändern?

So kann man das IFRS Bound Volume vom IASB aus London beziehen, in der aktuellen Fassung etwas über 2.300 Seiten für ca. 90 Euro; die CD-Version, volltextmäßig durchsuchbar, referenziert und mit Cut'n'Paste ideal für Zitate in Studien- und Diplomarbeiten, liegt so um die 200 Euro, also deutlich jenseits des studentischen Budgets. Leider auch jenseits des Budgets mancher Universitätsbibliothek, die das Werk dann nur in ein, zwei oder gar keinem Exemplar vorliegen hat, was nicht gerade für gute Studienbedingungen spricht.

Auch deutsche Verleger sind derzeit eher zögerlich: so gibt es eine deutsche Fassung als Loseblattsammlung bei Schäffer-Poeschel, aber auch für ca. 80 Euro für die meisten Studis zu teuer, und die Nachlieferungen sind dort noch später als die aus London: während das IASB die jeweils für ein Jahr aktuelle IFRS-Fassung gegen Mitte des Jahres endlich rausrückt, dauert es bei Schäffer-Poeschel bis Herbst. Eigentlich zu spät, aber nicht zu ändern: deutsche Gesetze stehen wenigstens kurz vor ihrem Inkrafttreten im Bundesgesetzblatt, die Standards kriegt man frühestens ein halbes Jahr nach ihrem Erscheinen auf den Tisch. Aber wenigstens das ließe sich wesentlich billiger bewerkstelligen.

So sollte ein Verleger, der sich bei den Studis beliebt machen will, §5 Urhebergesetz (UrhG) lesen: Dort steht nämlich in Absatz 1 zu lesen, daß Gesetze, Verordnungen und amtliche Verlautbarungen keinen urheberrechtlichen Schutz genießen. Die IFRS werden bekanntlich von der EU endorsed. Diese Endorsement-Version wird im Amtsblatt der EU als ungeschützte PDF veröffentlicht und wäre damit urheberrechtsfrei publizierbar. Man muß es nur wollen. Die Standards für 10 oder 20 Euro? Kein Problem, als Taschenbuch!

Leider reicht das nicht, denn zu den Standards gehören Illustrative Examples, die Basis for Conclusions, die Implementation Guides, die Introductions und viele weitere collateral materials, die Teil der offiziellen IASB-Publikation aber nicht der EU-Veröffentlichung sind. Hier wäre aber zu prüfen, ob diese unter §5 Abs. 3 UrhG fallen: dort steht nämlich zu lesen, daß das Urheberrecht an "privaten Normwerken" – neben DIN und ISO eben auch die IAS/IFRS – zwar von Abs. 1 der gleichen Vorschrift nicht berührt wird, aber (Satz 2) der Urheber verpflichtet ist, die Publikationsrechte "jedem Verleger zu angemessenen Bedingungen" bereitzustellen. Sind diese "angemessenen Bedingungen" aber so, daß ein Preis nahe hundert Euro notwendig dabei herauskommt?

Ohne die zusätzlichen Materialien nützen die "nackten" IFRS-Texte dem Studenten wenig, weil insbesondere die Erläuterungen zum Verständnis unerläßlich sind: so müssen beispielsweise nach IFRS 4.7-9 eingebettete Derivate und nach IFRS 4.10-12 eingebettete Einlagenkomponenten aus Versicherungsverträgen separat nach IAS 39 bilanziert werden. Wer aber nicht weiß, was ein eingebettetes Derivat oder eine eingebettete Einlagekomponente ist, erwährt das nicht aus dem Standard selbst – sondern nur aus den zusätzlichen Materialien. Der Verleger, der sich bei Studenten beliebt machen will, kann also auf diese Zusatztexte nicht verzichten.

Alle Verleger, die dieses hier lesen, werden also dringend um eine Konferenz mit ihren Justiziaren und Rechtsanwälten gebeten um zu klären, ob die IFRS-Textveröffentlichungen insgesamt unter §5 Abs. 1 UrhG fallen, oder zu den "angemessenen Bedingungen" des Abs. 3 derselben Vorschrift eingekauft werden können – Ansprechpartner wäre hier übrigens das Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC). Für die dortige Anfrage gilt der bekannte Satz, daß Fragen nichts kostet. Ergebnisorientierte Verhandlungen wären aber nicht nur im Interesse der Studenten, sondern auch des ersten Verlegers, der das endlich mal macht: der Bedarf an bezahlbaren Textausgaben ist nämlich seit Anfang des Jahres erheblich gestiegen. Nur daß halt noch keiner auf diese Nachfrage eingestiegen wird. Es wird aber Zeit, daß sich etwas ändert. Von offizieller Seite hat man das übrigens noch nicht begriffen: beim DRSC kostet der Download einzelner Standards so zwischen 20 und 30 Euro…

Einstweilen stehen den Studis nur die kostenlosen IFRS-Endorsements der EU zur Verfügung und natürlich das Umfangreiche Skript zu IFRS, das ich dazu geschrieben habe. Und das ist auch kostenlos zu haben, bevor es Anfang 2006 bei Wiley-VCH als Buch in den Handel kommt.

Links zum Thema: Umfangreiches Skript zu IFRS (interner Link) Volltextpublikationen des BMJ | Aktuelles BGBl | International Accounting Standards Board | Schäffer Poeschel Homepage | Urhebergesetz | Deutsches Rechnungslegungs Standars Committee e.V. | Wiley-VCH Homepage (externe Links)

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