Jetzt ist es amtlich: Anfang 2005 soll das "Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" ("Hartz IV") – in Kraft treten. Im Kern geht es dabei um die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, die ca. drei Millionen Langzeitarbeitslose und erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger betrifft, die dann nur noch eine stark gekürzte Pauschalleistung, das sogenannte "Arbeitslosengeld II" erhalten sollen. Zudem müssen sie jede zumutbare Arbeit annehmen.
Auf dem Weg in die Armut
Durch die Zusammenlegung der bisherigen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum "Arbeitslosengeld II" auf dem Niveau der bisherigen Sozialhilfe kann selbst wer bisher "Gutverdiener" war nach nur einem Jahr bei einer Leistung von Rabenvater Staat in Höhe von 345 € (West) bzw. 311 € (Ost) ankommen – ein harter Aufschlag, wenn das Jahresgehalt zuvor noch sechsstellig war. Hinzu kommt noch eine Pauschale für nicht erwerbsfähige Angehörige, das so genannte Sozialgeld, und Leistungen wie zum Beispiel das Wohngeld. Nach Ende ihres Anspruchs auf reguläres Arbeitslosengeld erhalten Bezieher von Arbeitslosengeld zudem für zwei Jahre einen Zuschlag, der zunächst höchstens 160 Euro, nach einem Jahr noch die Hälfte betragen soll. Der Absturz in die Armut ist damit dennoch schneller und heftiger: Obdachlosigkeit oder die Beschaffungskriminalität der Nahrungsmittelabhängigen könnten ab 2005 drastisch zunehmen.
Verschärfte Zumutbarkeit
Um die Leute schneller wieder in Arbeit zu kriegen, wird die Zumutbarkeit von Stellenangeboten verschärft. Als zumutbar gilt künftig jede legale und nicht sittenwidrige Arbeit, zu der der Arbeitslose "seelisch, geistig und körperlich" in der Lage ist, also auch artfremde, schlechter bezahlte oder weit entfernte Tätigkeiten: Umzug und sozialer Absturz werden damit zu Mitwirkungspflichten. Schon jetzt sind beispielsweise für Langzeitarbeitslose aus Sachsen oder Thüringen Angebote an der Nordseeküste oder der schweizer Grenze keine Seltenheit, und daß ein Lohn unter Sozialhilfeniveau nicht sittenwidrig ist, wissen wir inzwischen von höchstrichterlicher Stelle. Riß bislang nur das Jugendamt Familien auseinander, so tut dies auch bald das zur Agentur mutierte Arbeitsamt. Wie sich das mit dem besonderen staatlichen Schutz für Ehe und Familie (§6 Abs. 1 GG) verträgt, bleibt abzuwarten.
Verschwendung von Talenten und Fähigkeiten
Wer eine zumutbare Arbeit oder Eingliederungsmaßnahme ablehnt, dem wird die Leistung um 30% gekürzt. Langzeitarbeitslose unter 25, die einen Job ablehnen, erhalten für drei Monate gar keine Leistung. Das läßt Böses ahnen für die Stimmung in Bildungsfirmen und Unternehmen, die solche Leute beschäftigen: Wer voraussichtlich auf absehbare Zeit keinen Job findet, kann nämlich auch zu sogenannten "Pflichtarbeiten" etwa im Sozial- oder Kommunalbereich herangezogen werden, und zwar für einen Stundenlohn von einem Euro. Bedenkt man, daß die meisten älteren Arbeitslosen in den neuen Bundesländern aufgrund des Strukturwandels arbeitslos geworden sind, ist der straßenkehrende Physikprofessor oder der spargelstechende Werksleiter wohl bald ein alltäglicher Anblick.
Bürokratischer Spießrutenlauf
Künftige Empfänger des Arbeitslosengeldes II müssen 14 (in Worten: vierzehn!) Seiten Formulare ausfüllen, was demonstriert, was man in dieser Republik unter Entbürokratisierung versteht. Das Sozial-Quiz läßt keinen Aspekt des Lebens unausgeleuchtet und gleicht damit einem Offenbarungseid: Alle Vermögensgegenstände, Wohnverhältnisse, Zahlungsverpflichtungen und sogar das Auto müssen detailliert angegeben werden. Wer kein Spezialist für Wirtschafts- und Vermögensfragen ist, wird Stunden brauchen, die Ochsentour zu absolvieren – und wie lange die bekanntlich sehr schnell und effektiv handelnden Behörden brauchen, ihre Bescheide zu erlassen, wollen wir gar nicht erst wissen.
Verwertung von Vermögen
Besonders problematisch ist die Pflicht, Renten- und andere kapitalbildende Versicherungen aufzulösen, denn das führt dazu, daß Freiberufler, die nicht in der gesetzlichen Zwangsrentenversicherung sind, im Alter völlig mittellos sein werden. Das Armutsproblem wird also nur verschoben: doch wer heute den Kopf in den Sand steckt, knirscht morgen bekanntlich mit den Zähnen. Allerdings soll es nach Alter gestaffelte Freibeträge geben: Pro Lebensjahr bleiben 200 € des Vermögens ungetastet. Für Alleinstehende liege die Obergrenze allerdings bei einem Vermögen von 13.000 Euro, für Verheiratete von 26.000 Euro. Zum Aufbau einer Rentenversicherung reicht das aber kaum.
Inanspruchnahme von Angehörigen
Einkommen des Ehe- oder Lebenspartners werden stärker als bisher angerechnet, was bedeuten dürfte, daß viele Antragsteller abgewiesen werden. Auch familiäre Unterhaltspflichten werden ausgeweitet was bedeuten kann, daß Berufstätige selbst in der Armutsfalle landen, weil sie für einen Angehörigen aufkommen müssen.
Hartz IV und die Servicewüste
Trotz Hartz IV, und sogar obwohl inzwischen sogar die Gewerkschaften Arbeitszeitverlängerungen zustimmen, schließen die Stadtwerke Erfurt schon um 16:00 Uhr, ist in der Stadtverwaltung Düsseldorf, bei der an einem Freitag anzurufen ich kürzlich das zweifelhafte Vergnügen hatte, schon gegen 12:50 Uhr keiner mehr erreichbar, und schließt die Post hier um die Ecke in der Magdeburger Allee von 12:30 bis 14:30 für eine üppige Zwei-Stunden-Mittagspause. Würde man also endlich aufhören, den Kunden wie einen Bittsteller zu behandeln, dann gäbe es noch Arbeitsplätze ohne Ende, denn während der mageren Öffnungszeiten steht die Schlange an den Postschaltern der Post im Thüringen-Park zur Tür raus. Gelebter Haß für den Kunden, finanzieller Magermix für die Mitarbeiter. Und für die, die keinen Job mehr kriegen, bleibt nur Rabenvater Staat. Das ist die deutsche Servicewüste…
Unfaires Gesetz
Übt man Druck auf Arbeitsunwillige aus, so mag das akzeptabel sein, und daß wir uns nicht mehr im Sozialuterus befinden, sollte sich inzwischen herumgesprochen haben. So sollte sich niemand von Sozialhilfe eine Wohnung in Miami Beach leisten können. Mindestens unfair ist aber, daß die Regierung gleichzeitig ab 2005 Exportprämien auf Arbeitsplätze zahlt: so sollen energieintensive Unternehmen zum Handel mit "Treibhausgasen" gezwungen werden, was natürlich heißt, daß sie mehr "Klimascheine" auf dem Markt verkaufen können, wenn sie Arbeitskräfte entlassen und ihre Produktion in Länder verlagern, die das Kyoto-Protokoll nicht ratifiziert haben (Rußland), oder die vom Kyoto-Protokoll nicht zur Energierationierung gezwungen werden sollen (Indien, China). Der vorgebliche Klimaschutz wirkt sich damit wie ein Programm zum Arbeitsplatzabbau aus, und die ersten Verlagerungen wurden sogar schon angekündigt.
Der kranke Mann an Rhein und Elbe
Der BWL-Bote hat im ordoliberalen Manifest bereits Vorschläge gemacht, wie man aufgrund von Marktreformen die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft aktivieren könne (hier einzusehen). Weniger Überwachung, weniger Staat und drastische Steuersenkungen bzw. -abschaffungen: den Weg der Freiheit will man aber (noch) nicht gehen. Wir werden sehen, wie lange sich die Deutschen das noch bieten lassen.
Links zum Thema
Kleine Übersicht über das Hartz-Konzept zur Reform des Arbeitsmarktes | Hartz-Konzept: eine Zwischenbilanz | Lohn unter Sozialhilfeniveau ist nicht sittenwidrig | Dienstleistungsbranche: immer noch eine Servicewüste. Aber warum? | Von Sozialhilfe: Wohnung in Miami Beach | Energierationierung: wie funktioniert der Emissionshandel? | Arbeitsplatzabbau wegen Emissionshandels angekündigt | Ordoliberales Manifest: Ein alternativer Masterplan für Deutschland (externe Links).