Auch in Prüfungen gibt es Qualitätsmanagement – einige der Beiträge, die der BWL-Bote bisher über Klausuren und anderes Unkraut auf dem auf dem Kampfplatz des Lernens veröffentlicht hat, befaßten sich schon mit diesem Thema. Dieser kleine Beitrag nun demonstriert die Mechanismen unfairer Prüfungsfragen, und wie man mit ihnen umgehen sollte. |
Die Wischiwaschi-Frage |
Die kürzlich im Forum für Betriebswirtschaft gepostete Frage "Welche Entscheidungen sind zu treffen, wenn das Design einer Umfrage festgelegt wird?" ist ein schöner Vertreter dieser Kategorie an Widerwärtigkeiten: Hier kann man nämlich alles sagen oder auch nichts – Stichprobenauswahl, Fragetypen, Erhebungsmethoden, Umsetzung der Forschungsziele, Auswertungsmechanismen – und was immer man sagt, kann als falsch oder richtig gewertet werden, ganz nach Belieben des Prüfers, denn die möglichen Antworten, die in ihrer Summe die Gesamtheit der richtigen Lösungen darstellen, übersteigen beiweitem die zeitlichen Möglichkeiten einer Klausur. Falls nicht ein bestimmtes Lernmaterial der Prüfung zugrundeliegt, aus dem die Erwartungen des Fragestellers eindeutig ersichtlich sind, ist diese Frage nur in stunden- wenn nicht tagelanger Arbeit zu beantworten und daher im Rahmen einer Prüfung, insbesondere einer schriftlichen Klausurarbeit, hochgradig unfair. Dies wird insbesondere dadurch verschärft, daß sie auch den Prüfer zu mangelhafter Vorbereitung verleitet ("kann ja ohnehin alles richtig sein"), ihm aber zugleich eine viel größere Präzision bei der Bearbeitung und Benotung der Ergebnisse abnötigt, weil ja offene, schriftliche Antworten gelesen, nach-gedacht und verglichen werden müssen. |
Die Tiefenforschung mit der Schüttel-Frage |
Ein Schüttelscheck ist einer, bei dem alle in der Bank den Kopf schütteln, und eine Schüttelfrage eine, bei der alle Prüflinge verzweifelt den Kopf schütteln… besonders beliebt bei den Lyrikern der Industrie- und Handelskämmerlinge, die dafür bekannt sind, aus Winzigkeiten richtige Knallschoten zu zaubern. So steht im Stoffplan des Lehrganges "Betriebswirt IHK" zweifellos "internationaler Zahlungsverkehr" als gewiß auch berechtigter Inhaltspunkt, und der wackere Prüfungskandidat pflegt sich dann auf Themen wie Documentary Credit oder Documents against Payment oder gar noch Cash on Delivery ("COD") vorzubereiten, und wer gut ist, weiß noch was "IBAN" bedeutet oder wie das TARGET-System funktioniert. Aber welcher angehende Kammerbetriebswirt weiß, was der Unterschied zwischen Geld- und Briefkurs ist? Banker sollten sowas wissen, aber die BWL-Teilnehmer auch? Es besteht zumindestens der Verdacht, daß auf diese Art mit der Schüttel-Frage in Wirklichkeit das Sieb geschüttelt werden soll, denn wenn das begehrte Zeugnis an zu viele Erfolgreiche ausgereicht werden muß, dann verliert es durch zu hohes Angebot an Absolventen an Wert. Man mag ja das Niveau höherhängen, um sich gegenüber Fachhochschulen oder am Ende gar Universitäten zu profilieren, aber diese Methode ist möglicherweise unfair. |
Die Altertumsforschung mit der D-Mark-Frage |
Gewiß ist der Änderungsdruck im Rechnungswesen und im Bereich der Rechtswissenschaft erheblich, und viele Prüfungsfragen veralten schon kurz nachdem die Ergebnisse den Prüfungsteilnehmern verkündet wurden. Dennoch werden sie wiederverwendet, oft lange nach Ende ihres Mindesthaltbarkeitsdatums, ein Fragen-Recycling, das zwar dem grün-ökologistischen Zeitgeist entsprechen mag, aber genau wie dieser dem Fortschritt nicht dient. So finde ich immer noch, Jahre nach der Einführung des Euro, die übrigens schon 1999 stattfand (in 2002 wurde ja erst das Euro-Bargeld in Umlauf gebracht!), in DM angegebene Rechenaufgaben und Buchungssatzaufgaben. Dies zeugt nicht nur von mangelhafter Arbeit ("Faulheit") des Prüfers, der seine Unterlagen nicht aktuell hält, sondern bringt für den Kandidaten zudem die Gefahr, daß der Prüfer auch noch alte Rechen- und Grenzwerte zu sehen begehrt, und nach der aktuellen Gesetzeslage richtige Antworten nicht wertet: So war die Kleinunternehmergrenze des §19 Abs. 1 UStG etwa vor 1996 bei 25.000 DM, dann bei 32.500 DM, in 2002 dann bei 16.620 € und ab 2003 schließlich 17.500 € (Kleinunternehmergesetz). Wenn sich aber schon der Prüfungslyriker schlampig vorbereitet, und seine Fragen nicht auf Euro umstellt, wie kann dann der Prüfungskandidat darauf vertrauen, daß dem Korrektor auch die aktuell gültigen Rechen- und Grenzwerte in Euro bekannt sind? |
Die Abschußprüfung |
Ein Klassiker ist natürlich der rachlustige Prüfer, der sich für persönliche Kränkungen im Wege der Klausurfrage revanchiert. Lagen die Motive oben in der Minimierung der Bestehensquote oder Freizeitmaximierung des Prüfungslyrikers, so sind sie hier in der subjektiven Wiederherstellung seiner als verletzt empfundenen Ehre zu finden. Nur wenn ein Prüfer solche gezielte Abschuß-Frageaktionen unter Zeugen ankündigt, ist es leicht, den Prüfer selbst abzuschießen, indem man den Fall vor ein vorgesetztes Gremium wie die Direktion, den Dekan oder den Kanzler bringt – werden hingegen ohne Vorwarnung Fragen gegen einzelne Teilnehmer gerichtet, so ist es oft schwer, dagegen vorzugehen: ein klassischer Fall von Mobbing mit der Prüfung. Besonders nett fand ich in dem Zusammenhang die familienrechtliche Fallgestaltung mit Fragen zum BGB (was in Rechtsprüfungen im Vergleich zum AT oder Schuldrecht eher selten ist), die ganz zufällig die sorgfältig recherchierten Lebens- und Liebesumstände einer Prüfungsteilnehmerin zur unterhaltsrechtlichen Beurteilung vorlegte – ohne Namensnennungen, aber dennoch für alle erkennbar. Die Frau verließ weinend den Raum, abgeschossen von der Abschußprüfung. Not amused, eh??. |
Mangelnde Punkte, mangelnder Erfolg |
Hier ist weniger die Anzahl der unter dem Strich erzielten Punkte gemeint, sondern die Anzahl der Punkte, die über dem Strich stehen – in den Musterlösungen, Lösungsvorschlägen oder wie immer das Werk für den Korrektor auch gerade heißen mag. Dieser sollte nämlich von einer strukturierten, graphisch übersichtlichen und mit einzelnen Teilpunkten versehenen Zusammenstellung der erwarteten Kandidatenleistung versorgt werden. Eine Punktzahl für die gesamte Aufgabe genügt gewiß nicht. Das ist besonders bei komplexen Fallstudien und zugehörigen Fallösungen ein Problem: jeder Schritt, den der Prüfungsteilnehmer angeben soll, jeder Paragraph, der genannt, jede Vorschrift, die angewandt werden soll, muß auch mit einer Teilpunktzahl benannt werden. Sonst ist die Benotung in das Belieben des einzelnen Prüfers gestellt, was zu großen Beurteilungsabweichungen und damit zu großer Unfairneß führt. |
Schlechte Recherche, schlechte Prüfung |
Die Kenntnisse und Fähigkeiten des Prüfers sollten schlußendlich die des Prüfungsteilnehmers signifikant übersteigen, was uns sagt, daß wer lehrt mehr können und wissen muß als der, der lernt. Was eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint ist in Wirklichkeit keine, wenn selbst Prüfungsfragen der IHK manchmal massive sachliche Fehler enthalten (vgl. auch hier). Selbst wenn solche Probleme in den folgenden Prüfungsterminen offenbar nicht mehr vorkamen, möglicherweise durch ein Auswechseln des Teams der Dichter und Denker, so ist doch das Vertrauen der Teilnehmer in die Qualität der Prüfungen nachhaltig gestört, was zwar die Prüfungsangst nicht gerade mindert, wohl aber den Ruf der Kämmerlinge. |
Links zum Thema |
Forum für Betriebswirtschaft | Strategien gegen die Prüfungsangst | Prüfungsfragen, in die Breite und in die Tiefe | Prüfung Betriebswirt/IHK vom 11. Juni: Die BSC-Frage | Kleine Ursache, große Wirkung: Weitere Probleme mit Prüfungsfragen | Noch ein Problem mit einer Prüfungsfrage | Gesetz zur Förderung von Kleinunternehmern tritt in Kraft (interne Links). |