Strategien gegen die Prüfungsangst

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Jetzt stehen sie also wieder an, die mündlichen Prüfungen, letzte Woche in einem Bilanzbuchhalter-Lehrgang, nächste Woche bei den Betriebswirten und dann bei der Berufsakademie. Und jeder kennt das: wo am Abend zuvor noch ein geordnetes Wissensgebiet war, gähnt plötzlich bedrohliche Leere. Das Herz beginnt zu rasen, die Handflächen werden feucht, das Hemd klebt am Rücken und die Worte des Prüfers klingen wie das Todesurteil Richters… was kann man aber gegen Prüfungsangst tun? Dieser kleine Beitrag enthält nützliche Ratschläge und Hinweise, die aus meiner Rolle erst als studentisches Opfer solcher Veranstaltungen und später als ehrenamtlicher Täter in diversen Prüfungsausschüssen stammen.

Formen von Prüfungsangst

Man unterscheidet im wesentlichen vier Arten: seelisch, geistig, körperlich und verhaltensbezogen. Am bekanntesten sind seelische Äußerungen, die in Angst, Unsicherheit, Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen und Zweifeln am Sinn der ganzen Angelegenheit bestehen können, sowie die körperlichen Symptome, die sich meist beim Gedanken an die Prüfung oder in den letzten Stunden zuvor einstellen, etwa Schwitzen oder Frieren, Schlaflosigkeit, Müdigkeit, Schwindelgefühl, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Herzstiche, Appetitlosigkeit mit zwischenzeitlichen Freßattacken und Urindrang. Geistige Symptome sind plötzliche Erinnerungs- und Gedächtnisverluste, Selbstzweifel, Grübeln, Konzentrationsschwäche und Vergessen. Diese alle schließlich führen zu Verhaltensänderungen wie plötzlicher Alkoholkonsum, Einnahme von Beruhigungstabletten, Ungeduld, Reizbarkeit, Streit und die Flucht in Kleinigkeiten.

Der Gegenstand der Prüfungsangst

Entgegen ihrem Namen kann die Prüfungsangst sich nicht nur auf die Prüfung und das Versagen in derselben beziehen, sondern auch auf das Bestehen einer Prüfung, wenn der Prüfungskandidat sich in Wirklichkeit vor den danach folgenden Leistungsanforderungen etwa einer neuen Stelle oder Ausbildung fürchtet. Die Angst davor wird dann nur auf die Prüfung projiziert. Häufiger ist natürlich die Angst vor der Prüfung selbst, die zumeist Angst vor eigenem Versagen und seinen Folgen, oft aber auch "nur" Angst vor den Selbstanklagen und Selbstzweifeln, also dem Verlust an Selbstwertgefühl infolge des Versagens ist. Schließlich gibt es noch die Angst vor der Prüfungsvorbereitung, aber das ist hier weniger bedeutsam und leichter zu überwinden.

Verschärfende Faktoren

Mit der Prüfungsangst ist es oft noch schlimmer, wenn der Kandidat schon durchgefallen ist, und der anstehende Versuch möglicherweise der letzte ist. Auch Geldmangel zur Fortsetzung des Studiums im Falle des Durchknallens erschwert das Problem, weil beides ungeplante Folgen auf die Studien-, Karriere- und Lebensplanung haben kann.

Angst ist erlernt, auch Prüfungsangst

Das Neugeborene ist zunächst völlig angstfrei und erforscht seine Umgebung mit ungebremster Neugier. Erst schlechte Erfahrungen schaffen das Erlebnis der Angst, und zwar um so mehr, je subjektiv schwerer es empfunden wird, mit diesen Situationen umzugehen. Das heißt, daß Angst entwickelt, wer in einer herausfordernden Situation versagt (oder glaubt, versagt zu haben), wohingegen Selbstbewußtsein entwickelt, wer in einer schwierigen Situation siegt (oder sich dieses einbildet). Man kann daher sagen, daß Angst ein erlerntes Resultat subjektiv erlebter eigener Schwäche ist.

Langfristige Strategien des Angstmanagements

Was erlernt ist, kann auch wieder verlernt werden (wer wüßte das nicht). Das gilt auch für Prüfungsangst. Die wichtigste Strategie besteht darin, sich selbst systematisch mit der angstauslösenden Situation zu konfrontieren, und das so dosiert zu tun, daß die erlernten Versagensmuster durch wiederholten Erfolg vergessen und durch Erfolgsmuster ersetzt werden: man kann den Stier nämlich nur besiegen, wenn man ihn an den Hörnern packt, nicht, wenn man vor ihm wegläuft. Wer beispielsweise weiß (oder:glaubt), in Mathematik keine Chance zu haben, der sollte sich vermehrt Mathematikprüfungen stellen, möglichst solchen, auf deren Ergebnis er (zunächst) nicht angewiesen ist. Wird das Fach beherrscht, besteht also nur ein Prüfungsangstproblem (und kein Kompetenzproblem!), so kann das Versagensmuster durch wiederholte Erfolge langsam verblassen. Dabei ist es wichtig, sich solange es noch nicht wirklich drauf ankommt, mit den beängstigenden Gedanken zu beschäftigen und sie zu hinterfragen. Der Idee "Ich kriege in der Prüfung kein Wort raus" kann man mit dem Gedanken "das wäre auch keine Katastrophe – ich versuch's halt noch mal" oder einfach "quatsch, ich weiß bescheid, ich bin gut vorbereitet" begegnen. "Ich bin dem Prüfer ausgeliefert" wird zu "ja, vielleicht bei der Note, aber ganz sicher nicht in meinem Leben!". Wichtig ist, daß solche positiven Gedanken kein Selbstbetrug sind, sondern Selbstsuggestion bleiben. In schweren Fällen kann Hilfe einer nahestehenden Person oder eines professionellen Helfers sinnvoll sein. Insgesamt sollte versucht werden, die Prüfungssituation von negativen Assoziationen ("Absturz", "Versagen") zu befreien, und mit positiven Erlebnissen zu besetzen ("Erfolg", "Selbstbewußtsein"). Dabei kann es auch sinnvoll sein, sich selbst als "Belohnung" für eine bestandene Prüfung Wünsche zu erfüllen: besondere Erlebnisse wie Ballonflüge, Kurzreisen oder was man sich sonst so wünschen kann – ja, auch sexuelle Abenteuer eignen sich! Sie helfen, das Prüfungserlebnis wieder positiv zu besetzen.

Kurzfristige Strategien des Angstmanagements

Diese Strategien erfordern lange Vorbereitung, u.U. über mehrere Semester. Ist es dafür schon zu spät, sollten andere Techniken gewählt werden, um mit einer Prüfungsangst besser umgehen zu können. So hat die Prüfung am Abend vorher ihren Zweck erfüllt; die letzten Stunden zuvor kann es Sinn machen, sich mit ganz anderen, möglichst entspannenden Dingen zu beschäftigen, denn der Lerneffekt der letzten hektischen Vorbereitungen ist ohnehin nahe null. Auch psychische und physische Entspannungsübungen können helfen, von ruhiger Musik über Yoga bis zu einem Waldspaziergang ist alles möglich. Yogatechniken müssen freilich vorher schon beherrscht werden, sonst funktionieren sie nicht. Schlafstörungen mit Medikamenten zu bekämpfen, kann übrigens gefährlich sein, weil man die Wirkung von Schlafmitteln oft vorher nicht einschätzen kann, besonders wenn sie mit Alkohol kombiniert werden. Manche Prüfung, und mancher Führerschein, sind schon daran zugrundegegangen. Es kann viel sinnvoller sein, wenn man schon nicht schlafen kann, die vorletzte Nacht vor der Prüfung durchzupauken: das garantiert guten Schlaf in der letzten Nacht vor dem großen Tag.

Er, nicht Du

Für alle Prüfungsangstsituationen ist es übrigens typisch, daß man selbst im Mittelpunkt steht. Man hat nicht Angst, daß der andere versagt, sondern daß man selbst auf die Schnauze fliegt. Man kann also die Angst auch beherrschen, indem man versucht sich vorzustellen, daß der Prüfer vielleicht genauso Angst vor seinem möglichen Versagen hat, daß der Ausschußvorsitzende die Nacht vorher ebenso schlecht geschlafen hat und einer der anderen Prüfer es vielleicht selbst zum ersten Mal tut – denn Prüfungsangst ist beileibe nicht nur ein Problem der Prüfungskandidaten: alle Menschen haben ihre Schwächen, ihre Ängste. Der Gedanke daran relativiert die eigenen Versagensängste u.U. ganz erheblich!

Ach ja, übrigens…

Der faire Prüfer bietet in mündlichen Prüfungen dem Prüfungsteilnehmer in einer einleitenden Frage die Möglichkeit, ein Themengebiet mehr oder weniger direkt zu benennen, läßt dem Kandidaten also ein Heimspiel. Er wird nicht auf Themen bestehen von denen er merkt, daß der Kandidat sie nicht beherrscht, und versuchen, sich in seiner Art auf den Prüfungsteilnehmer einzustellen, ihm also, in einem Wort, die Angst wenn möglich zu nehmen. Nicht alle Prüfer sind fair. Ich kann es nur "meinen" Teilnehmern versprechen.

Links zum Thema

Überlebensstrategien für die mündliche Prüfung (interne Links)

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