Zur Geschichte des Spekulationswahns, Teil 1: Der Tulpenwahn in Holland

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In dieser neuen Serie berichtet der BWL-Bote von historischen Fällen von "Kasinowirtschaft" und Spekulationswahn. Er berichtet von historischen Fällen von Anlagebetrug, „Zockens“ in großem Stil und allen Arten von Betrug an Investoren. Dieser erste Beitrag erschien am 12. April 2000 in der internationalen Wochenzeitschrift „Neue Solidarität“, ist aber nach Enron, WorldCom und all den anderen Bilanzfälschungen, Insolvenzen und kriminellen Machenschaften der letzten Zeit von großer Aktualität – und wird es wohl auch noch bleiben, wenn der Handel mit CO2-Emissionszertifikaten, also der Handel mit Steuern auf Luft, tatsächlich zwangsweise eingeführt wird. Der Artikel wird hier mit freundlicher Genehmigung von Dr. Helmut Böttiger, Rechteinhaber und Verleger der „Neuen Solidarität“ veröffentlicht.

Teil 1: Der Tulpenwahn in Holland. Von Frank Müchler.

Es ist schon verwunderlich, daß die Geschichte vom holländischen Tulpenfieber über die Grenzen der Niederlande hinaus kaum verbreitet ist. Die zahlreichen zeitgenössischen Beschreibungen und Spottschriften sind bis heute leider nicht in andere Sprachen übersetzt, in den Büchern über die europäische Wirtschaftsgeschichte kommt das Tulpenfieber nicht vor, als wollte man es schamhaft verschweigen. Einzig der schottische Journalist Charles Mackay widmete diesem Abschnitt der holländischen Geschichte ein paar Seiten seines 1841 erschienenen Buches Außergewöhnliche, populäre Illusionen und die Wahnsinnsspekulationen großer Menschenmassen. Erst 1999 erschien ein Buch, das die Ausmaße des Tulpenwahns — der „verrücktesten Geschichte der Spekulation“ — beschreibt. Und es ist sicherlich kein Zufall, daß das Buch gerade in der jetzigen Zeit geschrieben wurde, in der große Teile der Bevölkerungen der Industriestaaten, allen voran die der USA, einem Börsenwahn verfallen sind, der in der Art seiner Entwicklung und seinem Grad an Irrationalität durchaus Parallelen zum Phänomen des Tulpenwahns aufweist.
Schon in der Frühzeit der Börse, die Amsterdamer wurde 1608 gegründet, wurde es üblich, daß Spekulanten mit Anteilen handelten, die sie noch gar nicht besaßen oder für die sie noch nichts bezahlt hatten; sie hofften einfach, sie könnten zu der Zeit, wenn ihre Zahlungsverpflichtung fällig würde, mit Gewinn verkauft sein. Dies wurde — typisch für ein Volk von Seefahrern — „Hart am Wind Segeln“ genannt, später wurde es dann an der Börse zum „Windhandel“. Der Tulpenzwiebelhandel entwickelte sich zum ersten außerbörslichen „Windhandel“, denn er fand nicht an der Börse, sondern vorrangig in den Hinterzimmern verrauchter Wirtshäuser statt.
Ursprünglich stammt die Tulpe aus dem Osten, aus den weiten Steppen und Hochtälern Zentralasiens, und kam über das osmanische Reich, wo sie von den türkischen Herrschern als heilige Blume verehrt wurde, um die Mitte des 16. Jahrhunderts nach Europa. Sie galt als exotisches Luxusgut, das sich nur die wohlhabendsten Bürger der Niederlande für ihren Garten leisteten.
Nach dem Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien und der Lossagung der Utrechter Union 1581 von den spanischen Habsburgern, bildete sich 1588 die Republik der Vereinigten Niederlande. 1602 gründeten die Holländer ihre Ostindienkompanie und durchbrachen das spanische Monopol, indem sie Handelsbeziehungen zu Ostindien aufnahmen. Der Handel mit Indien war ein lukratives Geschäft: Luxusgüter, Gewürze, chinesisches Porzellan konnten dort billig eingekauft werden. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Gütern wie Holz, Getreide oder Salz, mit denen die Niederlande vorher gehandelt hatten, war eine Ladung Gewürze ein Vielfaches wert und brachte Gewinne von bis zu 400%. Der Ostindienhandel schuf in den Niederlanden eine reiche Kaufmannsschicht. Während Arbeiter und Handwerker auf ein Jahreseinkommen von rund 300 Gulden und Bürger auf 500 bis 1000 Gulden kamen, verdiente ein mittelständischer Kaufmann 1500-3000 Gulden. Die Großkaufleute und Finanziers, die im Ostindienhandel mitmischten, verdienten bis zu 30 000 Gulden im Jahr. Regenten (hohe Politiker) und Bankiers kamen mit ihren Investitionen auf über 350 000 Gulden. Das war die Schicht, aus der sich die ersten Tulpenfanatiker rekrutierten.

Die Entstehung der Tulpen-Blase

Damals, um 1620, war die Tulpe eine ausgesprochene Rarität. Ursprünglich sollten die wenigen Tulpenzwiebeln, die es zu dieser Zeit in Holland gab, gar nicht zum Verkauf angeboten werden. Es war eher ein Spleen der Superreichen, sie im Garten zu haben und sie sich alleine anzuschauen im stolzen Bewußtsein, daß man zu den wenigen Auserwählten gehörte, die sich so etwas leisten konnten. Erst nach und nach verbreitete sich der Handel mit der Zwiebel, aber zunächst nur in der Oberschicht. 1623 wurde zum Beispiel für eine „Semper Augustus“, sozusagen die Königin unter den Tulpen, die sagenhafte Summe von 12 000 Gulden für zehn Zwiebeln geboten, womit der Verkauf einer einzigen Zwiebel das obere Jahreseinkommen eines normalen Bürgers überschritt.
Anfang der 30er Jahre des 17. Jahrhunderts gab es in fast allen Städten berufsmäßige Blumenzüchter, um den steigenden Bedarf zu befriedigen, um 1633 gab es überall in den Niederlanden Tulpen zu kaufen, über 500 verschiedene Tulpensorten wurden angebaut. Weil die Züchter für ihre zahlungskräftigsten Kunden ständig neue Tulpensorten entwickeln mußten, um im Geschäft zu bleiben, brachten sie die weniger spektakulären unter’s Volk — natürlich zu niedrigeren Preisen. So wurde ein stets wachsender Teil der Bevölkerung in den verlockenden Handel mit Tulpenzwiebeln hereingezogen, weil die wirtschaftliche Situation für den Großteil der Bevölkerung sehr erbärmlich war.
Trotz des Reichtums der Großkaufleute und Regenten gehörten die Niederlande zu den ärmsten Ländern Europas. Um 1630 wurde die ohnehin schon schwierige Situation der Handwerker durch die Flut der protestantischen Flüchtlinge aus dem katholischen Süden, der weiterhin von den Spaniern besetzt war, noch schwerer. Die Aussicht, das niedrige Einkommen, das gerade zum Überleben reichte, durch die Anpflanzung von Zwiebeln und deren Verkauf aufzubessern, ja vielleicht sogar ein richtig gutes Leben führen zu können, machte viele Handwerker zu Gärtnern. Wo früher Gemüse wuchs, baute man jetzt Tulpen an. Als es Anfang der 30er Jahre immer klarer wurde, daß die Nachfrage nach Tulpen und damit auch die Preise immer weiter anstiegen, bildete sich eine neue parasitäre Händlerschicht, die „Floristen“, die einzig und allein mit dem Verkauf von Tulpenzwiebeln Geld scheffeln wollten. Ihre anfänglich eher vorsichtigen Investitionen warfen einen solchen Profit ab, daß immer neue Kreise jetzt versuchten, auf diese Weise ihr Glück zu machen.
Wer konnte, verschuldete sich sogar, wie z.B. die Weber, die ihre wertvollen Webstühle beliehen, um an das nötige Kapital für den Einstieg in den Tulpenhandel zu kommen. Um den Markt auszuweiten, erzeugten die Züchter eine ungeheure Vielfalt billiger Züchtungen und senkten die Verkaufsmenge, so daß auch der kleine Mann sich mit bescheidenem Einsatz an diesem Glücksspiel beteiligen konnte.
Im Sommer 1633 wechselte zum ersten Mal ein Haus für drei seltene Tulpen den Besitzer, und als das bekannt wurde, wurde ein Bauernhaus mit Umland für ein Paket Tulpenzwiebeln gegeben. 30 Jahre lang hatten Tulpenfanatiker viel Geld eingesetzt, um Tulpen zu erwerben, jetzt wurden Tulpen als Zahlungsmittel benutzt — mit einem unvorstellbaren Wert. Als die Zahl der am Tulpenhandel Beteiligten anstieg, stiegen auch die Preise der seltenen Sorten und sollten bis Anfang Februar 1637 astronomische Höhen erreichen. Am Ende war der Preisanstieg so rasant, daß der Preis einiger Zwiebeln sich innerhalb einer Woche verdoppelte oder gar verdreifachte. Der Höhepunkt des Tulpenrausches waren die beiden Monate Dezember 1636 und Januar/Anfang Februar 1637. Im ganzen Land stürzten sich viele Niederländer in den Tulpenhandel und investierten teilweise ihr gesamtes Hab und Gut in die Zwiebeln. Der steile Anstieg der Nachfrage ließ die Preise wie wahnsinnig in die Höhe schnellen, und tatsächlich machten eine kurze Zeit lang eine Menge Leute viel Geld. Den Vogel schoß ohne Zweifel die berühmteste aller Tulpen, die „Semper Augustus“ ab, von der eine einzige Zwiebel im Januar 1637 den stolzen Preis von 10 000 Gulden erzielte, eine Summe, mit der man eine mehrköpfige Familie ein halbes Leben lang versorgen konnte.
Im Dezember 1636 erschien ein Flugblatt, das versuchte, den Holländern aufzuzeigen, auf welchen Wahnsinn sie sich da eingelassen hatten. Der Schreiber schilderte, welchen Gegenwert an realen physischen Gütern man für eine Tulpe im Wert von 3 000 Gulden erstehen konnte: acht fette Schweine, vier fette Ochsen, zwölf fette Schafe, 24 Tonnen Weizen, 48 Tonnen Roggen, zwei Fässer Wein, vier Fässer Bier, 2000 kg Butter, 500 kg Käse, einen silbernen Kelch, einen Ballen Stoff, ein Bett mit Matratze und Bettzeug und ein Schiff im Werte von 500 Gulden.
Aber auch die Preise der Billigsorten, die in den sogenannten Schankkollegien gehandelt wurden, stiegen ins Unermeßliche. Die Floristen trafen sich in den Hinterzimmern der Wirtshäuser. Dauerten solche Versammlungen in den Anfangsjahren höchstens zwei Stunden, reichten sie am Höhepunkt des Tulpenwahns von morgens bis in die frühen Morgenstunden des nächsten Tages. Und da jeder Handel mit einer Runde Wein gefeiert wurde, gesellte sich nicht selten zum Tulpenrausch noch ein Vollrausch. Der Großteil der Mitglieder eines Schankkollegiums gehörte zur Arbeiterschicht, nur ein kleiner Teil waren Kaufleute oder wohlhabende Händler.
Gehandelt wurde die einfache Ware, die häufig von den frühesten Sorten abstammte. Der Pfundkorb enthielt zwischen 50 und 100 Zwiebeln, so daß der Preis der einzelnen Tulpe auch für den ärmsten Händler noch erschwinglich war. Denn der Einstieg in den Tulpenhandel war denkbar einfach, brauchte man doch für den Anfang nur etwas Geld und die Möglichkeit einer nahegelegenen Gärtnerei, um die Zwiebeln anzupflanzen.
Weil die Zahl der Beteiligten am Tulpenhandel ständig wuchs, mußte man auch über weitere Möglichkeiten der Ausweitung nachdenken, und die Niederländer zeigten sich in dieser Hinsicht ebenso erfinderisch wie die heutigen Finanzkreise, die bislang auch immer neue Möglichkeiten fanden, ihre Finanzblase am Leben zu erhalten. Woher das Geld kam (und kommt), ist ihnen schließlich egal. Eine der Möglichkeiten für die Ausweitung des Geschäftes fand man, indem man nicht nur der Mutterzwiebel einen Wert zumaß, sondern auch den Brutzwiebeln, die später selbst einmal zu Blumenzwiebeln würden. Diese neue Idee wurde anfangs nicht so gut aufgenommen, weil man nicht garantieren konnte, daß die Tulpen aus der Brutzwiebel identisch waren mit denen, die aus der Mutterzwiebel wuchsen. Aber letztendlich siegte doch die „Risikobereitschaft“ der Floristen, sprich: die Gier nach schnellem Geld. Der Handel mit den Brutzwiebeln bedeutete sogar eine doppelte Ausweitung des Geschäftes: zum einen durch die größere Menge an Zwiebeln, mit denen man handeln konnte; zum anderen durch einen weiteren Aspekt: Man hatte durch Forschungen der Botaniker herausgefunden, daß die Zwiebelpflanzen am besten wachsen, wenn man sie kurz nach ihrer Blütezeit aus dem Boden nimmt, trocknet und ohne Erde an luftigen Orten bis zum Herbst aufbewahrt. Fand deshalb der Handel mit den Zwiebeln bisher nur in den Sommermonaten Juni bis September statt, konnte diese zeitliche Beschränkung nun mit den Brutzwiebeln überwunden werden. Der Handel mit ihnen konnte schon ein paar Monate früher beginnen, wenn die überschüssigen Brutzwiebeln von der Mutterzwiebel gelöst werden konnten.

Der Höhepunkt des Tulpenwahns

Im Herbst 1635 geschah nun die entscheidende Veränderung hin zum totalen „Windhandel“, der Grundlage für die nun folgenden Exzesse. Urheber waren die Floristen, denen — trotz ihres Namens — die Tulpen völlig egal waren, sie hatten auch weder den Wunsch noch die Fähigkeiten, selber Tulpen zu ziehen. Sie sahen in ihnen nur das Potential eines enormen Gewinns. Sie gingen jetzt dazu über, bereits mit den Tulpen zu handeln, die noch in der Erde lagen. Gegenstand des Handels war jetzt nur noch ein übertragbares Stück Papier mit einem Lieferdatum für die Zwiebeln und einer Beschreibung der Blume — und dieser Handel war ganzjährig möglich. Ende 1636 hatte sich der Tulpenhandel in einen reinen „Windhandel“ verwandelt — ein Glücksspiel mit Papier. Man spekulierte damit wie mit Aktien.
Charles Mackay schrieb dazu: „Wie immer bei neuen Glücksspielen herrschte in der ersten Zeit starke Zuversicht, und alle gewannen. Die Tulpenjobber spekulierten auf steigende wie auf fallende Tulpen-,Aktien’ und machten starke Profite, indem sie bei fallenden Preisen kauften und bei steigenden wieder verkauften. Viele wurden schlagartig reich. Ein goldener Köder schien verführerisch im Raum zu hängen, und einer nach dem anderen drängte zur Tulpenbörse — wie die Fliegen zum Honigtopf. Alle waren überzeugt, daß die Tulpenkonjunktur ewig dauern würde, daß die Wohlhabenden in allen Teilen der Welt in Holland Tulpen ordern und jeden gewünschten Preis dafür zahlen würden. Die Reichtümer Europas würden sich an den Gestaden der Zuidersee konzentrieren und alle Arten der Armut aus Holland … verschwinden. Adlige, Bürger, Handwerker, Seeleute, Lakaien, Dienstmädchen, selbst Schornsteinfeger und alte Flickschneiderinnen handelten mit Tulpen. Alle liquidierten ihr Vermögen, um Investitionskapital zu haben.“
Wie risikoreich dieses Geschäft war, schildert Mike Dash in seinem Buch vom Tulpenwahn sehr anschaulich: „Um 1635 standen den Regenten und großen Kaufleuten der Republik viele Wege offen, ihr Geld zu investieren. Sie konnten durch den Kauf von Staatsanleihen garantierte Festzinsen bekommen oder ihr Geld bei einer der vielen neuen Banken anlegen, die aus dem Boden schossen. Für risikofreudigere Naturen bot sich die Möglichkeit, an der Börse Aktien zu kaufen oder Anteile an einem der Trockenlegungsprojekte oder an einer Schiffsladung nach Amerika zu erwerben. Doch alle diese Investitionen erforderten ein nicht unerhebliches Kapital, weshalb es für die Handwerker, die Händler und Pachtbauern der Republik gänzlich unmöglich war, eine profitable Möglichkeit zu finden, das wenige Geld anzulegen, das sie besaßen. Im 17. Jahrhundert gab es keine Bausparkassen, keine Investmentgesellschaften, keine Stammaktien, keine Kleinaktionäre, keine Steuerlücken und keine Steuerflucht. Für einen Haarlemer Weber bedeutete Investieren, daß er mehr Flachs kaufte oder eine Anzahlung auf einen neuen Webstuhl leistete. Jetzt tat sich plötzlich ein neuer Markt zum Geldverdienen auf — ein Markt, der verführerisch einfach und zugänglich zu sein schien, Sicherheit und Gewinn versprach und vor allem wenig Kapitaleinsatz erforderte … In Wirklichkeit waren Termingeschäfte jedoch alles andere als einfach und sehr viel riskanter, als es anfangs den Anschein hatte. Ein Florist mit einem Kapital von nur 50 Gulden, der sich sicher war, daß die Preise weiterhin stiegen, könnte zum Beispiel jede Vorsicht in den Wind geschlagen und in den Kauf von fünf Hundert-Gulden-,Goudas’ eingewilligt haben. Sein Geld reichte, um die Anzahlung von zehn Prozent auf jede Zwiebel zu leisten, und sollte sich zur Erntezeit der Preis für die Tulpen verdoppelt haben, hätte er es dank seiner 50 Gulden zum stolzen Besitzer von Tulpenzwiebeln im Wert von 1000 Gulden gebracht. Wenn er dann die Blumen zu dem neuen, höheren Preis verkaufte, konnte er den Differenzbetrag seiner Schuldverschreibung begleichen und nahm dann einen eindeutigen Gewinn von 500 Gulden mit. Blieb der Handel also schwungvoll, konnte der arme Handwerker tatsächlich darauf bauen, mit dem Besitz von Tulpenzwiebeln ein riesiges Vermögen zu machen. Fiel aber der Preis der Tulpen, war die Katastrophe sicher und der Bankrott nahezu unvermeidlich. Verloren beispielsweise die ,Goudas’ die Hälfte ihres Wertes, sähe sich der Florist, der seine ganzen Ersparnisse von 50 Gulden in die Zwiebeln gesteckt hatte, mit einem Verlust von 200 Gulden konfrontiert — einer Summe, die er unmöglich zurückzahlen konnte … Und zum zweiten unterließen die Kollegien es gänzlich, zu überprüfen, wie es bei ihren Mitgliedern um die Solvenz bestellt war und ob sie die gehandelten Tulpen auch tatsächlich besaßen. Da die Zwiebeln selbst nicht vorhanden waren, wäre dies eine elementare Vorsichtsmaßnahme gewesen, aber sie wurde nicht getroffen. Somit ermutigten die Schankklubs zu zügelloser Spekulation, ohne ihren Mitgliedern dabei Schutz vor Insolvenz oder Betrug zu bieten. Jetzt konnte tatsächlich auch ein Florist, der gar keine Zwiebeln besaß, eine bestimmte Zwiebel an einen anderen Händler verkaufen, weil er bis zur Einlösung Zeit hatte und damit rechnen konnte, seiner Verpflichtung schließlich doch noch nachkommen zu können, inzwischen aber den Gewinn aus dem Handel in seinen nächsten Kauf investierte. Und genauso konnte dieser Mann auch in dem Moment zahlungsunfähig werden, in dem die Tulpenpreise fielen.“

Die Blase platzt

Was jetzt den Crash Anfang Februar auslöste, ist heute nicht mehr so genau nachvollziehbar. War es die Androhung der Magistrate, gegen den ausufernden, nicht mehr zu kontrollierenden Handel einzuschreiten, oder war es der Vertrauensverlust einiger Händler in den Markt? Vielleicht ist dem „Windhandel“ auch einfach nur die Puste ausgegangen, weil der Handel zum Schluß immer rasanter wurde und immer mehr Geld und Zwiebeln gebraucht wurden, und beides einfach nicht mehr da war. Auf jeden Fall kam der Handel zum Erliegen, erst in Haarlem, als während eines normalen Schankhandels einfach nicht mehr geboten wurde, dann aber verbreitete sich die Panik im ganzen Lande. Die Floristen wollten ihr Unglück zuerst überhaupt nicht wahrnehmen. Der Verfasser der „Samenspraecken“, einer Dialogsammlung, die den Tulpenwahn spöttisch begleitete, läßt den Weber Gaergoldt (was wohl soviel wie „Simpel“ bedeutet) angesichts des ihn unerwartet treffenden Preisverfalls sagen: „Mag Flora auch krank sein, sterben wird sie nicht“. Seine Frau beklagt, daß er den Webstuhl und all sein Werkzeug bereits verkauft habe, er aber kehrt zurück in sein Schankkollegium und muß feststellen, daß der Markt wirklich zusammengebrochen ist.
Nun wird er sich der Schulden bewußt, die er angehäuft hatte, um Tulpen zu kaufen, und fragt seinen Freund Waermondt (was soviel heißt wie „der, der die Wahrheit sagt“) um Rat. Und der sagt ihm unverblümt die grausame Wahrheit, nämlich daß der Tulpenhandel tot sei ohne Chance auf Wiederbelebung. Die Floristen keine andere Wahl hätten als in ihre ursprünglichen Berufe zurückzukehren. Wenn sie Glück hätten, würde man sie ehrenhaft aus ihren Schulden entlassen.
Der Zusammenbruch der Preise erwies sich als katastrophal. Aus zeitgenössischen Berichten geht hervor, daß eine Tulpe, für die man vor dem Crash 5000 Gulden bezahlen mußte, nunmehr für 50 zu haben war. Bekam man für ein Beet einer bestimmten Sorte im Januar noch 600 bis 1000 Gulden, reichten im Mai 6 Gulden. Wurden überhaupt noch in den folgenden Wochen Tulpen verkauft, erzielte man höchstens bis 5% des alten Wertes. Weit schwerwiegender war der gesamtwirtschaftliche Schaden. Wenn man bedenkt, daß seit 1634 die Hoffnung auf schnelles Geld viele produktiv tätige Niederländer dazu verleitet hatte, ihren Beruf zu verlassen und ihre Werkstätten und Werkzeuge zu verkaufen, wird dies das Land in seiner Entwicklung um Jahrzehnte zurückgeworfen haben. Abgesehen davon waren die bankrotten Handwerker auch nicht in der Lage, Werkstatt und Werkzeug zurückzukaufen, sie konnten also auch nicht mehr arbeiten.
Ein anderer bedeutender Aspekt wird auch gewesen sein, daß das Geld, das vor dem Tulpenwahn in produktive Investitionen geflossen war, wie z.B. die Trockenlegungsprojekte an der Küste, Infrastrukturprojekte und ähnliches mehr, jahrelang für die Tulpenspekulation verschwendet wurde; denn irgendwoher mußte das Geld ja kommen! Das tatsächliche Ausmaß der verheerenden Schäden, die für das Land entstanden, ist nie ernsthaft untersucht worden.
Die vernünftigeren Niederländer machten sich schon seit dem Höhepunkt des Wahns Gedanken über ihre irregeleiteten Mitbürger, und so erschienen seit 1636 bis weit nach dem großen Crash vom Februar 1637 zahlreiche Satiren und Drucke, die große Verbreitung fanden. Simon Schama beschreibt sie in seinem Buch Überfluß und schöner Schein: „Für die ,bedeutenden Leute’ lag sogar etwas Unheilvolles in dem Phänomen, das die Menschen so sehr ihres Verstandes beraubte.“ Einige Traktate beschrieben es als eine Art ketzerischen Volksglauben, komplett ausgestattet mit seinen eigenen liturgischen Beschwörungsformeln, primitiven Überzeugungen und rituellen Praktiken. Es war wirklich die auf den Kopf gestellte Wirtschaftswelt, eine Börse der Narren…
Aus jener Quelle stammt die anschauliche Darstellung der Gefahr in Pieter Nolpes ,Floras Narrenkappe’, einem der vielen Drucke von 1637 … ,Während Flora’, wie der darunterstehende Text erläutert, ,wegen ihrer hurenhaften Verderbtheit’ auf einem Esel fortgetrieben wird, betreiben ihre Gehilfen in Gesellschaft der Tulpenfreunde ihre Geschäfte in einer riesigen Narrenkappe, die an die Kappen von Pieter Brueghels Zeichnung ,Der Hochmut’ erinnert (aus der Serie über die sieben Todsünden …) Zerlumpte Bauern schleppen Tulpenzwiebeln in Schubkarren oder Körben fort, während ein Stutzer eine Ladung Zwiebeln auf den nicht viel versprechenden Boden schüttet. Ihm zur Linken hockt der Teufel – der böse Geist des Wahns – mit einer abgelaufenen Sanduhr in der einen Hand, während er mit der anderen eine Stange mit einer weiteren Narrenkappe hält, an der Kontrakte und Lieferscheine befestigt sind. Hinter ihnen erhebt sich ein ruinenhaftes, verlassenes Gebäude. Und für den Fall, daß dem Betrachter etwas entgangen sein sollte, lautet die Überschrift des Druckes: ,Darstellung des seltsamen Jahres 1637, als der eine und der andere Narr den Plan ausheckte, ohne Fähigkeit reich und ohne Verstand weise zu werden.’“

Moderne Formen von Spekulation und "Kasinowirtschaft":

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