Die Reform des Handelsrechts, oder ein gesellschaftlicher Paradigmenwechsel

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Seit nunmehr vier Jahren wird über die Bilanzrechtsreform gestritten, vier Jahre bisher fruchtloser Reformbemühungen: Rot-Grün brachte einst nur das Bilanzrechtsreformgesetz zustande. Das noch immer anstehende Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG), das viel tiefgreifendere Reformen in die Rechnungslegung einführen soll, dürfte nach Auskunft des Bundesjustizministeriums erst im 1. Quartal 2009 erscheinen. Wenn es nicht, wie zu befürchten, auch der derzeitigen Regierung im Rohr stecken bleibt. Warum aber ist eine scheinbar „nur“ technische Reform des Rechnungswesens ein solches Problem?

Die gegenwärtige Finanzmarktkrise hat gewiß zur Verzögerung beigetragen, ist aber nicht der alleinige Grund. Den findet man erst, wenn man die dem BilMoG zugrundeliegenden Prinzipien anschaut, denn die sind weitgehend aus den Grundgedanken der International Financial Reporting Standards (IFRS) abgeleitet. Während nämlich im bisherigen Handelsrecht das Vorsichtsprinzip im Vordergrund steht und Offenlegungspflichten überhaupt erst 1986 durch das damalige Bilanzrichtliniengesetz (BiRiLiG) eingeführt wurden, ist das IFRS-Rechnungswesen primär auf Offenlegung und Informationsnutzen für den Abschlußleser hin orientiert. So führt das Vorsichtsprinzip zur Bildung vieler Stiller Reserven, die den Überblick über die Lage der Unternehmung im Grunde erschweren. Kennzahlenrechnungen sind oft erst nach umfangreichen Um- und Neubewertungen aussagekräftig. Das ist im internationalen Rechnungswesen anders: hier bekommt der Abschlußleser von Anfang an ein viel „richtigeres“ Bild vermittelt. Das hängt damit zusammen, daß der Leser des IFRS-Abschlusses in der Regel Kapitalmarktteilnehmer ist.

Wirtschaft ist ein Phänomen der Gesellschaft, und die Jahresabschlüsse von Unternehmen sind daher auch gesellschaftliche Dokumente. Sie geben Auskunft über die Verwendung von Produktionsfaktoren, also über unseren Stoffwechsel mit der Natur. Dies ist nach dem „alten“ Leitbild des letztlich kaiserlichen Handelsrechts eine Sache der Unternehmung und nicht der Öffentlichkeit. Erst mit der großen HGB-Reform von 1985 wurde der allgemeinen Öffentlichkeit überhaupt Einblick in die Jahresabschlüsse der Kapitalgesellschaften gegeben, und das ist in letzter Konsequenz ein Stück Demokratisierung des Rechnungswesens: jeder konnte plötzlich – ohne Bedarfsnachweis! – die Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen der großen Unternehmen einsehen, und damit Dinge erfahren, die zuvor nur der Unternehmensführung zugänglich waren. Eine Reform mit Tiefgang!

So wie die produzierende Wirtschaft Produktionsfaktoren kombiniert um aus potentiell nützlichen Gütern, die die Natur bereitstellt, tatsächlich dem Menschen nützliche Produkte zu machen, so tauschen wir die Anteile der Unternehmen, die dieses leisten, an den Börsen aus. Der Kapitalmarkt ist also der Ort, an dem der Stoffwechsel des Menschen mit der Natur durch den Austausch von Kapital gesteuert wird. Das Kapital ist der höchste aller Faktoren, denn mit Kapital kann man Boden, Arbeit und Information kaufen; umgekehrt ist das weitaus schwieriger. Es macht daher Sinn, mit der schon seit vier Jahren anstehenden Anpassung des Handelsrechts an die Grundprinzipien des IFRS-Rechnungswesens die Kapitalmarktorientierung auch zum Leitbild des Handelsrechts zu machen. Das ist der wahre Kern der nur scheinbar technischen Reform: das Handelsrecht paßt sich den kapitalmarktnahen Handlungsmustern unserer Zeit an. Es wird daher offener und Bewertungswahlrechte werden abgeschafft oder eingeschränkt, um den bilanziellen Ausweis dem Grunde und der Höhe nach realistischer zu gestalten.

Leider gibt es hier ein Problem: die Kapitalmärkte haben seit der Zulassung derivativer Finanzinstrumente in den 1970er Jahren kaum noch materielle Güter zum Gegenstand, sondern weitgehend nur noch Finanzwetten. Der Emissionshandel ist nur das neuste, vielleicht aber auch schädlichste Beispiel für diesen Mißstand. Weniger als 1% der auf Kapitalmärkten gehandelten Werte sind heute noch „beißfähig“. Dieses Kartenhaus stürzt derzeit mit atemberaubender Geschwindigkeit ein. Ist es in Wirklichkeit dieser Einsturz der ergrünten Kasino-Wirtschaft, der die Bilanzrechtsmodernisierung behindert? Es könnte nämlich sein, daß wir mit der Implosion der Börsen längst ein neues Paradigma heraufziehen sehen. Es ist möglich, daß der Bärentanz an den Börsen das Zeichen einer neuen Zeit ist, in der das Wohl der Menschen wieder im Mittelpunkt steht, und nicht das des Kapitalanlegers. Dann allerdings wäre das BilMoG veraltet, bevor es überhaupt im Bundesgesetzblatt steht.

Quelle: Dieser Beitrag wurde freundlicherweise vom Dozenten und Unternehmensberater Harry Zingel zur Verfügung gestellt. Danke dafür und weiter so.

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3 Antworten

  1. admin sagt:

    Die Bundesregierung insbesondere Bundesjustizministerin Brigitte Zypries und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück haben in einer Pressemitteilung auch die Zeichen der Zeit erkannt und geben bekannt:

    „Die Bilanzierung bestimmter Finanzinstrumente nach reinen Marktwerten weicht zunehmend von der tatsächlichen ökonomischen Werthaltigkeit ab. Dies beeinträchtigt die Aussagekraft der Bilanzen und das Vertrauen insbesondere der Banken untereinander. Angesichts der gestörten Märkte können im Rahmen der Zeitwertbewertung für einige Finanzinstrumente verstärkt Bewertungsmodelle mit einer realistischeren Bewertung eingesetzt werden. Es müssen insoweit in Europa die gleichen Bedingungen wie in den USA gelten, damit es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt.
    …“

  2. Robert sagt:

    Na, das finde ich jetzt einigermaßen köstlich 😉

    Meine Posts zu den Verbindungen von Zingel zur BüSo wurden gelöscht und die Kommentarfunktion bei dem Blog völlig abgeschafft.

    Ich sollte mir das vielleicht doch noch zur Lebensaufgabe msachen, es immer wieder und überall zu posten: Harry Zingel ist in einer Sekte aktiv. Einer rechtsextremen und er duldet keine Kritik.

    Ich hab mir meine Posts abgespeichert, mal sehen… 😉

  3. admin sagt:

    Machen Sie bitte was Sie wollen, aber hören Sie auf in unserem Blog Autoren zu denunzieren. Ob hier jemand in einer Sekte ist oder wie jemand seine Freizeit außerhalb der BWL gestaltet geht niemanden etwas an. Herr Zingel ist ein sehr kompetenter Betriebswirt, der mit Sicherheit wesentlich mehr auf dem Kasten hat als mancher Leser hier. Der Artikel war eigentlich als Gag gedacht, wir haben zumindest darüber geschmunzelt. Herr Zingel wurde von uns angehalten, künftig nur noch fachbezogene Texte zu schreiben, da einige Leser nicht fachbezogene Artikel wohl oft in die falsche Kehle bekommen und sich dann über andere Dinge Gedanken machen.

    Also bitte unterlassen Sie derartige Kommentare oder tragen Sie zum Thema was bei.

    PS.: Wenn Sie etwas Courage hätten, dann würden Sie hier auch nicht anonym posten. Herr Zingel steht zu dem was er schreibt und kann das auch verteidigen.

    Also bitte oder haben Sie sonst keine Hobbies?