Die kleinsten Reformen sind bekanntlich die besten, denn schon die Änderung nur eines einzigen Paragraphen kann in Wirklichkeit eine Vielzahl von Folgeänderungen bewirken. So ist es auch bei der Abschaffung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes (§254 HGB) und der umgekehrten Maßgeblichkeit (§5 Abs. 1 EStG). Die scheinbar geringfügige Rechtsänderung ist in Wirklichkeit die Abkehr von einem der fundamentalsten Prinzipien des deutschen Bilanzrechts – und hat entsprechend weitreichende Folgen. Ein Blick auf die riesigen Nebenwirkungen der Bilanzrechtsmodernisierung:
Zunächst ist da die Abschreibung des Anlagevermögens. Schon bisher wurden die steuerliche und die kalkulatorische Abschreibung parallel geführt und unterschieden sich nach einer Vielzahl von Faktoren: so wird kalkulatorisch auf den Wiederbeschaffungswert, steuerlich aber auf die Anschaffungskosten abgeschrieben, kalkulatorisch auf den Restwert und steuerlich auf Null, usw. Nunmehr tritt eine dritte, handelsrechtliche Abschreibung hinzu, die den wirklichen Wertverlauf abbilden soll, denn das Leitprinzip des Handelsrechts ist nicht mehr Vorsicht, auch nicht mehr Steuervermeidung, sondern Vermittlung von Informationsnutzen für den Abschlußleser. In diesem Artikel habe ich auf die Einzelheiten hingewiesen.
Dann sind da die beiden Geringfügigkeitsgrenzen. Steuerlich dürfen Gegenstände bis 150 Euro bekanntlich als Aufwand verbucht werden (Verbrauchsfiktion, §6 Abs. 2 Satz 1 EStG) und geringwertige Wirtschaftsgüter bis 1.000 Euro unterliegen der Pool-Abschreibung (§6 Abs. 2a Satz 1 EStG). Diese Grenzen galten bisher ebenfalls im Wege der Maßgeblichkeit auch in der Handelsbilanz, sind nunmehr aber ersatzlos entfallen. Wie handelsrechtlich mit den geringwertigen Wirtschaftsgütern verfahren werden soll, ist einstweilen offen – ja, eine Gesetzeslücke. Die weitere Anwendung der steuerlichen Grenzwerte in der Handelsbilanz dürfte nach Ansicht des Autoren aber zulässig sein.
Schließlich sind da die Leasing-Verträge. Für deren Bilanzierung hat der Steuergesetzgeber schon 1971 und 1972 mit den Leasing-Erlassen eine auf den ersten Blick komplizierte, bei näherem Hinsehen aber einfache und logische Regelung geschaffen – die nunmehr ebenfalls handelsrechtlich nicht mehr anwendbar ist. An Stelle der bisherigen Erlaßrechtsquelle tritt der neue §246 Abs. 1 Satz 2 HGB, der indes sehr unspezifisch ist. Zwar wird hier im Handelsrecht eine §39 Abs. 2 Nr. 1 AO entsprechende Regelung geschaffen, aber im einzelnen bleiben viele Unklarheiten – die die Rechtsprechung und der Gesetzgeber im Laufe der näheren Zukunft nach und nach beseitigen müssen.
Insgesamt haben kleine Änderungen oft große Risiken und Nebenwirkungen. Die Abkehr von dem alten und längst nicht mehr zeitgemäßen Maßgeblichkeitsgrundsatz war überfällig. Sie ist aber auch schmerzhaft, denn was bisher durch eine unzeitgemäße Vorschrift eben doch noch zusammengehalten wurde, fällt nunmehr auseinander. Das ist mit Blick auf das Ziel der Vermittlung von Informationsnutzen wünschenswert, führt aber doch zunächst zu Verunsicherung und Unklarheiten.