Bilanzierung: Was ist eigentlich ein Geschäfts- oder Firmenwert?

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Immer wieder ist in Prüfungsaufgaben aller Art und Güte vom Geschäfts- oder Firmenwert die Rede. Komplizierte Rechtsvorschriften machen das Thema zum Liebling vieler Prüfungslyriker. Vertiefte Kenntnisse können also nicht schaden. Versuchen wir mal, uns ein grundsätzlichen Überblick zu verschaffen.

Hierzu gehen wir einfach exemplarisch vor, denn das ist am einfachsten. Betrachten wir eine Unternehmensübernahme. Diese besteht darin, daß eine Unternehmung eine andere kauft. Der Kauf wird in der Weise abgewickelt, daß die Anteilseigner der gekauften Gesellschaft von der kaufenden Ges ellschaft durch eine Geldzahlung abgefunden werden.

Bilanz der kaufenden Gesellschaft

Aktiva Passiva kaufende Gesellschaft

Durch den Kauf übernimmt die kaufende Gesellschaft (vorstehend) die zu kaufende Gesellschaft (nachstehend), wird als Eigentümer aller Vermögensgegenstände und Rechtsnachfolger aller Schuldnerverhältnisse:

Bilanz der zu übernehmenden Gesellschaft

Aktiva Passiva übernommene Gesellschaft

Der Kaufpreis betrage 100.000 Euro. Dieser Betrag wird von der kaufenden Gesellschaft den Anteilseignern der übernommenen Gesellschaft in liquiden Mitteln (z.B. durch Überweisung) ausgezahlt. Die übernommene Gesellschaft endet damit als selbständige bilanzierende Einheit und geht ganz in die Bilanz der kaufenden Gebsellschaft ein. Wie aber sieht diese Bilanz nach dem Kauf aus?

Bilanz der kaufenden Gesellschaft nach dem Kauf

Aktiva Passiva nach dem Kauf

Beginnen wir mal auf der Aktivseite: zu dem Anlagevermögen i.H.v. 110.000 Euro kommen die 25.000 Euro der gekauften Gesellschaft hinzu, und zu den Vorräten und Forderungen der kaufenden Gesellschaft i.H.v. 60.000 kommen die 15.000 Euro der übernommenen Gesellschaft hinzu. So weit, so gut.

Durch die Übernahme werden wir außerdem Rechtsnachfolger der langfristigen Darlehen der gekauften Gesellschaft i.H.v. 20.000 Euro, so daß unsere langfristigen Schulden nunmehr 120.000 Euro betragen.

Am Eigenkapital der kaufenden Gesellschaft hat sich nichts verändert; es besteht beispielsweise in Anteilsscheinen, die durch den Kauf unangetastet bleiben. Der Betrag bleibt also bei 85.000 Euro.

Wir haben den Gesellschaftern der gekauften Gesellschaft 100.000 Euro ausgezahlt. Die hatten wir aber gar nicht; vielmehr hatten wir nur die anfangs zur Verfügung stehenden Zahlungsmittel i.H.v. 30.000 Euro plus die 10.000 Euro aus der Kasse des gekauften Unternehmens, also zusammen 40.000 Euro. Um aber 100.000 Euro auszahlen zu können, mußten wir weitere 60.000 Euro bei der Bank aufnehmen. Dies erscheint als zusätzliche kurzfristige Verbindlichkeit.

Außerdem sind wir natürlich Rechtsnachfolger der kurzfristigen Verbindlichkeiten des gekauften Unternehmens i.H.v. 5.000 Euro geworden. Die kurzfristigen Schulden betragen also jetzt unsere bisherigen 15.000 Euro + 60.000 Euro Kreditaufnahme bei der Bank + „seine“ 5.000 Euro = 80.000 Euro.

Die Bilanzsumme beträgt jetzt 285.000 Euro auf der Passivseite; die Vorräte und Anlagen auf der Aktivseite machen zusammen aber nur 210.000 Euro aus. Es „fehlen“ also 75.000 Euro. Diese sind der Geschäfts- oder Firmenwert. Dieser ist also, und das ist, was der Prüfungskandidat wissen sollte, der positive Unterschied zwischen Eigenkapital des Übernahmekandidaten und Kaufpreis bei der Übernahme, also 100.000 Euro minus 25.000 Euro.

Normativ betrachtet repräsentiert der Geschäfts- oder Firmenwert die nicht bilanzierten, gleichwohl aber vorhandenen immateriellen Vermögensgegenstände der gekauften Unternehmung – beispielsweise selbsterstellte Software (Bilanzierungsverbot nach §248 Abs. 2 HGB) oder „einfach“ die Wertschätzung der Marke des übernommenen Unternehmens am Markt. Auch bestehende, u.U. aber nicht bilanzierte Produktrechtschutztatbestände wie Patente, Gebrauchsmuster usw. des gekauften (übernommenen) Unternehmens werden hier bewertet. Indirekt werden hierdurch also Stille Reserven aufgedeckt. Insofern ist es auch nicht ungewöhnlich, daß der Kaufpreis, wie im Beispiel, ein Mehrfaches des Eigenkapitals beträgt: selbst Kleinunternehmen haben oft sehr wertvolle Ideen – besonders im Software-, IT- und Mediengewerbe. Auch Aktienemissionen sind oft um ein Vielfaches überzeichnet, weil die Anleger große Erwartungen in die Zukunft der Unternehmung hegen.

Interessant sind auch die Abschreibungsvorschriften: der Geschäfts- oder Firmenwert darf als immaterielles Wirtschaftsgut handelsrechtlich über vier Jahre abgeschrieben werden (§255 Abs. 4 HGB), muß aber nach §7 Abs. 1 Satz 3 EStG steuerlich über 15 Jahre abgeschrieben werden. Eine Einheitsbilanz ist also schwierig. Zudem darf der Geschäfts- oder Firmenwert nach IFRS 3 gar nicht mehr planmäßig abgeschrieben werden. Im Bereich des internationalen Rechnungswesens ist jährlich eine Werthaltigkeitsprüfung (impairment test) vorzunehmen, und auf deren Ergebnis hin ggfs. außerplanmäßig abzuschreiben.

Zu einem Geschäfts- oder Firmenwert kommt es übrigens auch im Konzernabschluß, wenn der Buchwert der Konzerntochter bei der Konzernmutter nicht dem Bilanzwert des Eigenkapitals entspricht. Mehr Details hierzu findet der Leser u.a. in meinem Skript zum Jahresabschluß nach HGB und mehr noch in meinem Skript zur Rechnungslegung nach IAS/IFRS.

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