Hugo Chàvez und die Londoner Busse, oder die verkehrte Welt

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Die Nachrichtennetzwerke berichten seit gestern, daß London vom venezolanische Staatschef Hugo Chàvez über die staatliche Ölfirma Petroleos de Venezuela verbilligten Treibstoff für den Betrieb des öffentlichen Nahverkehrs erhalten habe. Die Einsparungen an Treibstoffkosten sollen direkt Bedürftigen zugute kommen, deren Fahrkosten gesenkt werden sollen. London revanchiere sich in dem schon diesen Februar geschlossenen Einjahresvertrag mit Planungsleistungen in Venezuela. Der linke Londoner Bürgermeister Ken Livinstone wird mit dem Satz zitiert, er gehe lieber mit Chávez als mit G.W. Bush "ins Bett". Wirklich interessant ist aber wie immer, was man uns nicht sagt.

So kommt das Geschenk einer Entwicklungshilfe der "Dritten Welt" an die reiche Hauptstadt Englands gleich, scheinbar die verkehrte Welt. Und mehr noch, ein (jedenfalls hier im Westen) als Diktator verschrieener sozialistischer Regierungschef leistet hier etwas an die Armen einer angeblich demokratischen westlichen Metropole, undenkbar bisher. Die Queen dürfte nicht amüsiert gewesen sein, denn aus diplomatischer Sicht ist die Sache eine Blamage.

Aber eine mit Zukunftspotential: die Chinesen engagieren sich seit einiger Zeit ganz erheblich in Afrika. Sie bauen aber keine Windrädchen, sondern kommunale Kleinkernkraftwerke, Meerwasserentsalzungsanlagen, Straßen, Flugplätze, Krankenhäuser und Kommunikationsnetze. Kurz, sie entwickeln Länder (und nicht die emissionshandelnde grüne Elitefinanzwirtschaft). Aus mittelalterlichen arabischen Scheichtümern sind inzwischen hypermoderne Megastädte geworden, und im rückständigen Indien gibt es noch immer heilige Kühe auf den Straßen, aber dafür auch Callcenter und Softwareentwickler nahezu aller großer westlicher Unternehmen.

Daß jetzt ein sozialistischer Diktator aus Lateinamerika den Armen des Westens hilft, ist da mehr als "nur" ein internationaler Vertrag über die günstige Lieferung von Treibstoff. Es ist ein Symbol mit Tiefenwirkung. Es zeigt, wie sehr die Welt sich verändert hat. Als 1989/90 dem Westen der böse rote Feind abhanden kam, stagnierte hierzulande auch der technische und gesellschaftliche Fortschritt. Araber, Chinesen und Lateinamerikaner hat das freilich nicht von dem Ziel angebracht, in ihren eigenen Ländern den Lebensstandard der Menschen zu heben, ohne sich dabei vom Westen reinreden zu lassen. Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad ist das beste Beispiel für die neue Selbständigkeit der einstigen Klientenstaaten des Westens, und damit für das wahre Ende des in manchen Regionen noch immer faktisch andauernden Kolonialismus.

Inzwischen kriegen wir schon Hilfslieferungen aus Lateinamerika, so ändert sich das Wohlstandsgefälle. So weit sind wir zurückgefallen. So morsch sind die westlichen Versorgungssysteme und Wohlfahrtsstaaten. Daß deutsche Hartz-IV-Empfänger neuerdings Geldhilfen aus Kuba oder billige Lebensmittel von den Sandinistas erhalten, ist noch nicht bekanntgeworden. Daß Deutschland aber Transrapid- und Kernfusions-Technik aus China zurückkauft, könnte bald der nächste Schritt werden. Kein Wunder also, daß hier die Fachkräfte fehlen. Sie werden ja auch nach Kräften hofiert, gerade kürzlich im sächsischen Mügeln zum Beispiel.

Links zum Thema: Columbia, China und der Eisenberg | Wovor die Mächtigen sich wirklich fürchten | Der Kanzler und der Transrapid, oder China und der Westen (interne Links)

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