Geprüfter Betriebswirt: Fach »Qualitätsmanagement« im Niedergang und die Konsequenzen

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Im bisherigen Lehrgang "Betriebswirt/IHK" war das Qualitätsmanagement ein selbständiges Fach, das (bei berufsbegleitenden Veranstaltungen) typischerweise mit 70 bis 80 Unterrichtsstunden unterrichtet wurde und im Finale eine veritable, mehrstündige Prüfung wert war. Im neuen Rahmenstoffplan ist das QM hingegen auf ganze vier Zeilen eingedampft worden. Dies ist, so meinen wir, kein Zufall, sondern ein Symptom. Das QM ist generell im Niedergang, jedenfalls das QM in seiner organisierten Form.

Als in den 1980er Jahren die erste ISO-Norm erschien und die ersten Unternehmen sich zertifizieren ließen, war das QM noch weitgehend eine Frage der technischen Optimierung und das ISO-Zertifikat ein Wettbewerbsargument. Nur ganz böse Zungen behaupteten, die bürokratische ISO-Norm habe in Wirklichkeit den Zweck, die zu Wendezeiten noch gefürchtete deutsche Wirtschaftsmacht zu brechen, aber solche Leute haben natürlich immer Unrecht, und zum Fürchten ist die Deutsche Wirtschaft heute aus ganz anderen Gründen.

Aber schon damals war das Grundkonzept der ISO-Norm, betriebliche Prozesse zu planen und schriftlich niederzulegen, nicht nur bürokratisch, sondern auch veraltet: in der Führungstheorie spricht man hier nämlich von "Management by Decision Rules" (MBDR), und das galt schon vor zwanzig Jahren höchstens des Finanzamtes für würdig. Unternehmen, so hieß es schon damals, könne man so nicht sinnvoll lenken.

Später entwickelte sich das "Total Quality Management", das auch auf eine Verhaltensänderung der Mitarbeiter zielte – also, negativ ausgedrückt, auf Umerziehung. Das ist, wo das QM seine "Unschuld" verliert, denn es hat das alte Bismarck-Zitat außer Acht gelassen: man müsse die Menschen nehmen, wie sie seien, denn bessere gäbe es nicht.

Das offenbart sich an einem unter Nummer 12 100 29494 TMS vom TÜV Süd zertifizierten Unternehmen: die ignorieren ihre eigene Prozeßbeschreibung und legen auf meine Anforderung auf Offenlegung das Telefon auf. Das aber entspricht nicht den Anforderungen an eine Kunden- oder (in diesem Fall) Stakeholder-Transaktion. Kundenzufriedenheit wird nicht erreicht und die Umerziehung war erfolglos: mein Computerhändler hier in der Stadt zum Vergleich hat kein QM-Zertifikat, aber Qualität: wenn wieder Mal eine Platte aussteigt, kommt er wenn es sein muß sogar am Sonntag hier vorbei. Das garantiert Kundenzufriedenheit und entsprechende Treue. Qualität geht ganz ohne Zertifikat!

Die strategische Todsünde aber dürfte die zunehmend ununterscheidbare Nähe des QM zum Marketing gewesen sein: TQM-Methoden wie Quality Function Deployment (QFD), Service-Blueprinting oder die der Marktforschung nahestehende statistische Prozeßlenkung (SPC) lassen sich nämlich ebensogut im Absatzbereich implementieren – und haben dort nicht den üblen Beigeschmack der innerbetrieblichen Kulturrevolution. Wofür brauchen wir aber noch ein TQM-System, wenn das Marketing es auch leistet – und viel billiger?

Ganz offensichtlich ist die ISO-Welle über uns hinweggerollt, und hat damit der nächsten Mode Platz gemacht. Rating- und Risikomanagement dürften zwei Stichwörter einer solchen neuen Mode sein, getrieben vom Bilanzrechtsreformgesetz von 2004 (wir berichteten) und natürlich von Basel II. Es ist daher nur zeitgemäß, daß diese Inhalte endlich auch im neuen Betriebswirte-Rahmenstoffplan ein viel größeres Gewicht erhalten. Dies aber führt das Unternehmen auf seinen Kernbestand zurück, nämlich auf den Faktoreinsatz, der durch die unternehmerischen Zahlenwerke dokumentiert wird. Versuchte sich der Qualitöter einst als Steuermann zur Kundenzufriedenheit, ist der Controller der Maschinist des Kapitalismus.

Für Dozenten wie für Teilnehmer ergibt sich daraus ein eindeutiger Rat: QM-Techniken wie beispielsweise das schon erwähnte Service-Blueprinting gehören künftig in den Marketing-Bereich. Da sind sie besser aufgehoben und stiften betrieblichen Nutzen. Ein Überblick über die ISO, der KVP, QFD und die FMEA sowie das EFQM-Modell sind in den Punkten zu Kapitel 6.4 des neuen Rahmenstoffplanes noch ausdrücklich genannt und müssen vermittelt werden, der Rest kann wahrscheinlich entfallen. Der rechnungswesennahe Teil sollte dafür mit viel mehr Zeit ausgestattet werden, denn er erfordert vermutlich weitaus größere kognitive Leistungen. Wie die zugehörigen Prüfungen aussehen, ist derzeit aber noch unbekannt. Hier müssen wir uns noch zwei Jahre gedulden – und uns wohl, wie immer, auf die eine oder andere Überraschung einstellen.

Links zum Thema: Geprüfter Betriebswirt: Hinweise zum neuen Rahmenstoffplan | Neuregelungen im Lagebericht ab 2005 | Erste Details zur Umsetzung der Basel-II-Richtlinie ab 2007 | Skript zu ISO 9000 und QM/TQM (interne Links)

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