Vom Millionär zum Tellerwäscher, ein deutscher (Alp)traum

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Mit Arbeitslosen ist es wie mit Toten: einer ist eine Tragödie, Millionen sind eine Statistik. Das gilt auch für die angeblich schon im letzten Jahr fast neun Millionen tatsächlich erwerbslosen Personen, und für die auf den Müll geworfene Generation derer, die in der DDR hart und erfolgreich gearbeitet haben und seither nur noch zwischen ABM, Umschulung und Hartz IV herumgeschoben werden: niemand sieht die Schlangen im zur Agentur mutierten Arbeitsamt, und erst recht niemand die Schicksale und privaten Tragödien, die sich hinter den statistischen Daten verbergen.

Selbst Qualifizierte finden keine Jobs mehr

"Warum sollen wir noch qualifizieren, wenn selbst die Hochqualifizierten keine Stellen mehr finden" sagt die freundliche und korrekte Arbeitsberaterin zu einer mir nahestehenden Person, die ich natürlich nicht mit Namen nenne, aber sehr wohl gut kenne. Die Frau war in der DDR in verantwortlicher Stellung tätig und hat seither mehrere Umschulungen erfolgreich hinter sich gebracht. Jetzt gibt es selbst das nicht mehr. Aber als Putzfrau gäbe es noch was, meint die Arbeitsberaterin zu der studierten Frau. Vom Tellerwäscher zum Millionär war einst der amerikanische Traum; vom Millionär zum Hartz IV empfangenden Tellerwäscher scheint sich zum deutschen Traum zu entwickeln. Oder auch zum Alptraum.

Alles ist zumutbar

"Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung" lese ich in Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz, und dieses wurde am 8. Mai 1949 verabschiedet aber heute weiß keiner mehr, wo es sich gerade aufhält. Was nicht wundert, sind jetzt doch viel mehr Menschen ohne Arbeit als einst bei Hitlers Machtantritt. So schickt die Arbeitsverwaltung einer verheirateten Arbeitslosen aus Erfurt eine Aufforderung, eine Stelle nahe der Schweizer Grenze anzutreten: eine Familie wäre damit zerrissen, eine Ehe auf kurze Wochenendbegegnungen reduziert. Andere Frauen werden sogar indirekt zur Prostitution gezwungen: das Arbeitsamt, dein Zuhälter. Das ist wohl der besondere Schutz der staatlichen Ordnung, den Deutschland seinen Subjekten angedeihen läßt.

Persönliche Demütigung

Ist schon die so oft vergebliche Stellensuche an sich eine entnervende Erfahrung aus Betteln, Nachfaßanrufen und ständigen Absagen, so tritt noch das Gefühl persönlicher Entwürdigung hinzu, und nicht nur, weil man plötzlich nicht mehr gebraucht wird und was man ein Leben lang getan hat auf einmal keinen Wert mehr haben soll: viele Maßnahmen des Staates richten sich nämlich nicht gegen die Arbeitslosigkeit sondern gegen die Arbeitslosen, etwa die permanenten Kontrollen, die Auflagen, die ständige Gängelung und insbesondere diese entwürdigenden Kontrollen des persönlichen Lebensumfeldes von Arbeitslosengeld II Empfängern, die wie Schmarotzer behandelt werden, obwohl die wirklichen Parasiten doch ganz woanders zu finden sind.

Auswanderung wird staatlich gefördert

Die Gewerbeordnung findet keine Anwendung auf "den Gewerbebetrieb der Auswandererberater" steht in §6 der Gewerbeordnung zu lesen, früher ein Treppenwitz der Geschichte, im Gesetz verblieben aus Zeiten der Großen Kartoffelfäule (vollständige Mißernte und Hungersnot 1846), in der Millionen in die Vereinigten Staaten auswanderten. Verarmung und Verelendung sind aber wieder ein Grund, die Heimat zu verlassen, und die deutsche Arbeitsverwaltung unterstützt nicht nur Praktika im EU-Ausland, sondern sogar dort vor Ort lebende Arbeitsberater, die die Arbeitsaufnahme deutscher Arbeitsloser in der Fremde erleichtern sollen. Es gibt sie also wieder, die Auswandererberater. Und die deutsche Gewerbeordnung ist wiederum auf sie nicht anwendbar. Haben wir einst indische Fachkräfte nach Deutschland geholt, so hat sich die Lage längst umgekehrt: indische Firmen holen jetzt Deutsche nach Indien, die dort zu indischen Konditionen und Löhnen arbeiten. Das ist aber nicht mehr viel schlechter als in Mecklenburg-Vorpommern oder Ostsachsen.

Europa gegen die Deutschen

Daß EU-Bürger in jedem EU-Staat Arbeitnehmerfreizügigkeit genießen, ist längst in Art. 39 ff des EU-Vertrages geregelt, aber daß dies zu den Konditionen des Herkunftslandes zu geschehen habe, ist Regelungsgehalt der umstrittenen Dienstleistungsrichtlinie – und für Deutsche eine Katastrophe: so ist der Deutsche im Ausland an die starren und bürokratischen Regeln seines Herkunftsstaates gebunden, der EU-Ausländer aber an die lockeren Gesetze seines Ursprungsstaates. Zwangssozialversicherungs- und bürokratiefrei können Ausländer den Deutschen die Jobs wegnehmen, oft nachdem sie von den bisherigen deutschen Arbeitsplatzinhabern noch angelernt wurden. Besonders die fleischverarbeitende Industrie hat das vorgemacht. Kein Wunder, daß Ausländerfeindlichkeit und Rassismus auf fruchtbaren Boden fallen, kein Wunder auch, daß die NPD in manchen Gegenden stärker ist als die SPD. Deutschland wird zu einem Billiglohnland und Europa fördert die Inländerdiskriminierung. Das ist die traurige Wahrheit!

Prämien für Arbeitsplatzexport

Noch mehr gegen die herrschende Staatsideologie ist es, die Arbeitsplatzwirkung des Emissionshandels bloßzustellen, aber genau daher tun wir es hier: Seit Anfang des Jahres "brauchen" Unternehmen, die Anlagen mit einer Leistung über 20 MW betreiben, Emissionszertifikate, die beim Betrieb dieser Anlagen "verbraucht" werden. Die anfänglich kostenlos zugeteilten "Klimascheine" müssen am Markt zugekauft werden, wenn die Produktion ausgeweitet wird oder die Rationierung nicht reicht, und das treibt die Energiekosten in die Höhe, aber die "Wertpapiere" können auch am Markt verkauft werden – auch ins Ausland. Da aber viele Staaten mit sehr guten Standortbedingungen (z.B. Indien, China, Brasilien) keine "Verpflichtungen" aus dem Protokoll von Kyoto übernommen haben, ist der Emissionshandel faktisch ein Anreiz zur Verlagerung in solche Staaten, und also zur Entlassung ganzer Belegschaften: wir können es uns offenbar noch immer leisten, Arbeitsplatzexportprämien zu zahlen.

Volkes Mund tut Wahrheit kund

"Was sagt ein arbeitsloser Betriebswirt zu einem Betriebswirt mit Arbeit" fragt der Volksmund? "Eine Currywurst bitte", oder vielleicht sogar "zum Bahnhof, bitte". Solche bösen Witze, unter Männern oft zur Bewältigung von persönlichen Katastrophen gebraucht, lassen tief in eine Zeit der fortgeworfenen Talente, des verachteten Wissens, der verschrotteten Existenzen blicken. Diplomphysiker bei der Zwangsarbeit auf dem Spargelfeld, Werksleiter als Würstchenverkäufer oder Professoren als Taxifahrer zeigen die Verachtung für Unternehmertum, Bildung, Arbeit und Erfolg, die in diesem Land noch immer die herrschende Meinung ist, aber lassen auch den Absturz erahnen vom Hörsaal auf den Bahnhofsvorplatz oder vom Maschinenleitstand in die Imbißbude. Existenzen brechen hier zusammen, und mit ihnen Ehen, Familien und Lebensläufe. Wie lange aber werden sich die Menschen noch so demütigen lassen?

Die Faust in der Tasche

Besonders die "Generation Praktikum" hat nämlich längst die Faust in der Tasche, denn die wahren Verlierer der Wende sind nicht die einstigen Stasi-Wanzen, die es auch hernach wieder bis in Ministersessel geschafft haben, sondern ihre einstigen Untergebenen, die hart und ehrlich gearbeitet haben, und unter viel schwierigeren Umständen als im Westen, nur eben leider auf der falschen Seite des Zaunes. Diese Leute schleppen eine wirklich tiefgreifende Frustration mit sich herum, und vielleicht noch etwas Anderes: am Ende der DDR aber vor Abzug der Sowjetarmee konnte man von den Russen nämlich eine Menge schöne Dinge kaufen, von Handgranaten (5 Westmark) bis zu einer schnuckeligen kleinen Automat Kalashnikova, komplett mit Munition und Schießtraining im Bunker für 500 DM. Wo das illegale Kriegsgerät heute herumliegt, weiß ich nicht (ich besitze jedenfalls keines), aber daß es noch irgendwo auf schlechte Zeiten wartet, ist gewiß. Kein Wunder, daß immer mehr Arbeitsagenturen Sicherheitsdienste beschäftigen. Die werden sie auch brauchen, und zwar spätestens dann, wenn der um das Tatrisiko abdiskontierte Grenznutzen einer Plünderung mit anschließender Brandstiftung höher ist als der des Ausfüllens von Hartz-IV-Formularen und deren demütige Vorlage beim Amt zwecks eventueller Entgegennahme staatlicher Wohltaten. In Frankreich haben wir gesehen, wie schnell das gehen kann. In Deutschland ignorieren wir noch die Zeichen der Zeit. Doch wer heute den Kopf in den Sand steckt, der knirscht morgen mit den Zähnen. Selbst im Raum ohne Volk, das einst ein Volk ohne Raum war.

Links zum Thema

8,6 Millionen Arbeitslose – schon vor Beginn der Energierationierung | Hartz IV und die Förderung der Prostitution | Deutschland, das Billiglohnland oder Europa und die Dienstleistungsfreiheit | Inländerdiskriminierung: Dienstleistungsfreiheit wird Deutschen verweigert | Liste mit Anlagen, die ab 2005 der Energierationierung unterliegen | Über die Nachhaltigkeit in der Arbeitslosigkeit | Die Arbeitsagenturen und das Sturmgewehr (interne Links)

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