Immer wieder geraten die "modernen" Lehrpläne der Industrie- und Handelskammern in die Diskussion, die in Lehrgängen wie "Betriebswirt/IHK" versuchen, Managementfähigkeiten zu vermitteln aber dabei möglicherweise die Fundamente der betriebswirtschaftlichen Funktionenlehre vernachlässigen. Das aber führt zu Defiziten bei den Teilnehmern, denen auch nach erfolgreichem Abschluß oft elementare Fähigkeiten fehlen. Hat die Kammer Leerpläne statt Lehrpläne?
Die funktionale Gliederung der Betriebswirtschaft geht noch auf Gutenberg zurück, den Urahn aller Betriebswirte zurück, den Erich Gutenberg aus dem 20. Jahrhundert wohlgemerkt, nicht den Johannes Gensfleisch Gutenberg aus dem 15. Jahrhundert (welchen eher die Drucker als ihren Urvater verehren). Dieser Erich also unterteilte, im Anschluß an Schmalenbach ("Die Privatwirtschaft als Kunstlehre", 1911/12) die Betriebswirtschaft in die "Technik" des Rechnungswesens und die darauf aufbauende "Funktionenlehre" der Produktion (1951), des Absatzes (1955) und der Finanzwirtschaft (1961). Diese Unterteilung bildete für Jahrzehnte die Grundlage aller Lehrpläne: noch 1980 konnte Eisele daher ein Buch über die "Technik des betrieblichen Rechnungswesens" schreiben (ISBN 3-8006-0395-0), ganz ohne Tastaturen, Mäuse und Datenbanken. Wie sich die Zeiten ändern.
Einen Gegensatz zu Gutenbergs Faktor- und Funktionenlehre bildete schon seit über vierzig Jahren der entscheidungsorientierte Ansatz, der betriebswirtschaftliches Handeln als mathematisches Optimierungsproblem verstand. Ihm und seinen Hauptvertretern Neumann und Morgenstern verdanken Generationen von Studenten kurzweilige Stunden mit Simplex und Integralrechnung. Es wundert nicht, daß die Entscheidungstheorie in ihrer voll erblühten Form als Systemtheorie in universitäre Lehrpläne einsickert und dort versucht, betriebliches Handeln in eine Art kybernetisches Gesamtmodell zu definieren ("Systemtheorie"), denn auf einmal paßt die Betriebswirtschaft, der noch in den 70er ihre Eigenschaft als Wissenschaft abgesprochen wurde, in die ökonometrischen Modelle der Volks- und allgemeinen Wirtschaftswissenschaften. Das gilt um so mehr als findige Programmierer derzeit versuchen, Workflow Management Systeme auf der Basis von künstlicher Intelligenz zu programmieren, die das Führungshandeln des Managements auf formale, nichtemotionale Regeln stellen und damit objektivieren sollen: die Mathematik wurde zunehmend zur eigentlichen Grundlage der Betriebswirtschaft. Darin waren sich seit einigen Jahrzehnten eigentlich alle einige. Alle? Die Kämmerlinge bilden eine Ausnahme…
Deren Lehrpläne kennen zwar noch das Marketing in seiner binnen- wie außenwirtschaftlichen Ausgestaltung, im Lehrgang "Betriebswirt/IHK" aber darauf aufbauend nur noch "moderne" Fächer wie "Projektmanagement", "Qualitätsmanagement" oder gar "Ökologiemanagement". Am Rechnungswesen wird arg gespart und die "Technik" der mathematischen Verfahren ist mehr oder weniger tabu.
Ich würde aber bezweifeln, daß diese Fächer modern sind; "Modefächer" ist mE nach ein besserer Ausdruck, denn jeder Qualitätsmanager muß sich mit Grundlagen wie Statistik, bilanzieller Bewertung oder Optimierungsrechnung herumschlagen, und das vermeiden die Vertreter der Managementsysteme oft. Das macht sie nicht moderner, sondern modischer: was nützt mit ein Qualitätsmanagementsystem, wenn der Verantwortliche nicht in der Lage ist zu berechnen, ob eine bestimmte Abweichung ein Problem der Qualitätsfähigkeit oder einfach nur ein Zufall ist?
Die klassische Einteilung nach Gutenberg mit einer "harten" mathematischen Grundlage vermittelt übrigens alle Fertigkeiten, die man für Managementsysteme braucht, aber kostet viel mehr Schweiß und Anstrengung, denn man muß anfangen, das Haus von unten zu bauen. Man kann sich nicht mit den "Schönheiten" der ISO-Norm herumschlagen, sondern muß erst lernen, was bilanzielle Bewertung, Materialeinsatz und durchschnittliche Lagerdauer miteinander zu tun haben (eine Menge!). Man weiß nachher aber, daß der Umstieg von Durchschnittsbewertung (§240 Abs. 4 HGB) auf FIFO (§256 HGB) den Verderb von 1% auf 100% in die Höhe schnellen lassen, kann, was zweifellos qualitätsrelevant ist. Nur eben kein hochtrabendes "Managementsystem", sondern hartes, in saurem Schweiß erworbenes Wissen. Kompetenz, eben. Die "Managementfächer" der Kämmerlinge scheinen hier eher eine Abkürzung zu versuchen, nicht zum Vorteil der Absolventen: weigerte sich doch mal eine Teilnehmerin, sich im Rahmen des QM-Faches mit der Kombinatorik "herumzuschlagen". So baut man keine Qualitätsmanager, sondern Qualitätsbürokraten. Und selbst das nicht zeitgemäß: "Risikomanagement", seit 1998 vorgeschrieben und durch die Reform des §289 HGB ab 2005 noch erheblich ausgedehnt, sucht man in den IHK-Leerplänen noch immer vergeblich.
Dafür findet man aber "Ökologiemanagement", was nun wirklich kein Teilgebiet der Betriebswirtschaft ist, denn der Betriebswirt ist ein Faktoroptimierer, und keiner, der sich damit herumschlägt, ob eine Sauerkrautfabrik eine Umweltverträglichkeitsprüfung braucht. Unter gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten würde ich ohnehin "Freiheitsmanagement" als Ergänzung vorschlagen: wie reagiert ein Verantwortlicher auf den totalitären Konformitätsdruck des Ökostaates nicht mit appeasement, sondern mit angemessener gesellschaftlicher Selbstverteidigung?
Man kann es auch ganz kurz machen: Daß derzeit nur noch Fächer unterrichtet werden, die mit "-management" enden, ist mE nach ein Zeichen, daß es uns noch viel zu gut geht. Wir haben es nicht mehr nötig, uns mit den harten Kleinigkeiten des Wirtschaftsalltages herumzuschlagen, Sortimentoptimierung per Simplex beispielsweise, oder Transport- und Fahrplanrechnung, selbst in Zeiten der Maut-Abzocke noch nicht auf den Leerplan zurückgekehrt, sondern meinen immer noch, hochtrabende Manager zu sein. Auch bei fast 9 Millionen Arbeitslosen. Wer sich aber zu groß fühlt, sich mit dem Kleinkram der betriebswirtschaftlichen Funktionenlehre abzugeben, der ist meist zu klein, sich mit den wirklich großen Aufgaben der unternehmerischen Faktoreinsatzoptimierung zu befassen…
Links zum Thema: Lineares Optimieren mit der Simplex-Methode | Warum Qualitätsmanagementsysteme scheitern | Emissionshandel: warum Appeasement nichts nützt | Transport und Logistik | 8,6 Millionen Arbeitslose – schon vor Beginn der Energierationierung (interne Links)