Gewiß nervt es den Dozenten, wenn in den ersten beiden Stunden einer Lehrveranstaltung kaum ein sinnvolles Arbeiten möglich ist, weil alle paar Minuten Leute nachgekleckert kommen. Doch was oberflächlich betrachtet als Zumutung für Lehrer und Lehrgang erscheint, läßt in Wirklichkeit tief blicken – tiefer, als es manchen Arbeitgebern lieb ist.
Besonders Freitag Mittag zu Beginn der Wochenendveranstaltung ist das mit dem Zuspätkommen ein penetrantes Problem, und das liegt nicht nur an der Staulage auf den bekanntlich für den Wochenendansturm oft völlig unzureichenden Straßen: die IHK-Lehrgänge sind teuer, und manche chronische Zuspätkommer sind Selbstzahler. Das scheint nicht zusammenzupassen, kennt man das Problem mit der Unpünktlichkeit doch eher aus Lehrgängen mit manchmal unfreiwilligen Teilnehmern vom Arbeitsamt. Warum kommen aber Leute zu spät, die viel Geld gezahlt haben – und das nicht selten aus eigener Tasche?
Es hat eine Weile gedauert, bis ich das Rätsel lösen konnte, denn man muß die Leute erst persönlich kennenlernen, und was ich dann erfuhr, läßt manchen Arbeitgeber, den ich kenne aber hier nicht nenne, in schlechtem Licht erscheinen: so berichteten mir mehrere Lehrgangsteilnehmer, sie würden es oft nicht rechtzeitig schaffen, weil sie an Freitagen zu lange arbeiten müßten – und daran könnten sie nichts ändern, weil ihre Arbeitgeber von der Teilnahme an dem IHK-Lehrgang nicht wissen dürften.
Da blieb mir erstmal die Kinnlade stecken, was bei mir sonst eher selten ist: ein Arbeitnehmer finanziert gegen den Willen seines Arbeitgebers eine Fortbildungsveranstaltung für mehrere Tausend Euro, und kommt zu spät, weil er seinem Boß nicht vermitteln kann, daß er sich qualifizieren will. So weit ist es also schon gekommen: Arbeitgeber wünschen keine Fortbildung ihrer Mitarbeiter, weil diese dann Lohnforderungen stellen oder gar die manchmal inkompetente Unternehmensführung ihrer Vorgesetzten erkennen könnten. So kurzsichtig sind wir schon: Der Schröder schwadroniert noch von Milliarden für die Bildung, aber da, wo die Millionen Nutzen stiften sollten, ist Weiterbildung unerwünscht.
Da ist in den Prüfungen von QM und Human Resources die Rede, aber der Brötchengeber interessiert sich nicht im geringsten für den Einsatzwillen seines Mitarbeiters: was ein vernichtendes Urteil über das Management zu sein scheint, hat aber noch eine weitere Dimension, und die ist auch nicht gerade herzerfrischend. Bildung ist nämlich, wir wissen es alle, eine Investition in die Zukunft. Nur ein kurzsichtiger Arbeitgeber unterläßt diese Investition – oder ein besonders weitsichtiger, genug um zu wissen, daß es bald keine Zukunft mehr gibt, in die man investieren könnte. In einem Land, in dem die Volkabstimmung im Kreißsaal ausgetragen wird, können offensichtlich auch die Unternehmer hinter Maut, Emissionshandel und Steuerpolitik keinen Lichtblick mehr entdecken. Und da der Aufschwung mit der Bahn kommt, also gar nicht, wird den Mitarbeitern jegliche Fortbildung auf Kosten der kurzfristigen Arbeitsleistung verboten – eine taktische Optimierung mit dem Ziel der baldigen Verlagerung nach Osteuropa oder China: nicht nur ein vernichtendes Urteil für die Unternehmerschaft also, sondern noch viel mehr für eine korrupte Führung, die das land zugrunderichtet.
Ja, so weit sind wir schon gekommen: das Lernverhalten der Menschen ist ein Krisenindikator, ganz wie die Familienplanung eine Art von Abstimmung. Und die kann bei fast neun Millionen Arbeitslosen schon vor der Energierationierung kaum sehr positiv ausfallen. Noch scheint es Arbeitnehmer zu geben, die an ihre persönliche Zukunft glauben, denn sonst würden sie sich nicht zwei Jahre land die Wochenenden um die Ohren schlagen, sogar noch gegen den Willen ihres Chefs. Doch wenn der Arbeitgeber keine Zukunft mehr sieht, haben wir bald alle keine Perspektive mehr. Was die Politik nicht einsieht ist, daß der Unternehmer der Esel ist, der den ganzen Karren zieht. Wir müssen das Land wohl erst richtig an die Wand fahren, um diese Lektion endlich zu lernen!
Links zum Thema: Schröder: »Milliarden für die Bildung« | 8,6 Millionen Arbeitslose – schon vor Beginn der Energierationierung | Moskau ratifiziert Kyoto: Ein Ausblick | Der konspirative Dozent: Wie die BfA Existenzen vernichtet (interne Links)