Die Prüfungslyriker der IHK entblöden sich also tatsächlich nicht, Fragen zum Qualitätsmanagement im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs zu stellen. Dies ist mindestens realitätsfern; vielleicht läßt es aber auch tiefer blicken, als es den Autoren der Prüfungsfallstudie selbst lieb ist.
Der Personennahverkehr wird zwar meist von Unternehmen erbracht, die für ihre Leistungen aber staatliche Festpreise nehmen müssen, Zwangsfahrgebiete haben, in denen sie in der Regel keinen Fahrgast abweisen dürfen, und ihr Leben oder Tod ist nicht von König Kunde, sondern vom Staat reglementiert, der beispielsweise vorschreibt, daß keine Buslinie angeboten werden darf, wo die Bahn fährt (oder nur zu fahren plant). Mit Markt hat das alles wenig zu tun, vielleicht noch nichtmal mit Wirtschaft, eher mit staatlicher Verteilung, ohne Konkurrenz, ohne Pünktlichkeit, ohne Freundlichkeit. Nur teuer.
Im Qualitätsmanagement sucht man aber gerade die Nähe zum Kunden, die Umsetzung von Kundenwünschen, und der Wettbewerb ist dabei der Motor. Ein wirksames und funktionierendes Qualitätsmanagement kann es also nur geben, wenn Konkurrenz und Preis-Leistungs-Wettbewerb funktionieren. Das ist dem öffentlichen Personnenahverkehr aber schon durch seine Grundstruktur nicht möglich, nämlich die Rasterung in Zeit und Ort: man muß immer laufen, immer warten – und das will keiner freiwillig tun. Kein Wunder also, daß nur "große A's" mit Bus und Bahn fahren, nämlich Alte, Arbeitslose, Auszubildende, Arme undsoweiter. Das ist zwar polemisch, aber wahr: Leute, die auf staatliche Almosen angewiesen sind. Wer ein Auto hat, fährt nicht Bus oder Bahn, es sei denn, er darf sein Auto mal für eine Zeit nicht benutzen…
In diesem Zusammenhang erscheint es wenig praxisnah, etwa nach Qualitätskennzahlen zu fragen (Aufgabe 2), wenn keine Konkurrenz besteht und die Kunden keine Wahl haben. Noch realitätsferner ist es, ein Benchmarking durchzuführen (Frage 5), denn diese Methode zielt auf das Rating verschiedener Anbieter. Wie aber führt man ein Benchmarking auf staatlich zwangsreglementierten Monopolmärkten durch? Die Bahn AG ist schließlich immer auf allen Strecken Pünktlichkeitssieger. Nun ja, sie ist aber auch die Einzige. Ist das das Verständnis von Qualitätsmanagement, das die Prüfungslyriker vertreten?
QM steht im Ruf, eine verlogene Veranstaltung mit dem üblen Geschmack von Parteitagen und Selbstverpflichtungen zu sein. Diese Prüfung ist eine Möglichkeit, dieses Gefühl zu vertiefen. So lernt der wackere Prüfungsteilnehmer, Eines zu sagen, aber etwas ganz Anderes zu meinen. Zweifellos eine Schlüsselqualifikation zum Eintritt in die Politik. Aber dem Kunden nützt das nichts.
Es muß meines Erachtens nach davon ausgegangen werden, daß die gewiß qualifizierten Mitglieder des Aufgabenausschusses das gewußt haben. Was hat sie also dazu bewogen, solche Fragen zu stellen? Es drängt sich der Verdacht auf, daß hier ein sanfter Umerziehungsdruck ausgeübt werden soll. Nicht der böse Automobilhersteller ist Gegenstand der Prüfungsfallstudie, obwohl man an diesem gerade die in der Prüfung gestellten Fragen viel besser hätte beantworten können, sondern ein Nahverkehrsunternehmen, das im Grunde eine Außenstelle einer Behörde ist und ein QM-System weder hat noch braucht, sondern nur ein wirkungsfreies ISO-Zertifikat zur Haftungsabwehr bei Unfällen. Das mag politisch korrekt im Sinne der herrschenden ökosozialistischen Ideologie der Zeit sein, ist aber weder im Interesse der Sache noch nützt es den Prüfungsteilnehmern, also den Kunden der IHK. Ein klassischer Qualitätsmangel also.
Links zum Thema: Mein Skript zum Qualitätsmanagement | Bus und Bahn: aus dem Leben eines Nutzers öffentlicher Verkehrsmittel | Prüfung Betriebswirt/IHK vom 11. Juni: Die BSC-Frage | Betriebswirt IHK: Bericht zur Herbstprüfung im Fach Qualitätsmanagement | Wie Lieschen Müller sich das Qualitätsmanagement vorstellt | Kalkulatorische Kosten im Qualitätsmanagement? | Kundenzufriedenheit und Qualitätsmanagement im Bildungsbetrieb (interne Links)