Wirtschaftliches Eigenkapital: Ein Beitrag zur Bonitätsbeurteilung

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Unter dem sogenannten wirtschaftlichen Eigenkapital versteht man dasjenige Kapital, das einem Unternehmen tatsächlich als Eigenmittel zur Verfügung steht. Es ist nicht nur bei Haftungsfragen und im Rahmen von Insolvenzverfahren, sondern auch beispielsweise beim Kreditrating relevant. Dieser kleine Beitrag bietet einen Einstieg in das Thema und zeigt zugleich die Grenzen des traditionellen Bilanzgliederungsschemas nach §266 HGB auf.

Eine einfache Möglichkeit zur Ermittlung des wirtschaftlichen Eigenkapitals ist die Erweiterung des bekannten Gliederungsschemas für das Eigenkapital. Diese ist rechtsformenabhängig, d.h., es wäre für Personengesellschaften ein anderes Schema als für Kapitalgesellschaften anzuwenden. Das ermittelte Eigenkapital wird dann um zusätzliche Positionen erweitert, die eigenkapitalgleich sind, selbst dann, wenn sie rechtlich nicht zum Eigenkapital zählen:

 

  Eigenkapital, d.h.,
  I. Gezeichnetes Kapital;
+ II. Kapitalrücklage;
  III. Gewinnrücklagen:
+   1. gesetzliche Rücklagen;
+   2. Rücklagen für eigene Anteile;
+   3. satzungsmäßige Rücklagen;
+   4. andere Gewinnrücklagen.
± IV. Gewinnvortrag/Verlustvortrag;
± V. Jahresüberschuß/Jahresfehlbetrag.
= Bilanzielles Eigenkapital
./. Ausstehende Einlagen (die nicht direkt verfügbar sind),
+ Forderungen gegen Gesellschafter (die eingetrieben werden können)
./. Verbindlichkeiten gegen Gesellschafter (die abgeführt werden müssen)
+ Eigenkapitalersetzende Darlehen i.S.d. §32a GmbHG
+ Sonderpostem mit Rücklageanteil.
= Wirtschaftliches Eigenkapital

 

Während gegenwärtig in Thüringen (und generell in Neufünfland) infolge der Eigengapitalschwäche ostdeutscher Unternehmen, und infolge der generellen Wirtschaftskrise in Deutschland etwa viele Unternehmen überhaupt kein bilanzielles Eigenkapital mehr besitzen, verfügen doch viele noch über wirtschftliches Eigenkapital, und damit über Bonität ohne formales Reinvermögen. Die Berechnung des wirtschaftlichen Eigenkapitals kann damit für die Entscheidung über Liquidation oder Sanierung im Insolvenzverfahren ausschlaggebend sein.

Stille Reserven aller Art deckt dieses Schema nicht auf; insbesondere Vermögensgegenstände, für die ein Bilanzierungsverbot zum Beispiel nach §248 Abs. 2 HGB besteht, und die eigentlich eine indirekte Erhöhung des Eigenkapitals wären, werden auf diese Art nicht sichtbar. Die Berechnung des wirtschaftlichen Eigenkapitals ermöglicht also keinen Einblick in Bereiche, in die das Handelsrecht keinen Einblick erlaubt. Der nunmehr anstehende Systemwechsel zu internationalen Rechnungslegung wird diesen Mangel langsam entschärfen und damit die Aussagekraft der Jahresabschlußanalyse erhöhen.

Im Zusammenhang mit der bevorstehenden Einführung der neuen Eigenkapitalrichtlinien für Banken ("Basel II"), die zu einer Neuregelung der Kreditvergabe gegenüber dem Kunden führen wird, ist zu hoffen, daß die vielfach schwerfälligen und vergangenheitsorientierten Kreditentscheider das wirtschaftliche Eigenkapital, möglichst noch vermehrt um nicht bilanzierungsfähige aber dennoch reale Vermögensgegenstände wie eigene, also unentgeltlich erworbene Schutzrechte z.B. für Software, mehr zur Grundlage der Vergabeentscheidung machen als bisher. Das würde auch die Ungleichbehandlung, die sich durch die Parallelität zweier in vielen Punkten widersprüchlicher Regelwerke (HGB und IAS) ergibt, entschärfen. Die generelle Krise, in der sich dieses Land befindet, kann auf diese Art freilich nicht entschärft werden.

Links zum ThemaDer interaktive Jahresabschluß mit Punkt-für-Punkt-Erläuterungen zu Bilanz & GuV | JahresabschlußbuchungenWas nach den Krediten kommt… (interne Links)

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