Warum nicht alles, was Verlust erwirtschaftet, auch abgeschafft werden sollte

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Der Glaube, daß Produkte (Produktlinien, Sortimente, Geschäftsfelder, Leistungen), die Verlust erwirtschaften, auch stets abgeschafft werden sollten, ist schier unausrottbar, wird aber durch häufige Wiederholung in so ziemlich jeder zweiten Nachrichtensendung nicht wahrer. Dieser kleine Beitrag, zu dem der Nutzer der BWL CD die Datei "ABC-Studie.xls", das Skript "DB-Rechnung.pdf" und die entsprechenden Stichworte in meinem Lexikon konsultieren sollte, will ein bißchen mit diesem verbreiteten Irrglauben aufräumen. Zudem könnte er prüfungsrelevant sein (ja, liebe Studenten, hier winkt ein ganzer Zaun!).

Anfangszustand Prod. A Prod. B Prod. C A+B+C
Fertigungsmaterial 60.000 40.000 50.000 150.000
+ MaterialGK 6.000 4.000 5.000 15.000
= Materialkosten 66.000 44.000 55.000 165.000
Fertigungslöhne 90.000 40.000 50.000 180.000
+ FertigungsGK 90.000 40.000 50.000 180.000
= Fertigungskosten 180.000 80.000 100.000 360.000
Summe = Herstellkosten 246.000 124.000 155.000 525.000
+ VwGK 49.200 24.800 31.000 105.000
= Selbstkosten 295.200 148.800 186.000 630.000
VK-Erlöse 335.200 178.800 176.000 690.000
Betriebsergebnis 40.000 30.000 -10.000 60.000

Ein Unternehmen fertigt insgesamt drei Produktbereiche (strategische Geschäfts-einheiten), für die jeweils die nebenstehende Kalkulation durchgeführt wird. Der Zuschlagssatz im Bereich "Lager" beträgt dabei 10%, die Zuschlagssatz im Bereich "Fertigung" beträgt 100% und der Zuschlag der Verwaltung auf die Herstellkosten beträgt 20%.

Weiterhin betrachten wir für jeden Geschäftsbereich die jeweils entstehenden Umsätze, und berechnen das Betriebsergebnis der drei Geschäftsbereiche. Das offenbart in Bereich C einen Verlust, während die anderen Einheiten einen Gewinn erzielen.

In einer solchen Situation empfiehlt die Geschäftsführung oft die Abschaffung des jeweiligen verlustbringenden Bereiches. Aber wäre das wirklich ein guter Ratschlag? Hierzu ist es zunächst bedeutsam zu wissen, daß das nebenstehende Zuschlagsverfahren eine Methode der Vollkostenrechnung ist, d.h., die auf der Unterteilung nach Einzel- und Gemeinkosten beruht. Sortimentsentscheidungen, also auch solche über die Eliminierung von Produkten, sind aber Verfahren der Teilkostenrechnung, d.h., beruhen auf der Unterteilung in fixe und variable Kosten.

Jetzt wäre wichtig herauszufinden, wie hoch der Anteil der variablen Kosten ist. In unserem Beispiel betrage er an den Gemeinkosten 10%, d.h., 90% der Gemeinkosten sind fix, während 10% variabel, d.h., leistungsabhängig sind. Die Einzelkosten sind selbstverständlich stets leistungsabhängig, d.h., immer zu 100% variabel. Was leistet diese Erkennsnis (die in der Praxis zu gewinnen recht aufwendig sein kann) aber für die Entscheidung über Produkt C?

Veränderung A+B DB(C)
Fertigungsmaterial 100.000 50.000
+ MaterialGK 14.500 500
= Materialkosten 114.500 50.500
Fertigungslöhne 130.000 50.000
+ FertigungsGK 175.000 5.000
= Fertigungskosten 305.000 55.000
Summe = Herstellkosten 419.500 105.500
+ VwGK 101.900 3.100
= Selbstkosten 521.400 108.600
VK-Erlöse 514.000 176.000
Betriebsergebnis -7.400 67.400

Um das herauszufinden wäre es schön, mal auszurechnen, wie das Unternehmen mit nur den Produkten A und B, also nach der Abschaffung von C dastünde. Hierzu werden in der neuen Summenspalte "A+B" die Summen aus A und B gebildet, und die fixen Gemeinkosten von C addiert, denn 90% der Gemeinkosten sind ja unabhängig von der Leistung, also fix – was heißt, daß sie auch nach Abschaffung von C erhalten bleiben. Die Materialgemeinkosten fallen jetzt also nicht um 5.000, die Materialgemeinkosten von C, sondern nur um 10% davon, also um 500, weil ja 90% der Materialgemeinkosten von C fix sind, uns also 4.500 Materialgemeinkosten C erhalten bleiben! Das gilt natürlich auch für die Fertigungsgemeinkosten und die Verwaltungsgemeinkosten (VwGK).

Was aber selbstverständlich fortfällt, ist der durch Produkt C vermittelte Umsatz, d.h., es steht nur noch der Umsatz aus A und B zur Verfügung.

Zu unserem heißen Entsetzen stellen wir nun fest, daß das Unternehmen auf einmal insgesamt in die roten Zahlen gerutsch ist, also nicht etwa die 10.000 Verlust des Produktes C abgebaut hat (und jetzt 70.000 statt 60.000 verdient, wie der sogenannte gesunde Menschenverstand möglicherweise erwartet hat), sondern auf einmal insgesamt in die Verlustzone geraten ist. Wie kann das sein?

Um das herauszufinden, machen wir eine weitere Spalte auf. In dieser Spalte ermitteln wir zunächst die variablen Kosten von C, führen also auf, was in der Spalte "A+B" fortgelassen wurde, also die gesamten Einzelkosten C (denn Einzelkosten sind immer variabel) und 10% der Gemeinkosten. Das erbringt eine Summe von 108.600, die die variable Selbstkostensumme des Produktes C darstellt. Diesen Betrag ziehen wir vom Umsatz des Produktes C ab, berechnen also den Deckungsbeitrag des Produktes C, der offensichtlich hoch positiv ist.

Vergleichen wir dieses Ergebnis mit der Differenz im Gewinn, also mit dem Unterschied von zuerst 60.000 auf nachher -7.400 dann fällt auf, daß die Differenz genau gerade -67.400 beträgt, also dem Deckungsbeitrag entspricht. Ein Zufall? Keineswegs:

Es gibt keine Produkte mit Gewinnen oder Verlusten. Es gibt nur Produkte mit Deckungsbeiträgen!

Schaffen wir Produkt C ab, dann verlieren wir nicht den durch C verursachten Verlust, sondern den in C enthaltenen Deckungsbeitrag. Ein Produkt sollte daher nur abgeschafft werden, wenn es einen negativen Deckungsbeitrag hat – und keinesfalls schon, wenn es Verlust erwirtschaftet. Und das bedeutet auch, daß bei Verkaufspreisverhandlungen mit dem Kunden die variablen kosten (und keineswegs die Selbstkosten!) die absolute Untergrenze sind, was ebenfalls eine sehr wesentliche und sehr fundamentale Erkenntnis darstellt.

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